„Das war unser Woodstock!“Die Zeitmaschine Tilman Brembs über das wahrscheinlich größte Techno-Fotoarchiv der Welt

Tilman Brembs - Portrait

Tilman Brembs ist einer der wichtigsten Archivare der Berliner Clubkultur unter dem Stern des Techno. Der passionierte Fotograf hielt nach dem Mauerfall einfach drauf – respektvoll und voller Leidenschaft. Tänzer*innen, DJs oder schlicht das Drumherum: Brembs’ Bilder zeigen das, was in zahllosen Interviews und Oral Historys immer wieder erzählt wurde – intim, schonungslos und voller Empathie. Matti Hummelsiep hat ihn besucht.

Beim Durchblättern der Fotokisten erzählen Grimassen, bis zur Erschöpfung durchgeravte Körper, sich umarmende, tröstende, lachende Menschen, geschminkten Augen, die mal zu fertig, mal zu fröhlich in die Kamera von Tilman Brembs schauen, Geschichten von Exzessen. Von Freundschaften, aber auch von einer Zeit, in der sich ein Dresscode in der völlig neuen Szene noch gar nicht entwickelt hatte. Mit Gasmaske, im Batikkleid oder Anzug, Zigarettenfilter im Ohr, oder mit angebundenem Holzpfahl am Kopf auf die nächste Party? Alles war egal, alles war erlaubt!

Die Raver von damals haben ihre wilde Zeiten hinter sich, zumindest die meisten. Was sie alle vereint? Dabei gewesen zu sein. Als die Mauer fiel und die maroden Altbauten, Bunker, Keller, Wohnungen und Brachen in Ost-Berlin erobert wurden. Ein unbeschreibliches Gefühl von Freiheit soll das gewesen sein, sagen diejenigen, die damals dabei waren und vielleicht auch in den Fotokisten von Tilman Brembs gelandet sind. Auch der gebürtige Hesse – einer der wenigen Chronisten der Berliner Technoszene in der Zeit von 1991 bis 1997 – genoss diese Freizügigkeit und machte sein Hobby zum Beruf. 1992 stieg er bei der Frontpage als Fotograf ein, zog durch die Clubs: zum Beispiel den alten Tresor, das E-Werk und den Planet, bis die Zeitschrift 1997 den Betrieb einstellte und auch der Fotograf seine Kameras beiseite legte.

Unter dem Synonym Zeitmaschine pflegt er heute die mehr als 10.000 Fotos, von denen einige ihren Weg in Ausstellungen, in unzählige Medien und Online gefunden haben. Auch das Buch „Over Rainbows“ ist kürzlich in kleiner Auflage erschienen. Ein Interview über die Feierzeit ohne Internet, ein deutsches Büffet für Jeff Mills und in welchen Momenten das Fotografieren tabu war.

Wann bist du mit Techno zum allerersten Mal in Berührung gekommen?
Ich war mit meinen Jungs wie immer im Cha Cha und Dschungel in der Nürnberger Straße. Das war früher die Partymeile. Ein Typ meinte dann, im Osten hat ein neuer Laden namens Tresor aufgemacht. Wir sind also zum Potsdamer Platz gefahren. Oben im Globus lief ja eher TripHop oder auch mal HipHop. Wir haben uns gewundert, was hier so besonders sein soll, vom Ostcharme mal abgesehen. Dann kam ein Typ aus dem Keller hoch, total nass geschwitzt, und meinte: „Wart ihr schon unten?“ Dann haben wir erst gecheckt, dass der Tresor unten ist. Das war einfach unglaublich, der Nebel, diese Dunkelheit.

Wolltest du die Szene damals bewusst dokumentieren, weil es etwas besonderes war?
Das werde ich immer wieder gefragt, ob ich mir dessen bewusst war. Da kann ich nur mit einem Zitat von Falco antworten: „Wer sich an die 80er erinnern kann, hat sie nicht miterlebt.“ So war das bei Techno auch. Wir waren uns alle nicht darüber bewusst, was wir da eigentlich machen.

