Plattenkritik: Bersarin Quartett – Systeme (Denovali)Ambient from Alphaville

cover

Das Album erschien zwar schon Mitte Dezember letzten Jahres, aber für Jan-Peter Wulf ist es der ideale Auftakt für 2024.

Happy New Year
Happy New Year
May we all have a vision now and then
Of a world where every neighbor is a friend

(Abba)

Schöne Visionen, zumal in einer Welt, die gerade ganz anders aussieht. Wie dem auch sei: Ein gutes neues Jahr euch allen.

Und jetzt zur Musik. Die kommt vom Bersarin Quartett, das in echt ja gar keines ist, sondern ein Soloprojekt von Thomas Bücker. Bückers Musik begleitet mich seit Ende der Nullerjahre, als ich ein Konzert in einer Kirche im Ruhrgebiet besuchte. Es hat mich damals wirklich sehr beeindruckt und ergriffen, es war faszinierend zu hören, wie sich in einer Kirchenkuppel nicht nur Orgeltöne und Choräle, sondern eben auch elektronische Klänge entwickeln und verräumlichen. Ein Poster des Covers des ebenfalls „Bersarin Quartett“ lautenden ersten Albums hing noch eine ganze Weile in meinem Schlafzimmer – auch wenn es nicht gerade freundlich aussieht. Nun ist das fünfte Album da: „Systeme“ heißt es. Das klingt technisch und funktional. Die Musik klingt aber zum Glück weiterhin nicht so sondern weiterhin spätromantisch, filmisch, leicht sakral. Ist es ein Zufall, dass Bücker aus der Kirchenstadt Münster kommt, so wie Markus Güntner aus dem ebenso kirchlich geprägten Regensburg? Gibt’s Ambient in Paderborn, Kevelaer?

Und doch ist, insbesondere verglichen mit dem Debüt, eine Weiterentwicklung zu vermerken. Nach hinten raus packt Bücker die Drones aus und lässt Blitze und Donner durchs Gewölbe zucken, nur um kurz darauf wieder ein liebliches Piano erklingen zu lassen – und dann wieder den Maschinenpark anzuwerfen. „Microtonale Verschiebungen, polyrhythmische Strukturen, Temposchwankungen und aus dem Kontext gerissene Klangästhetiken schaffen ein fragiles, unvorhersagbares Fundament — als würden Talk Talk, Tim Hecker und Skrillex gemeinsam Musik machen und unsere Ambiguitätstoleranz herausfordern“, sagt die Albuminfo und darauf lasse ich mich für den Moment glatt ein. Tim Hecker habe ich übrigens auch mal in einer Kirche spielen hören, es war nicht minder phänomenal und ich denke, auch für die Künstler etwas Besonderes.
„Systeme“ wird nicht mein Lieblingsalbum von Bücker, aber es reiht sich in sein spannendes und schönes Werk gut ein. Es ist mein Soundtrack für den Moment, in dem hier in Neukölln sogar ein bisschen Schnee fällt und den ganzen Müll weiß zudeckt.

May we all have our hopes, our will to try
If we don't we might as well lay down and die
You and I.

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