Plattenkritik: Jan Jelinek – Social Engineering (Faitiche)Wo die Spam-Bots flüstern

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Auf „Social Engineering“ vertont Jan Jelinek die E-Mails, die wir tagtäglich löschen.

Ich habe lange keine Nachricht mehr von Abdul bekommen. Der afrikanische Prinz versprach mir in zahlreichen E-Mails über Jahre hinweg tolle Dinge: Bargeld, Beteiligungen an Ölquellen, Zugangsdaten zu Schweizer Nummernkonten, geheime Dokumente mit dem Potenzial, die Welt verändern zu können – zum Positiven. Abdul muss ein viel beschäftigter Mann gewesen sein, denn manchmal beauftragte er auch seinen Anwalt, mir zu mailen. ich war damals auch sehr beschäftigt. Und habe mich nie bei ihm zurückgemeldet. Wie es Abdul heute wohl geht?

Dass Spam auch sprechen kann, ist keine Neuigkeit. Oder habt ihr etwa in den vergangenen Monaten keine Anrufe von „PayPal“ bekommen? Dass Spam auch gutes Material für Kunst sein kann, ist auch hinlänglich bekannt. In diese Kerbe schlägt Jan Jelinek mit seinem neuen Album „Social Engineering“. Auf 13 Tracks schiebt er Spam-Nachrichten durch die Text-To-Speech-Schnittstelle seines Computers und baut kleine Hörspiele aus den Skripten, hinter denen – da können wir uns sicher sein – immer die Motivation der finanziellen Abzocke steht, die aber oft genug so absurd von der ersten Alpha-Version von Google Translate zusammengschustert wurden, dass sich Sinn und Zweck nicht wirklich erschließt. So rudimentär die Sprache, so archaisch mitunter auch die musikalische Umsetzung von Jelinek. Und das meine ich durchaus positiv. Mit oldschooligen Timestretch-Algorithmen, ganz simplen Sound-Design-Strategien kontextualisiert der Berliner Musiker die Absurdität der gesprochenen Inhalte, die durch den ganz bewussten Einsatz von männlich und weiblich zu lesenden Stimmen fast schon ätzend intim und eigentlich immer übergriffig wirken. Damit folgt Jelinek genau dem grundlegenden Prinzip praktisch aller Spam-Mails: Vertrautheit kann auch dann Wirkung entfalten, wenn sie künstlich und komplett erfunden ist.

„Social Engineering“ ist eine Erinnerung E-Mail an uns alle zum Noise, der unseren digitalen Alltag oft so unerträglich macht.

Was bleibt? „This video will open your eyes and finally show you the way to financial freedom. And if you are a Christian: Happy Easter Monday!“

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