Plattenkritik: Move D & Dman – All You Can Tweak (Smallville)The Sound Of Heidelberg

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David Moufang und Dirk Mantei waren Anfang der 1990er-Jahre Schlüsselfiguren der sich schnell entwickelnden Szene für elektronische Tanzmusik in Deutschland. Dass die Musik von damals noch heute relevant und alles andere als museal ist, zeigt „All You Can Tweak“, ein Album, auf dem sieben ihrer gemeinsamen Tracks erstmals veröffentlicht werden.

Ich weiß selbst nicht so recht, warum ich in der elektronischen Musik aktuell mal wieder durch eine nostalgische Phase rave. Ach Quatsch, ich weiß es sehr genau und halte es obendrein auch für vollkommen legitim, regelmäßig in die Epoche(n) und zu den Künstler:innen zurückzukehren, die einen besonders geprägt haben. Und die Entwürfe von David Moufang aka Move D und der gesamten Source Records-Posse aus Heidelberg gehören für mich fest dazu. Egal ob Moufang solo, gemeinsam mit Jonah Sharp als Reagenz, zusammen mit Jonas Grossman als Deep Space Network, die Label-Compilations, die Produktionen von Yoni oder eben die Tracks von Mantei aka Dman (wer seine Diskografie sucht, gebe seinen Namen als D-Man ein). Heidelberg stand – und steht – für einen Sound, der lange Jahre nirgendwo sonst rezipiert wurde. Gefeiert schon, aber kopiert bzw. adaptiert? Nein. Für mich schwebte über dieser Stadt immer eine große Wolke des Unverständnisses. Wie geht sowas? Wie machen die das? Und Warum? Und warum ist es so toll?

Ich habe dazu eine Haltung. In Heidelberg ging es im Studio nie um Techno. Auch nicht um House. Wer durch die wenigen dokumentarischen Video-Snippets von damals cruist, sieht: Das Gemeinschaftliche stand im Mittelpunkt. Treffen – drinnen oder draußen –, Maschinen an, laufen lassen, immer alles aufnehmen, sich an Fadern abarbeiten, buchstäblich aufeinander hören und dann die Ergebnisse vielleicht nicht zuerst nach Berlin, Frankfurt/Main oder Detroit, sondern eher nach Nordengland schicken. Die Tracks von damals hatten schon immer eine eigene „Artificial Intelligence“. Verstanden? Gut.

Manteis Studio hieß „Blaues Zimmer“ und lag auf der Bergheimer Straße. Moufang wohnte um die Ecke. „Homeworks“ nannten sie ihre gemeinsamen EPs, die zuerst 1993 auf CD erschienen und dann auf zwei 12"s. Doch zu dieser Zeit entstanden noch viel mehr Tracks, die wir nun zum ersten Mal nachhören können.

Dass „All You Can Tweak“ auf Smallville erscheint, passt wie die Bassdrum auf die HiHat. Es gibt wenige Labels hierzulande, die sich dem „Sound von damals“ verschrieben haben, ohne dabei künstlerisch Leichen zu fleddern oder stehengeblieben zu sein. Wieder so eine Haltung. Es geht um Klänge, Arrangements, bestimmte unbewusst wirkende Marker, die sich tief in die Musikhistorie eingeschrieben haben und global immer wieder referenziert werden, an die sich Produzent:innen heutzutage jedoch viel zu selten herantrauen. Weil sie sich damit angreifbar machen würden. Wenn die kreative Verletzlichkeit schon in der Musik an sich spürbar ist, bleibt kein Raum mehr für das Instagram-Storytelling drumherum.

Die sieben Tracks von Mantei und Moufang sind trotz aller Fluffigkeit mehr als dringlich. Locker arrangiert, nur minimal ausproduziert. Das Rauschen der Technik bleibt genauso drin wie das Eigenleben der Maschinen. Wenn die Bassdrum der TR-606 dünn klingt, dann ist es ebenso. Die flatternden HiHats der 909 werden es schon richten. Und wenn die Sheffield-Bleeps die von Hand eingespielte Melodie wegdrücken, dann ist das kein zu korrigierender Fehler, sondern einfach nur schön. Der Dub dubbt, die Flächen wärmen, die Grooves rütteln auf, das verfilterte Kopfnicken von Basic Channel sticht wie ein toxischer Sonnenstrahl durch die BASF-Sonne aus Ludwigshafen herüber.

Ich bin unsicher, ob es zu dieser Zeit anderswo Menschen mit ähnlichen musikalischen Visionen gab. Das einzige Los im Hut der Referenzen, das mir einfällt, ist eine extrem kurze Periode auf der Dance Division von Fnac Music, wo Ludovic Navarre mit seinen „Modus Vivendi“- und „Deepside“-Produktionen in einem ähnlichen Forscher-Modus war, auch wenn seine Tracks im direkten Vergleich schon zu viel Versailles-Bohnerwachs atmeten.

„All You Can Tweak“ fasst zusammen. Und schließt eine gemeinsame Schaffensperiode ab, die nie hätte zu Ende gehen dürfen. Dass die beiden Produzenten dabei das Stück „Wired To The Mothership“ erstmals seit 1993 wirklich produziert haben und es nun statt 30 Sekunden endlich fast sechs Minuten lang ist: Das ist die Nerd-Anekdote. Wichtiger und dabei vollkommen unnerdig: Es braucht keine effekthascherischen Klischees, um elektronische Tanzmusik groß zu machen. Wusste man in Heidelberg schon immer.

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