Verletzliche MaschinenDie dänische Musikerin Sofie Birch im Interview

Sofie Birch start alt

Foto: Rune Svenningsen

Sofie Birch aus Dänemark hat sich mit sechs Alben in drei Jahren den Ruf erarbeitet, eine der spannendsten und produktivsten elektronischen Künstler:innen der Gegenwart zu sein. Vor wenigen Monaten erschien ihr viel beachtetes Album „Holotropica“, im Oktober kommt ihre Zusammenarbeit mit Antonina Nowacka „Languoria“ heraus. Wir sprachen mit Sofie Birch über ihre tiefe Verbundenheit zur Natur, wie sie anfing Ambient zu machen, ohne zu wissen, was das eigentlich ist, und weshalb es kein Problem sein sollte, wieder über New Age und Spiritualität in Musik zu sprechen.

Erzähl uns zum Einstieg bitte ein bisschen über deinen Hintergrund und wie du zur Musik gekommen bist.
Ich habe einen Teil meiner Kindheit auf einer kleinen Insel in Dänemark verbracht. Viele Erlebnisse meiner Kindheit und Erinnerungen haben mit der Natur auf dieser Insel zu tun. Seit fünf Jahren mache ich Musik und darin spielt dieser Aspekt eine tragende Rolle. Ich fühle dazu eine starke Verbindung. Zunächst dachte ich, um Musikerin zu werden, müsse man sich intensiv mit Musiktheorie und einem Hauptinstrument auseinandersetzen. Das wird in der Gesellschaft oft vorausgesetzt. Es war daher nicht leicht, meinen Weg zu finden. Ich hatte viele Ideen, wollte mich aber auch wohlfühlen. Also ging ich nicht in ein klassisches Konservatorium, sondern entschied mich für ein Studium in Sound-Design.

Wo?
Am Sonic College im Süden Dänemarks. Dort gibt es einen praktischen Ansatz. Neben Theorie gibt es Kurse, in denen Lautsprecher gebaut werden. Oder man lernt, wie man eine Radioshow produziert. Das hat mir eröffnet, nicht nur Musik, sondern auch Sound als Ganzes zu verstehen. Mit dem Konzept Sound zu arbeiten, hat mir viel Druck von den Schultern genommen, hat mein Verständnis von Musik verändert. Es hat sich eine neue Welt für mich aufgetan.

Wenn man in Stereotypen an Naturverbundenheit im Rahmen von Musik denkt, kommt man eher auf eine Gitarre oder Geige als auf Elektronik. Wie ist es dazu gekommen?
Nach dem Abschluss habe ich mich auf Sound-Design in Animationsfilmen fokussiert. Davon war ich fasziniert und habe mit vielen Regisseuren gearbeitet. Aber das Thema Musik kam immer wieder auf. Ich liebe sie und sie war das, was ich immer machen wollte. So habe ich eine Umgebung geschaffen, Musik zu kreieren. Auch die Entscheidung Musik ohne Gesang zu machen, hat sich Stück für Stück verfestigt. Gewissermaßen kam ich relativ spät dazu. Die Art und Weise wie ich Ambient und Elektronische Musik heute mache, entstand erst vor wenigen Jahren. Bis dahin hatte ich viel Jazz und Rock gehört. Das war alles nicht so experimentell.

Die elektronische Szene ist speziell. Du hast mittlerweile auf vielen Festivals gespielt. Wie hat sich das angefühlt, als du da reingekommen bist? Ich unterstelle dir einen eher harmonischen und musikalischen als einen unterkühlten, klangexplorativen, wissenschaftlichen Ansatz, der oft vorherrscht. Hast du dich von Beginn an wohlgefühlt? Abgesehen davon, dass viele Männer in dieser Welt das Sagen haben.
Das stimmt (lacht). Es ist nicht einfach. Gerade, weil meine Musik auch recht verletzlich ist. Manchmal in einer Venue aufzutauchen und die Menschen sitzen da und trinken Bier, das ist eine Energie, mit der ich schwer umgehen kann. Daher bevorzuge ich, in außergewöhnlichen Locations zu spielen, sei es in Kirchen oder unter freiem Himmel. Orte, an denen Leute weniger konkrete Erwartungen haben wie in Clubs, wo Beats oder Höhepunkte vorausgesetzt werden. Wenn der Ort offen ist, dann werden es die Leute auch und ich fühle mich definitiv wohler.

