Sieben Gänge ohne WeinBuchrezension: Nicole Klauß – Die neue Trinkkultur

trinkkultur header

Rauchtee zum Schweinebraten, Shrubs zum Spargel und Jahreszeiten-Milch statt weißes Einerlei: Nachdem vegetarische Gerichte schon längst keine Notlösung auf der Speisekarte mehr sind, gibt es jetzt auch Hoffnung für alle, die keinen Alkohol zum Essen wollen und denen immer nur Wasser oder Schorle zu fad ist. Nicole Klauß hat das Buch zum Trend geschrieben, der in High-End-Restaurants begann und vielleicht schon bald unseren Kühlschrank erobert.

Mit alkoholfreien Getränken im Restaurant ist es bislang ein bisschen so, wie es früher mit vegetarischen Gerichten im Restaurant war: Irgendwas musste man ja anbieten, für die Minderheit, die sich bewusst entschieden hat, minoritär zu sein. Also gab es halt irgendwas Liebloses mit Tofu oder den großen bunten Salatteller. Auf Augenhöhe mit Fleischgerichten waren die vegetarischen Speisen lange nicht.

Das ist heute, zumindest in den großen Städten, ganz anders: Gut vegetarisch essen lässt es sich mittlerweile an vielen Orten. So gut, dass auch Carnivore, Flexitarier und alle, die Lust auf eine Speise haben, die schlicht und einfach kein Fleisch beinhaltet, sich bisweilen dafür entscheiden. Bei Getränken herrscht hingegen großer Nachholbedarf. Kann, will oder darf man keinen Alkohol trinken, dann wird es schnell langweilig. Sieben Gänge mit Wasser? Rülps. Sieben Gänge mit Wein? Hicks. Wie wäre es mit Getränken ohne Prozente, die zur Situation, zum jeweiligen Gericht, zur Laune passen? Vielleicht sogar gemischt mit alkoholischen, ein Gang mit, einer ohne?

trinkkultur buch

Foto: Stephan Klonk

Dachte sich auch Nicole Klauß aus Berlin. Die Eventmanagerin, Kunstberaterin und Weinberaterin hat ein ganzes Buch darüber verfasst: „Die neue Trinkkultur“. Der Name ist Ansage. Es geht darum, nichtalkoholische Getränke auf das gleiche (kulturelle) Level zu heben wie Wein, Bier, Schnaps und Konsorten. Alkoholfreies ist fast immer ganz hinten, ganz unten auf der Karte, in der Kinderecke, am Katzentisch. Und da soll es raus. Gerüstet mit dem Sensorik-Know-how ihrer Weinausbildung – aus dem Rotwein Beeren und Früchte rausschmecken – hat Nicole Klauss sich immer mehr in Richtung Gemüse, Kräuter, Herzhaftes, Fermentiertes und Co. hingearbeitet. Raus aus der Marmeladenwelt der Weine, rein ins Beet. Sie hat Rezepte gesammelt, eigene kreiert und darüber hinaus Pairings entwickelt: Welches Getränk passt zu welchem Essen? Das ist in ihrem Buch nachzulesen, welches vieles zugleich ist: Rezeptbuch, flüssige Kulturgeschichte, Warenkunde, Portraitband – denn es werden auch Restaurants vorgestellt, die sich des Themas schon angenommen haben.

Imagevideo zur alkoholfreien Getränkebegleitung des Restaurant „Horváth“

Zum Beispiel das Zwei-Sterne-Restaurant „Horváth“ in Berlin-Kreuzberg: Chef und Chefkoch Sebastian Frank hat eine alkoholfreie Getränkebegleitung entwickelt, bei der es „erwachsene“ Nonalcoholics wie zum Beispiel Birnensoda mit Paprikareduktion und Minze, geschäumtes Malzbier mit Apfelsaft und Zitronenzesten oder Waldmeistersirup mit Chardonnay-Essig und Gemüsesaft gibt. Deswegen rennt die Presse ihm gerade die Bude ein. „In fünf Jahren machen das alle“, so Frank auf die Frage, ob er glaubt, dass das Ganze Potenzial hat. Er hat das Vorwort zum Buch verfasst und schreibt dort:

