Plattenkritik: Junior Boys – Waiting Game (City Slang)Music for Aquascaping

waiting game

Sechs Jahre nach „Big Black Coat“ veröffentlichen die Junior Boys ein neues Album. Und es glänzt im Kleinen.

Sapilotti – gerade mal nachgeschaut: Über sechseinhalb Jahre ist es her, seit ich die Junior Boys zum Interview hier in Berlin traf, damals noch im alten Büro von City Slang, das neue ist ja nur zwei, drei Meter von unserem weg. Ich erinnere mich gut an das nette Gespräch, vor allem an den Moment, als ich den beiden Kanadiern davon berichtete, am Abend in „ihrer“ Botschaft zum Trinken kanadischen Craft-Biers eingeladen zu sein, und mir subito eine Liste mit kanadischen Craft-Bieren aufgeschrieben wurde – eines davon gab es an jenem Abend dann auch. Cheers to Marshall McLuhan.



Jetzt gibt es endlich ein neues Album von Jeremy Greenspan und Matt Didemus, es ist das sechste, aber tatsächlich das erste seit „Big Black Coat“. Es ist eine Menge passiert seitdem: Jeremy arbeitete ja schon als Produzent für Jessy Lanza, als wir uns trafen, 2016 erschien ihr Album „Oh No“ und vier Jahre später „All The Time“. Er pflegte und begrub seinen Vater, tiefer Respekt, und baute in Hamilton ein Tonstudio auf, in das Matt Anfang 2020 dazukam – bis die Welt in den Lockdown ging, Didemus es aber eben noch in seine Wahlheimat Berlin zurück schaffte. Wie gut, dass man heute remote Musik produzieren kann. 

„Unbekanntes Genre“, sagt mein Musikprogramm, und das gefällt mir auch nach mehrmaligem Anhören dieses Albums gut. Ich versuche es mal mit einer Zuschreibung (ihr dürft ruhig schmunzeln): Deep Pop. „Waiting Game“ ist wunderbar durchzogen von Klängen, Harmonien und einer Haltung, die mich berührt. Von Harold Budd über Sade, Active Child und Akufen bis zu Metro Area reichen meine Verkostungsnotizen – aber weitgehend beatless, entschleunigt und in sich ruhend.

Ein Album, das jederzeit ausbrechen und einen Hit nach dem anderen offerieren könnte, sich aber dafür entschieden hat, leiser zu treten, croonig und sanft. 

Die Umgebung, in der „Waiting Game“ aufgenommen wurde, hat Greenspan quasi für diesen Stil errichtet – antizyklisch auf Tiefe und Details zugeschnitten statt auf maximale Kompression und Loudness, damit es auch im Lautsprechermodus in der U8 noch gut, aber in Wahrheit Scheiße klingt. Den Unterschied, den das ausmacht, beschreibt Greenspan sehr anschaulich: Wenn man sich einen Schwarzweißfilm anschaut und diesen dann ein Werbespot unterbricht – greller und lauter könnte der Einbruch nicht sein. 

Lieber leise: Ein US-amerikanischer Tontechniker, den Greenspan über seinen Mastering Engineer Bob Weston empfohlen bekommen hatte, baute ihm einen Synthesitzerraum und einen Mischraum mit nur 20 Dezibel und altem Aufnahmegerät. Synthesizer- und Keyboardklänge wurden durch den Gitarrenverstärker geschickt und über Mikros aufgenommen.

„Waiting Game“ klingt räumlich, organisch, analog, auch wenn es das natürlich nicht wirklich ist. Man kann sich gut vorstellen, wie der Producer dazu seinem Hobby Aquascaping nachgeht und Aquarien mit bizarren Landschaften füllt. „Thinking Of You Calms Me Down“, heißt es so schön im gleichnamigen Track. An „Waiting Game“ alleine zu denken tut es auch, es anzuhören noch mehr.

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