Schnapsideen – Erfindergeist im 21. JahrhundertDiesmal: Fingernagel-Tracking, Livestream-Dildos und Urlaubsverweigerung

Schnapsideen iv Start

Technologien können die Welt verbessern. Können …

In unserer Welt der nicht aufhörenden Digitalisierung und permanent fortschreitenden, globalen Machtergreifung durch das Silicon Valley glauben wir alle mittlerweile daran: Technologien können unsere Welt verbessern. Ausgeprägter Erfindergeist und tolle Produkte machen den Alltag einfach geschmeidiger. Muss ja. Jeder kann Daniel Düsentrieb sein, lautet die Devise. Dass dabei nicht alle Geniestreiche so revolutionär sind wie die Erfindung der Dampfmaschine, man kann es sich denken. Diesen Monat: Fingernagel-Tracking, Livestream-Dildos und Urlaubsverweigerung mit Tablet.

Mu Schnapsideen 4

Mu

Diese kleinen fingernagelgroßen Plastikfitzelchen heißen Mu und sollen Vergesslichen helfen, Dinge wieder zu finden. Eigentlich ja eine praktische Angelegenheit: Auto, Handy, Schlüssel, Tasche – nur zu oft weiß man nicht mehr, wo man diese Objekte das letzte Mal gesehen hat. Wie praktisch das doch sein kann, wenn man ein sensibles GPS-Ortungssystem mit dazugehöriger Karten-App am Start hat. Mu benachrichtigt zum Beispiel den User sogar, wenn der eigene Koffer in der Gepäckausgabe im Flughafen ausrollt. User von Mu können theoretisch ihre gesamte Habitat mit den kleinen Sendern taggen, die Akkus sollen auch bis zu drei Monate halten. Einmal drangepappt und das Tracken kann beginnen. Und schnell dürfte man auf die Idee kommen, nicht nur Dinge sondern auch Hunde, Katzen, Kinder und Ehefrauen damit heimlich zu markieren. Wer ist sich als eifersüchtiger Ehemann oder Ehefrau schon sicher, ob der Partner wirklich beim „Sport“ ist oder das Meeting wirklich so lange dauert? Ein paar Mus im Auto, Handtasche und Mantel versteckt, easy. Das Gleiche gilt für weitere Familienmitglieder: Wer weiß, ob das renitente Teenager-Kind auch ja wirklich zur Schule geht und nicht irgendeinen Scheiß („Nicht mit dem Boyfriend rumfummeln!“) baut. Paranoikern und Überwachungsfetischisten dürfte Mu einen wohligen, orgasmatischen Schauer bereiten. Wer hätte gedacht, dass Personenüberwachung so einfach, billig und perfide sein kann. Was sagt die Zunft der Privatdetektive eigentlich dazu? Einen Koffer zu verlieren, ist ohne Frage ärgerlich. Ein Device wie Mu ist unterdessen in den falschen Händen einfach nur gefährlich. Das dürften aber nicht alle so sehen: „Wieso? Ist doch voll praktisch?!“ Ja ne, ist klar …

Mu

Siime Vibrator Schnapsideen 4

Siime Eye

Sieht aus wie ein Accessoire aus Sailor Moon, ist aber ein Vibrator mit integrierter Kamera, LED-Licht und Internetanschluss. In Zeiten von Cybersex und Fernbeziehungsinfluencerpärchen, die sich alle drei Monate für ein Wochenende sehen, soll auch hier das Gefühl der Fernnähe evoziert werden. Welch erotische Vorstellung: Man verabredet sich zum Televerkehr und der Partner darf der Frau dabei per Livecam zusehen, was sonst eigentlich nur ein Gynäkologe oder Proktologe (wenn überhaupt) bei einer Untersuchung zu sehen bekommt. Grell ausgeleuchtete Livestreams vom feuchten Gebärmuttermund? Macht das wirklich geil? Soll ja jeder seine Selfies und Snaps machen wie er will, meinetwegen auch inside out. Wenn da nicht, wie so oft beim Internet of Things, das Problem der Sicherheit wäre. Denn die Hersteller dieses 250 Dollar teuren Vibrators haben darauf nicht sonderlich geachtet und schnell hat man herausgefunden, dass sobald das Sex-Toy einmal in Betrieb ist, theoretisch wildfremde Menschen bei den Doktorspielchen mitgucken können. Und so sind auch bereits ungefragt einige Videos mit sexuell konnotierten Unterleibsuntersuchungen im Internet aufgetaucht. Wobei Vaginoplastie ist in Hollywood, Miami und anderen Schönheitshochburgen ja seit Jahren ein großes Ding. Vielleicht geht es bei diesem Gerät nur um die Beweisführung, dass man auch wirklich mehrere tausend Dollar für so eine OP rausgelassen hat. Bei einer Brust-Vergrößerung und Botoxbehandlung sieht man die Ergebnisse ja schnell. Das ist bei vaginoplastischen Operationen eindeutig schwerer zu beweisen. Man kann sich den kalifornischen Rich-Housewife-WhatsApp-Gruppenthread nur zu gut vorstellen: „Hey Chicas, wollt ihr sehen, was ich in Miami hab machen lassen? Hier der Link! #soawesome #lifeisgreat #whatmoneycanbuy #neverjealousagain“

Siime Eye

Beachgoer Schnapsideen 4

Beachgoers Reading Room

Sommerzeit ist bekanntlich Urlaubszeit und viele Digital Natives macht dieser Umstand im Vorhinein schon ziemlich nervös. Wie ätzend so ein Strandurlaub doch eigentlich ist. Ekelhafte Sandkörner überall, grelle Sonne, Quallen, salziges schmutziges Wasser und im schlimmsten Fall muss man auch noch Beachball spielen oder Sandburgen bauen. Bäh, wie anarchisch, unkultiviert, langweilig und wenn dann Leute auch noch meinen: Dann lies doch ein Buch! Echt jetzt? Geht’s noch? Bücher? Tsssss … Zum Glück gibt es diese komplexe und mit 150 Dollar auch ziemlich preisige Vorrichtung extra für den Strand. Beachgoers Reading Room nennt sich dieses Accessoire ganz aristokratisch und ist am Ende ein Sonnenschutz mit integrierter iPad-Halterung. So lässt es sich am Strand endlich aushalten. Stundenlang Netflix gucken, ohne blendende Displays, ganz wie Daheim im Februar. So soll es sein.

Beachgoers Reading Room

„Ich bin weder Preacher noch Entertainer!“Interview: Nick Höppner über den Beruf Techno

Wochenend-WalkmanDiesmal mit Bartellow, Sufjan Stevens, Bryce Dessner, Nico Muhly, James McAlister und XXX