Du hast in den letzten drei Jahren sechs Alben veröffentlicht. Das ist mehr, als viele Artists in einer ganzen Karriere releasen. Woher kommt das Selbstbewusstsein, die Kreativität, die Produktivität? Ein Album zu finalisieren, dafür brauchen manche oft Jahre.
Ich habe das bisher nicht als Selbstbewusstsein betrachtet, aber ich verstehe deinen Punkt. Mir geht es eher um den Mut, ehrlich mit den eigenen Prozessen zu sein. Oft veröffentlichen Menschen Musik, wenn sie das Gefühl haben, gewisse Levels erreicht zu haben. Für mich geht es eher um die Prozesse und das Erforschen dieser. Wo bin ich gerade? Was kann ich aus dieser Situation lernen? Musik ist für mich die Möglichkeit, diese Fragen zu reflektieren. Ich teile gewissermaßen meine Selbstreflektion mit anderen Menschen. Sich zu offenbaren und sichtbar zu machen, ist ein Schritt, an dem ich mich gerade befinde. Anfangs hatte ich viel Glück, dass schnell jemand auf mich zukam und die Sachen veröffentlichen wollte. Daraus hat sich ein Flow entwickelt. Wenn jemand sagt, das ist gut, dann vertraue ich ihm. Und jede Veröffentlichung war in meiner persönlichen Entwicklung ein großer Schritt. Man kann plötzlich rauszoomen und die eigene Arbeit anders betrachten und hinterfragen. Was wiederum eine gute Basis ist, um weiterzugehen. Mein erstes Tape „Sketchy Commodity“ bestand aus drei Tracks und es war ein Geschenk, das Resultat zu betrachten. Und zu entscheiden: Es ist Zeit weiterzumachen und eben nicht das Gleiche zu wiederholen.

Sofie Birch Potrait 1

Dann suchst du nach neuen Soundquellen und Arbeitsweisen? Oder wie hat man sich das vorzustellen? Deine Alben klingen alle recht unterschiedlich. Wie beschreibst du deine ästhetische Entwicklung in eigenen Worten?
Es fing mit Skizzen an und ich wusste nicht einmal, dass es ein Genre dafür gibt. Dann erst fand ich heraus, dass es eine Community gibt, die Musik wie meine veröffentlicht. Ich habe es einfach gemacht. Ich bin nie davon ausgegangen, dass es auch nur irgendjemand hören würde. Mein damaliger Freund meinte nur: Wer soll sich das anhören? (lacht)

Prince Charming …
Nach meinen ersten Releases lernte ich das dänische Label Intercourse kennen und sie gaben mir das Vertrauen weiterzumachen. Ich habe mit dem Album „Holotropica“ früh angefangen und es hat mich über vier Jahre begleitet. Parallel habe ich aber weiterhin andere Alben veröffentlicht, die ich eher als Zwischenschritte sehe. Die Veröffentlichungen dazwischen halfen mir aber auch, mich selbst auszutarieren und zu gucken, wo ich stehe. Ich hätte es natürlich anders machen können. Und jedes Mal fragte ich mich, wieso ich den anderen Releases zugesagt habe. Ist ja auch eine Frage der Energie. Es kann sich wie vergeudete Liebesmüh und Zerstreutheit anfühlen. Rückblickend hatte das alles eine Bedeutung. Aber ich gehe auch erstmal nicht davon aus, dass ich die nächsten Jahre wieder so viel veröffentlichen werde. (lacht)