„Für mich ist es mehr als nur ein Trend. Es ist die Möglichkeit, das Gericht in einer ganz neuen Art und Weise zu begleiten, unabhängig von einer relativ fest vorgegebenen Charakteristik eines Weines oder der Philosophie des Winzers.“ Auch im Berliner Ein-Stern-Restaurant „einsunternull“ werden High-End-Nonalcs wie Kombucha oder Wasserkefir ausgeschenkt. Natürlich auch hier selbstgemacht. Doch das sind bislang Ausnahmen, auch in der High-End-Restauration, von den ewigen Pionieren der New Nordic Cuisine, die schon lange damit hantieren, abgesehen. Nicole Klauß:

„Beim Essen geben sich alle größte Mühe. Da wird eine Möhre erst kurz vorher geerntet, damit sie besonders knackig ist. Und dann bekommst du Wasser dazu?“

„Die neue Trinkkultur“ liefert jede Menge Ideen für Innovation im Glas. Nicht nur im Restaurant, nicht nur ab 15 Gault-Millau-Punkten aufwärts, sondern auch und ganz besonders zu Hause. Kreationen aus den Bereichen Tee, Saft, Milch, Gärgetränke, alkoholfreie Aperitif-Ideen sowie Shrubs (essiggesäuerte Frucht- oder Gemüsegetränke) und aromatisiertes Wasser werden in dem Buch vorgestellt. Immer unter der Maßgabe: Ein Getränk ist ein Getränk ist ein Getränk. Es soll erfrischen, Durst löschen und ein Essen begleiten können, ein Smoothie hingegen wäre ein Mahlzeiten-Ersatz, und Smoothie-Bücher gibt es wirklich schon genug.

Blicke ins Buch:

saft

„Die neue Trinkkultur“ verzichtet völlig auf Fotos, stattdessen gibt es schöne Illustrationen von Andreas Töpfer. Das Buch gestaltet hat Buchgut.

tee
kombucha

Der umfangreiche Pairing-Teil gibt auch Tipps, wie sich mit Bordmitteln – also dem, was die heimische Küche hergibt oder im Supermarkt um die Ecke auf Lager ist – hübsche Trink-und-Ess-Paare vermählen lassen. Ein Apfel-Karotten-Saft passt zu Wok-Gemüse, kräftigen Fischgerichten oder Blauschimmelkäse, zu leichten Fischgerichten hingegen ein mit Gurke und Koriander aromatisiertes Wasser. Und: Grüntee ist nicht gleich Grüntee. Sencha und Sandwiches oder fruchtige Salate gehen gut zusammen, zu Schinken passt Genmaicha.

seedlip drink

Destillat aus Botanicals, aber ohne Alkohol: Seedlip, das Clausthaler der Gin-Welt

Damit ist der geröstete Tee mit Reiskörnern auch eine interessante Alternative zum allgegenwärtigen Riesling in der Spargelzeit. Die Stangen kann man nicht nur essen, sondern auch trinken – als Spargelshrub: Spargel, Apfelessig, Zucker oder Honig, über Nacht durchgezogen. „Das hat eine leichte Süße und eine spitze Säure. Ist natürlich erstmal ungewohnt, aber harmonischer als ein Saft“, sagt die Expertin. „Zum klassischen deutschen Braten passt rauchiger Lapsang-Souchong-Tee hervorragend, auch als Coldbrew-Version. Oder Pflaumensaft, leicht mit Mineralwasser aufgespritzt, bei einer leicht fruchtigen Bratensauce.“

Neuerdings wird sogar der bekanntermaßen hochalkoholische Gin in einer umdrehungsfreien Variante angeboten: „Seedlip“ heißt das Zeug und wird, wie Gin, mit Kräutern und Gewürzen in einem Kupferkessel hergestellt. Wie genau, bleibt Geheimnis des Herstellers. Bisher ist es fast nur in UK erhältlich. Aber vielleicht können wir bald auch hier ein Tonic-Glas nach dem anderen leeren, ohne vom Hocker zu fallen.

„Die neue Trinkkultur“ ist im Westend-Verlag erschienen, hat 272 Seiten und kostet 26 Euro. Mehr Informationen im Blog zum Buch.

Ravegeschichte: 25 Jahre 1992Heute: „Sweet Harmony“ von Liquid

Schnapsideen – Erfindergeist im 21. JahrhundertDiesmal: Heatbuff, Connected Toaster und das Antifurzkissen