Plattenkritik: Voice Actor – Fake Sleep (Stroom)Bitte weitergehen, hier gibt es viel zu hören

Plattenkritik Voice Actor Banner

Musique non-concrète

Im Oktober 2022 veröffentlichten Voice Actor – Noa Kurzweil & Levi Lanser – ein Album mit 109 Tracks und einer Laufzeit von viereinhalb Stunden. Diese kreative Ansage muss bei mir irgendwie im Spam gelandet sein, mein Rechner kennt meine Angst vor Überforderung mittlerweile sehr gut. Nun, ein Jahr später, wird der mehrstündige Epos „Sent from my Telephone“ auf konsumierbare(re) 45 Minuten runtergebrochen und auf LP veröffentlicht. Das Medium ist überhaupt nicht wichtig. Entscheidend ist, dass ich das Projekt jetzt auf dem Schirm habe und euch hier hinlegen kann. Bitte sehr, unbedingt hören, auch oder vielleicht gerade weil es an einigen Ecken so wundervoll zwickt und zwackt.

Wobei: Eigentlich stimmt das gar nicht. Wir haben es hier mit einer Zusammenstellung collagierter Miniaturen zu tun, die, wenn es die Dramaturgie denn zulässt, zu so etwas wie Songs anschwellen. Ich wähle diesen Begriff ganz bewusst, verwende also nicht Track, denn wenn es bei Voice Actor um etwas ganz besonders geht, dann – ihr ahnt es – um Vocals. Oder zumindest um Sprache. Ich höre den Geschichten, die Noa Kurzweil erzählt, säuselt, haucht, nuschelt, performt, gerne zu. Und verspüre gleichzeitig wenig bis gar kein Interesse, mich mit den assoziativen Geschichten auseinanderzusetzen, sie zu verstehen und einzuordnen. Denn der Sound von Voice Actor ist über weite Strecken so herrlich unkonkret, dass ich mir dieses Recht aus künstlerischen Respekt heraus gar nicht anmaßen würde. Das ist die eine Seite: das Verwaschene, das Sound-Design, die feingewobene Tapete mit jeder Menge klanglicher Raufaser. Und dann ist da noch die andere Seite. Wenn plötzlich Beats Struktur bieten, an Stellen und in Situationen, wo man dieses Gerüst weder erwartet noch ersehnt hatte. Vor 10+ Jahren nannte man das wohl „irgendwas mit Wave“ – als Memes das große Ding waren und Soundcloud für einen kurzen Moment wichtiger als Universal. So richtig schlüssig, ja, ich merke das auch, ist das natürlich nicht. Denn dass mittlerweile 2023 und nicht mehr 2013 ist, spürt man in jedem Takt Musik von Voice Actor, die doch so selten in Takten denken.

An Stücken wie „False Glistening“ zerbreche ich seit 48 Stunden immer und immer wieder. Vor lauter Hingerissenheit und Ehrfurcht. Das ganze Album lässt mich niederknien, weil ich es in letzter Konsequenz nicht verstehe. Normalerweise mag ich Musik nicht, die mich so abholt bzw. nicht abholt. Bei Voice Actor ist das anders. Ich kann das nicht ausblenden, vergessen. „I can't figure you out, you're messing it up.“

Das ist vielleicht die beste Popmusik, die ich seit langer Zeit gehört habe.

„Das ist meine Firma, hätten Sie Interesse?”Interview mit Andreas Brandis, Managing Partner des deutschen Jazzlabels ACT

Plattenkritik: DJ Shadow – Action Adventure (Mass Appeal)Sportlich im Herbst