Wie hat sich deine Studioumgebung im Laufe der Jahre entwickelt? Ist sie immer größer geworden? Ich stelle mir vor, dass deine Arbeit eher wie Songwriting funktioniert.
Es wächst nicht sonderlich, weil ich ständig Sachen verkaufe, aber dafür wieder Neues dazu kaufe. Ich habe kein großes Studio und ich mag die Einfachheit, so wie die Freiheit mit meinem Studio an andere Orte zu gehen. Ich gehe auch gerne in andere Studios, um dort mit anderem Equipment zu arbeiten. Viel von dem Material, das ich bis heute gemacht habe, ist mit dem Boutique-Roland Jupiter entstanden. Der eignet sich auch gut zum Live spielen. Da bin ich ziemlich tief eingestiegen. Auch wenn das sehr einfach klingt, aber das gefällt mir. Es geht ja zunächst um die Soundquelle, aber auch, wie man damit umgeht und weiter produziert. Man kann mit einer einzigen Soundquelle so ziemlich alles machen. Es muss für mich nicht exklusiv oder teuer sein. Nicht, dass ich solche Synthesizer nicht auch toll finde. Ich habe meinen Octatrack, mag aber auch billige Casio-Keyboards. Ich nehme auch gerne analoge Instrumente auf und manipuliere deren Sound. Ich spiele Glocken und Klangschalen, die haben tolle Texturen.

„Das improvisatorische Element ist mir wichtig. Diese Verletzlichkeit, das Menschliche und Organische der Musik möchte ich auch mit dem Publikum teilen.“

Du hast ein neues Album mit der polnischen Vokalistin Antonina Nowacka aufgenommen. Stimmt es, dass ihr euch auf einem Festival kennen gelernt habt?
Wir wurden letztes Jahr vom Unsound Festival gefragt, ob wir zusammen ein improvisiertes Liveset aufführen wollen. Der Gig wurde auf zwei Uhr nachts angesetzt. Das war intensiv, meine Tochter war gerade sechs Monate alt, ich fuhr nach Polen für die Show. Dann traf ich um zwei Uhr diese Frau, die ich zuvor noch nie gesehen hatte. Ich fühlte mich nicht fokussiert, aber es war dennoch magisch und wir haben es einfach gemacht. Das Publikum mochte es und die Festivalleitung bat uns, nochmal in der Krakauer Synagoge aufzutreten. Diese Performance war besonders. Wir haben toll harmoniert, ich konnte mich besser vorbereiten, weil ich ihre Stimme nun kannte. Das war außergewöhnlich. Danach sind wir völlig euphorisiert durch die Krakauer Innenstadt geschlendert und haben gelacht und gute Gespräche gehabt. So ist die Idee entstanden, etwas gemeinsam zu produzieren. Das Label Mondoj war bereit, das Projekt zu unterstützen. Antonina kam im vergangenen Winter nach Kopenhagen und war acht Tage hier. Aufgenommen haben wir bei einem Freund, der sein Studio in seiner Wohnung aufgebaut hat. Wir haben gejammt und so sind die Tracks entstanden. Wir hatten keine Erwartungen, haben nicht bewertet, was die andere macht. Wir waren sehr im Moment.

Diskussionen zu führen hat Vor- und Nachteile.
Antonina ist nicht kleinkariert und hält sich nicht zu sehr an Details auf. Wir respektieren, was die andere Person geschaffen hat. Wir waren meistens auf der selben Seite. Wir sind als Menschen aber auch sehr unterschiedlich. Sie ist wie eine Göttin von einem anderen Planeten und ich bin eher der praktische Typ. Oft sprechen wir gar nicht dieselbe Sprache, dennoch haben wir das gut hingekriegt.