Hast du auch heimlich Fotos von Leuten gemacht?
Die Leute haben schon gesehen, dass ich etwas in der Hand halte. Wer fotografiert wurde, hat das also gesehen – und mir vertraut. Das merkt man den Bildern auch an, wenn sie direkt in die Kamera gucken. Ich habe ja mit den Leuten zusammen gefeiert und zwischendurch eben die Fotos gemacht. Ich bin also nicht vorbeigekommen, hab ein Bild gemacht und dann weiter. Das wäre auch zu distanziert gewesen. Ich glaube, die Offenheit, die man in den Bildern spürt, wäre sonst nicht zu sehen.

Tilman Brembs Portrait 02

Aber sind die Momente auf den Fotos dann nicht auch immer gestellt?
Sind Fotos nicht immer durch irgendetwas gestellt? Klar, kann man das heimlich machen, aber das ist dann eine andere Art von Fotografie. Meine Bilder haben immer etwas mit Inszenierung zu tun und ich glaube, dass da ein ganz großer Teil von mir mitschwingt. Es klingt vielleicht etwas vermessen, aber Leute, die heimlich fotografieren, trauen sich vielleicht nicht, offensiv zu fotografieren.

Hattest du damals einen Lieblingsclub?
Ja, den Tresor. Das war wie ein Abenteuerspielplatz, und natürlich war da auch jeder auf seiner ganz persönlichen Suche nach irgendetwas. Ich hatte einen Schlüssel – dann haben wir uns manchmal schon vormittags getroffen. Aber zum Fotografieren war es schwierig. Es war ja wie in einer Tropfsteinhöhle da unten. Wir haben immer gescherzt, dass das der Schweiß von den Leuten war, der von der Decke tropfte. Und jeder, der gehustet hat, hatte den Tresor-Husten, der schwarze Schimmel, der sich in der Lunge ansiedelt. Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, wie das da zuging.

„ Als ich 1992 anfing für die Frontpage zu arbeiten, gab es eine Art Ehrenkodex, niemanden zu fotografieren, der Drogen konsumiert.“

Gibt es Fotos, die besser niemand sehen sollte?
Klar, jede Menge sogar. Das ist unvermeidbar. Als ich 1992 anfing für die Frontpage zu arbeiten, gab es so eine Art Ehrenkodex, niemanden zu fotografieren, der Drogen konsumiert. Aber auch diskreditierende Situationen, bei denen Leute völlig breit rumliegen, habe ich nicht aufgenommen. Es ist ja auch ganz klar eine Sache der Vernunft und Ethik, da nicht die Kamera draufzuhalten. Ich schaue mir das aber gerne an, um ganz ehrlich zu sein. Sie lagern in meinem Giftschrank.

Wollten manche auf keinen Fall fotografiert werden?
Vielleicht hat man sich früher mehr gehen lassen, weil es keine Handys gab. Es gab ja diese Angst nicht, dass etwas in den Sozialen Medien landen könnte. Von daher hatte eigentlich nie jemand ein ernsthaftes Problem damit, von mir fotografiert zu werden. Allerdings gab es bei Frauen einen ganz bestimmten Blick, der mir sagte, jetzt bitte kein Foto. Ich finde es aber auch nicht schlecht, wie es heute ist. Jeder kann Fotos machen, alles wird fotografiert. Dass aber alles sofort in den Sozialen Medien landet, ist schwierig. Denn das hat zur Folge, dass sich die Leute anders verhalten. Sie verkneifen sich einiges, weil sie buchstäblich nicht im schlechten Licht stehen wollen.

Zeitmaschine Underground Resistance Tresor

Das Büffet für Underground Resistance im Tresor, Anfang der 1990er-Jahre. Foto: Zeitmaschine

Erzähl mir die Geschichte zu einem der Fotos.
Jeff Mills und Blake Baxter von Underground Resistance haben auf ihrer ersten Europatour Station im Tresor gemacht. Wir malten bei mir zu Hause große Banner mit den Buchstaben „UR“ drauf. Es gab sogar ein kleines Oma-Buffet mit Käse-Igel und Gürkchen, von dem unsere Gäste aus Amerika aber nichts probiert haben. Ich arbeitete damals im Tresor und fragte Jeff dann auf Englisch, ob wir jetzt noch zur Afterhour in den Walfisch gehen. Sie wollten aber ins Hotel zurück und ich sagte: „What? Are you a man or are you a girl?!“ Seine Antwort: „Who the fuck is this guy?!“ Die waren ja damals eher patriarchalisch geprägt und von der Attitude wie HipHopper. Er war total sauer und da wusste ja noch keiner, dass der mal weltberühmt wird. Auf dem Bild siehst du, wie nah ich den Leuten war.

