Plattenkritik: Parannoul – After the MagicPerfektion abseits der K-Pop-Maschine

Parannoul After the Magic Cover

Quantität ist nicht alles. Aber wer mit Anfang 20 schon 18 Alben veröffentlicht hat, versteht Musik nicht als Bühne für Aufmerksamkeit, sondern lebt sie aus tiefstem Herzen. Parannoul zeigt mit seinem neuen Album „After the Magic“, dass Pop aus Korea nicht notwendigerweise was mit K-Pop aus der Großfabrik zu tun haben muss. Ganz im Gegenteil. Diese Musik ist persönlich, intim und erzählt gerade deshalb die dortige Popgeschichte mit eigenen Worten weiter.

Der südkoreanische Musiker und Produzent Parannoul (파란노을) ist in vielerlei Hinsicht ein Mysterium. Man weiß, dass er 2001 geboren wurde. Sonst versucht er aber weitestgehend anonym zu bleiben. Gerade wenn man an den schrill ausgeleuchteten K-Pop-Kosmos denkt, an diese gigantische hypereffiziente und optimierte Maschine, die nun seit Jahren auch international in der Popwelt tonangebend ist, dann sind die Arbeiten von Parannoul so Indie wie Indie nur sein kann. Hier gibt es weder große Label-Industrien, noch opulente Budgets. Dafür einen Output, der seinesgleichen sucht. Seit 2017 wurden 18 Alben herausgebracht. Exakt, 18 Alben. Darunter unter seinen Pseudonymen laststar und Mydreamfever. Natürlich geht es bei Musik nicht um Quantität. Mich lässt diese Anzahl aber dennoch nicht kalt. Seine international beachteten Platten als Parannoul ab 2020 haben den Weg in die Öffentlichkeit über Bandcamp und Reddit gefunden. Diese Karriere ist auch der Beweis, dass Anerkennung aus dem Schlafzimmer heraus also noch immer geht.

„After the Magic“ ist wie die beiden Parannoul-Vorgänger-Alben eine eindringliche Mischung aus Shoegaze, verzerrtem Emo und elektronischen Sounds. Mich erinnert der Sound auch an die koreanische Band Nell, die 2001 (also Parannouls Geburtsjahr) ihr erstes Album „Reflection of“ veröffentlichten und seitdem eine Art Sonderstellung in dem sonst recht bunten, offensichtlichen K-Pop-Geschehen einnehmen. Aber auch der Überstar der 90er- und 00er-Jahre und der Initiator des K-Pop Seo Taiji ist hier zu lesen. Popmusik aus Korea hat über die Jahrzehnte eine ganz eigene Harmonik entwickelt. Manchmal wirkt es kitschig und seicht, beispielsweise wenn man an Soundtracks von bekannten K-Dramen denkt, aber sie war schon immer qualitativ sehr weit oben und ausgesprochen ausgefuchst. Mit dem weltweiten K-Pop-Boom werden nun auch solche geschichtliche Traditionen neu ausgewertet und interpretiert. Ich erinnere mich an ein Event am Spielbudenplatz beim vergangenen Reeperbahnfestival, wo mehrere koreanische Artists, jenseits der Imperien wie YG und Co. spielten. Besonders fasziniert hat mich ein DJ, der einen eklektischen Mix aus modernen Trap-Beats und koreanischem Pop/Schlager aus den 70er und 80ern spielte. Also jene Musik, die meine Eltern im Auto und zuhause hörten und zu der bei Feiern getanzt wurde. Damals schämte ich mich als Kind ein bisschen dafür, das musste ich aber auch für Kimchi und Doenjangguk – weil Knoblauch und Miso, das wie Ausgeschiedenes aussieht, das fanden die Deutschen damals wirklich uncool. Heute ist das natürlich anders. Mich hat es aber auch berührt, dass die heute junge Generation in Südkorea sich vom westlichen Pop-Imperialismus emanzipiert und auch auf die eigene Musikgeschichte respektvoll blickt und diese wieder aufnimmt. Bei der Mode ist mir das auch schon aufgefallen. Das war bei Seo Taiji noch anders. Er importierte damals mit jedem seiner Alben ein neues westliches Genre nach Korea und machte es damit salonfähig. Erst Dance Beats und HipHop, später Hardcore und New Metal.

Parannouls Musik ist eben deshalb auch so eigenständig, weil sie trotz aller vermeintlichen Shoegaze-Referenzen eben keine weitere Kopie von amerikanischen Bands ist. Das Album schließt an eine ganz eigene Timeline an, auch wenn das die meisten (zumindest hier) vielleicht nicht hören. Wichtig ist das gezwungenermaßen nicht. Aber Kontexte sind da, um aufgestellt zu werden. Und all jenen, denen das hier zu Band-mäßig wirkt, dem lege ich die Aufnahmen von Parannouls anderem Alias Mydreamfever ans Herz. Anmutig schöne, ambient instrumentale Kammermusik. Ein sehr großes Talent, das mit Anfang 20 bereits Musik so spricht und beherrscht, wie viele es im Leben nicht hinbekommen.

Jóhann Jóhannsson – A User’s ManualChapter 14 – The Theory of Everything (2014) – Deutsch

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