Was planst du für deinen Auftritt beim WOS Festival? Du wirst in der Igrexa da Universidade auftreten, einer barocken Kapelle.
Ich werde mit der Saxophonistin Nana Pi spielen. Antonina wird nicht dabei sein. Ich werde viele Sachen vom Album „Holotropica“ aufführen. Oft spiele ich alleine, aber ich genieße es, mit anderen gemeinsam aufzutreten. Teile dieser Tour spiele ich mit Johan Carøe. Letztens haben wir auch zu dritt gespielt, was ich toll fand. Einige Teile sind vorbereitet, aber das improvisatorische Element ist mir wichtig. Diese Verletzlichkeit, das Menschliche und Organische der Musik, möchte ich mit dem Publikum teilen.

Sofie Birch 2

Wie schaffst du es diese verletzliche, menschlich-organische Seite mit Maschinen zu reflektieren? Ich musste bei deinen Sachen auch an „Plantasia“ von Mort Garson denken, was zwar alt ist, aber dennoch einen starken Bezug zur Natur aufbaut. Es klingt kitschig, aber geht es dabei nur ums richtige Gefühl oder wie kommst du da hin?
Viel hat mit Intuition zu tun. Und mit einer Offenheit dem gegenüber, was kommt. Das alleine hat für mich schon viel mit Menschlichkeit zu tun. Nicht zu viel kontrollieren zu wollen und auch nichts übermäßig zu produzieren.

Viele sehen in KI die Zukunft der Musik. Software, die uns das Komponieren fast völlig abnehmen kann. Wie stehst du dazu?
Mich macht es ein bisschen traurig vorzustellen, dass Computer fast alles machen, was uns Menschen eigentlich ausmacht. Mich macht es bereits traurig, in den Supermarkt zu gehen und Lebensmittel zu kaufen, ohne zu wissen, wer die hergestellt hat. Mir widerstrebt dieser Lebensstil. Ich finde wichtig, dass wir menschlichen Kontakt zu allem haben, was wir tun.

Bei dir geht es auch um Meditation. Vor einiger Zeit nannte man das auch New Age, was heute zum Schimpfwort geworden ist. Siehst du deine Musik in dieser Timeline? Hat sie auch funktionale Aspekte?
Mich interessiert das extrem. Ich finde New Age und Spiritualität spannend. Wege herauszufinden, das Bewusstsein zu ergründen und wer wir sind. Das ist durchaus der Unterbau von dem, was ich mache. Ich mache aber nicht Musik aus diesem konkreten Grund. Es ist vielmehr über die Zeit zusammen gewachsen. Ich frage mich, wie ich wachsen kann, was bedeutet das? Plötzlich befinde ich mich in einer Art Musik, die erstaunlich nah an New Age ist. Es war jedoch vielmehr eine Entdeckung, dass es Beziehungen dieser Art gibt, weniger ein Plan. Es fühlte sich natürlich und intuitiv an, auch weil ich ein Interesse an der menschlichen Natur habe.

Was hast du die nächsten Jahre vor? Offenbar keine sechs Alben in drei Jahren.
Seit der Veröffentlichung von „Holotropica“ fühle ich mich befreiter. Ich empfinde die Freiheit zu tun, worauf ich Lust habe. Ich will mir aber die Zeit nehmen, herauszufinden, was ich möchte. Ich kann mir gut vorstellen, andere musikalische Wege zu erforschen. Es gibt viele andere Genres, die mich faszinieren. „Holotropica“ ist bereits mehr als nur puristischer Ambient. Der öffentliche dänische Jazz-Radiosender spielt mittlerweile meine Musik, was mich freut. Ich möchte nicht zu sehr in die Elektronik-Schublade gesteckt werden und werde die Augen und Ohren offen halten. Aber weniger Ambient, das ist das, was ich schon mal sagen kann. Vielleicht. (lacht)

Sofie Birch spielt auf dem Festival Work on Sunday x Son Estrella Galicia, das vom 8. bis zum 11. September in Santiago de Compostela stattfindet.

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