Review: Motorola OneEine Notch macht noch keinen Sommer
1.11.2018 • Technik & Wissen – Text & Fotos: Thaddeus HerrmannBei Motorola feiert man dieser Tage 90-jähriges Firmenjubiläum. Glückwunsch, StarTac forever und so. Und was schenkt man sich selbst zum Geburtstag? Ein iPhone. Das darf doch echt nicht wahr sein.
Kaum ein Design-Merkmal entzweit Smartphone-Connaisseusen und -Connaisseure mehr als die Notch auf den Displays: Die Einkerbung am oberen Rand, um Hörmuschel, Frontkamera und was auch immer unterzubringen, gleichzeitig links und rechts davon jedoch den Bildschirm wirklich bis an den Rahmen aufziehen zu können. Notch? Klar, die hat Apple erfunden, um auf dem iPhone FaceID realisieren zu können. Stimmt nicht. Die ersten Notches wurden in der Android-Welt integriert. Aber wie es eben oft der Fall ist, wurde Apples Notch-Form zur gestalterischen Norm – vollkommen egal, ob man nun tatsächlich technische Bauteile verbauen will, die diese Aussparung unabdingbar macht. Das ist schon irgendwie tragisch und dramatisch. Bei Motorola hat man sich diesem Trend bislang erfolgreich verweigert. Und nun? Zum 90. Geburtstag? Übernimmt man beim One nicht nur die Cupertino-Kerbe, sondern kopiert das iPhone X auch sonst praktisch 1:1. Ist das nun ökonomischer Druck oder pure Verzweiflung?
Vom Design-Team bei Motorola fordere ich deutlich dickere Eier. Mann, Mann, Mann.
Weil: Immerhin sprechen wir hier von Motorola. Deren Telefone waren in den vergangenen Jahren zwar keine Meisterleistungen in Sachen Design, es ging aber immerhin voran. Und: Die meisten Geräte waren und sind in einer realistischen Preisklasse angesiedelt, waren immer klar als Motos zu identifizieren und lebten glücklich und zufrieden ein unauffälliges Leben im unüberschaubaren Dickicht des Überangebots. Das ist aus Company-Sicht natürlich nur so semi-geil, aber doch besser als nichts. Es gilt doch, einen Ruf zu verteidigen. Motorola, hey, das waren doch mal große Disrupteure. Mir ist schon klar, dass man eine derartige Rolle nicht über mehrere Jahrzehnte aufrecht erhalten kann – und auch gar nicht muss. Und es ist okay, wenn dahergelaufene China-Buden das iPhone X nachbauen – das merkt eh niemand. Vom Design-Team bei Motorola fordere ich aber deutlich dickere Eier. Mann, Mann, Mann.
Projekt Zukunft
So, Rant vorbei, ihr wisst ja auch noch gar nicht, womit ihr es hier überhaupt zu tun habt. Das Motorola One ist – wieder mal – in der Mittelklasse angesiedelt und geht aktuell, weil noch sehr neu, für 300 Euro über die Ladentheke. Vorne Glas, hinten Glas, die Verarbeitung ist vorbildlich. Verbaut sind 4 GB RAM und 64 GB interner Speicher, natürlich erweiterbar. Klingt doch alles ganz in Ordnung? Ist es auch, aber selbst für diesen Preis nur noch mit einem zugedrückten Auge, wenn man die Produkte von Mitbewerbern in den Blick nimmt. Denn das 5.9" große Display – Motorola nennt das Max Vision – ist a) eher blass und löst b) nur mit 720p auf. Ersteres macht wirklich wenig Spaß, letzteres nehme ich aus alter Verbundenheit hin – aber nur noch dieses eine Mal. Und auch der Prozessor ist alles andere als aktuell: Der Snapdragon 625 von Qualcomm hat mittlerweile zweieinhalb Jahre auf dem Schaltkreis-Buckel. Das klingt eher nicht nach einer Investition in die Zukunft.
Android One schafft Sicherheit beim Kunden und setzt die Software-Abteilung von Motorola ein bisschen unter Druck. Mir scheint, das können die ganz gut gebrauchen.
Aber: Motorola wählt einen guten Kniff, damit aus dem One ein gutes Paket wird, den man sich generell von allen Herstellern von Android-Telefonen wünscht. Als OS ist Android One aufgespielt. Motorola One, Android One? Knick knack. Aber war Android One nicht diese bis auf die Grundfeste abgespeckte Version von Googles Betriebssystem, um die „Schwellenländer“ zu kapern, in denen Telefone am besten gar nichts kosten, und technisch mehr als bescheiden ausgestattet sind? Ja, aber nein. Beziehungsweise nicht mehr. Android One steht heute vielmehr für pures Android. Konkret bedeutet das: Die Hersteller können nur sehr eingeschränkt am Code daddeln und dürfen schon gar keine eigene Skin installieren.
Das bedeutet: gute Performance einerseits, weil kein nutzloses GUI die Pipes verstopft, und schnelle Updates andererseits – ein generelles Problem im Android-Lager. Auf dem Motorola One läuft aktuell Android 8, Version 9 soll in den kommenden Wochen folgen, ein Update auf Version 10 ist garantiert. Auf dem europäischen Markt ist das One Motorolas erstes Telefon, das mit Android One ausgeliefert wird. Irgendwie auch ein bisschen skurril, denn eine eigene Skin gab es bei Moto eigentlich noch nie, aber hey: Die Zertifizierung schafft Sicherheit beim Kunden und setzt die Software-Abteilung in Chicago ein bisschen unter Druck. Mir scheint, das können die ganz gut gebrauchen.
Blasse Trauer
So gibt es an der Performance des neuen Smartphones auch wenig bis gar nicht zu bemängeln. PUBG mag keine gute Idee sein, aber das weiß man, bevor man ein Telefon für 300 Euro kauft. Apps öffnen schnell, beim Scrollen ruckelt nichts, Facebook funktioniert. Whatsapp bestimmt auch. Es ist nur wahnsinnig schade, dass einem das Display die Freude am Motorola One nimmt. Ich erwarte für diesen Preis kein OLED und auch kein 4K. 720p? Von mir aus, geschenkt, auch wenn’s weh tut.
Aber es wäre doch hoch anständig gewesen, wenigstens auf die Qualität des LCD zu achten und was mit Farbe zu bestellen. Mit Kontrast. Was Lebendiges. Was Schönes. Und wenn das dann drei Dollar mehr kostet: Meinetwegen. Die kann sich die Konzern-Mutter Lenovo gerade noch leisten.
So bot sich mir in den vergangenen Wochen ein sehr durchwachsenes Bild: Das Motorola One lag brav und geladen auf dem Tisch und wurde von mir so gut es geht ignoriert. Tat mir ein bisschen leid – ging aber nicht anders. Ich wollte nichts lesen, nichts schauen, nichts nachschlagen. Und mir die Fotos, die ich gemacht hatte, nicht anschauen. Die Dual-Kamera auf der Rückseite mit 13 und 2 Megapxieln (mit ƒ/2,0 und ƒ/2,4) ist okay, die Selfie-Knipse mit 8 Megapxixeln und ƒ/2,2 eher nicht. Immerhin: Wer ein One kauft, kann bei Google Fotos alle Bilder unbegrenzt in Original-Auflösung speichern. Ein guter Deal. Die Frage ist nur: für wen?