Zeitmaschine Portrait von Jeff Mills

Der junge Jeff Mills

Zeitmaschine Zahnlose Musikerin

"Zahnfee". Foto: Zeitmaschine

Was hat es mit ihr auf sich?
Das ist eines meiner Lieblingsbilder. Die Frau war kurz davor, mit ihrer Band auf die Bühne zu gehen, hatte sich aber kurz davor die Implantate rausgebrochen – man sieht noch die Stifte. Vielleicht wollte sie eine Bierflasche mit den Zähnen aufmachen. An der Wange und am Hals sieht man noch etwas Blut kleben. Sie ist dann einfach auf die Bühne und hat ihre Show gemacht. Das Bild ist so sinnbildlich für die Haltung damals, dass einfach alles scheiß egal ist und man alles machen kann, egal was andere denken. Es war genau das Gegenteil von diesem ganzen Posing von heute. Heute würde sich ja niemand mehr so fotografieren lassen. Es sei denn, er ist Punk.

Trauerst du der Zeit nach?
Nein, überhaupt nicht. Es ist mir mit Zeitmaschine ein großes Anliegen, eben nicht zur „Früher war alles besser“-Fraktion gezählt werden. Das war unser Woodstock. Wir haben diese Zeit, die unwiederbringlich ist, erlebt, und ich habe sie dokumentiert.

Auf deiner Webseite steht sehr markant, dass es früher eine Gemeinschaft war, egal, ob du in Designerklamotten, oder in Second Hand-Klamotten zur Party gekommen bist. Dass es egal war, ob du schwul, klein, dick, dünn, schwarz oder weiß warst. Dass man keine Unterschiede spürte und dass das heute undenkbar wäre. Das klingt alles sehr kulturpessimistisch.
Die Fronten sind heute stärker verhärtet, würde ich sagen. Jedenfalls kann man heute keinen Hooligan mehr Arm in Arm mit einem Schwulen fotografieren. Das ist einfach so, aber das hat nichts mit der Feierkultur zu tun, sondern mit gesellschaftlichen Entwicklungen. Heute scheint ja alles gespalten zu sein: Radfahrer gegen Autofahrer, Mieter gegen Vermieter. Es ist irgendwie alles fraktioniert und separiert – früher war das noch anders.

Es wird manchmal auch sehr romantisiert, finde ich. Viele haben sich durchs Feiern ja auch total verrannt in ihrem Leben. Zumindest ist das heute so.
Klar, das will ich auch gar nicht bestreiten. Es war auch nicht alles schön, wie es bei der Loveparade mit dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ immer hieß. Aber es gab diese Aufbruchstimmung durch die Maueröffnung, als sich beide Seiten vermischten. Das hatte vorher niemand geahnt, und dieses Gefühl war einfach toll! Ich wollte dir aber noch etwas anderes zeigen.

Gerne.
Ich habe ja ständig fotografiert und manchmal wollten die Leute auch mich fotografieren. Hier sind ca. 1.000 Fotos von mir drin. Ich habe sie irgendwann aussortiert und festgestellt, dass ich auf einer ganzen Menge Parties war.

Das Buch „Over Rainbows“ kann hier bestellt werden. Einige von Tilman Brembs’ Fotos sind noch bis zum 30. November in der Ausstellung „No Photos on the Dance Floor! Berlin 1989—Today“ in der Berliner C/O zu sehen.

Zeitmaschine Club 01

Eingang E-Wek

Zeitmaschine Club 02

Holz. Rechts: Marusha

Zeitmaschine Club 03
Zeitmaschine Club 04
Zeitmaschine closer

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