Review: Beats Solo 4 – der neue OnEar-Kopfhörer aus dem Dre-Universum1.000 Jahre sind ein Tag
27.5.2024 • Technik & Wissen – Text & Fotos: Thaddeus HerrmannNach acht Jahren legt Apples Kopfhörer-Marke Beats den Solo neu auf. Die vierte Iteration des Allrounder-Bügelkopfhörers für auf und nicht über die Ohren verspricht dabei technisch den Sprung in die Jetztzeit. Moderne trifft Tradition? Thaddeus Herrmann hat hingehört.
Wenn ein Unternehmen einen Kopfhörer acht Jahre lang praktisch unverändert im Portfolio behält, macht das heutzutage erstmal stutzig. Vor allem bei einer Firma wie Beats. Die Apple-Tochter ist nicht gerade bekannt für handgeschnitzte und mundgeblasene Komponenten, die für die Ewigkeit gemacht sind. Auch nicht für über alle Zweifel erhabene Audiotechnik, bei Mondschein mit Gold bedampfte Treiber, Bügel aus Schweizer Kirschholz, Ohrpolster aus Leder von Kühen, die der Verwertung ihrer Haut in ihren Testamenten zugestimmt haben usw. Bei solchen Companies sind acht Jahre schier unendlich lang. Aber: Was ist schon Zeit?
Vielleicht waren die Entwickler:innen schlicht und einfach content. Vielleicht hatten sie auch Wichtigeres zu tun. Vielleicht waren sie auch einfach zu wenige, um ein Produkt, das sich gut verkauft, zeitnah anzufassen. Vielleicht wurde der Solo 3 auch einfach vergessen im Portfolio-Dickicht. Vielleicht weil das Product-Team den letzten Chopper vom Burning Man 2020 verpasste und spontan entschloss, den Sound der Wüste mit den eigenen Ohren in einer Langzeitstudie zu erkunden.
Was ist schon Zeit. Zeit wird im Kopfhörer-Business ja eigentlich erst dann relevant, wenn der technische Fortschritt ein Produkt final anzählt. Beim Solo 3 war dieser Punkt schon seit längerem erreicht. Acht Jahre. Das ist so lange her, dass ich fast vergessen hätte, damals mehr oder weniger live dabei gewesen zu sein. Ergo gibt es nun den Solo 4 – die neue Version des Brot-und-Butter-OnEars.
Von außen
Zunächst die (kosmetischen) Fakten. Vorausgeschickt sei folgendes: Mit 230 € Listenpreis ist der Beats Solo 4 nicht gerade ein Schnäppchen. Nicht, weil es nicht in Ordnung wäre, diesen Betrag für gute Headphones zu investieren – und der Solo 4 ist eigentlich ein guter Kopfhörer –, sondern weil dem drahtlosen OnEar dann doch einige Features fehlen, die in dieser Preisklasse 2024 mehr oder weniger als gesetzt gelten, aber dazu später mehr. 217 Gramm Gewicht bringt der Solo 4 auf die Waage: Das ist angemessen. Und tatsächlich auch angenehm zu tragen. Beats-Bügelkopfhörer haben ja seit jeher den Ruf, nicht den größten Tragekomfort zu bieten. Das hat mit der Bauweise zu tun, die eher auf kleinere Kopfformen ausgerichtet zu sein scheint. Ich kann dazu sehr gut relaten, schicke Mützen sind mir oft einfach zu klein, und auch bei Beats-Kopfhörern aus der Vergangenheit wurde mit der Druck auf den Ohren nach einer gewissen Zeit zu viel und unangenehm. Auch der Solo 4 liegt eng auf den Ohren – das OnEar-Design ist im Vergleich mit OverEar-Modellen dafür auch prädestiniert. Und doch passt er mir gut. Das mag am Memory-Schaum der Ohrpolster liegen, der nun der gleiche ist wie beim Studio Pro. Eine andere Erklärung habe ich nicht parat – mein Kopf ist definitiv nicht geschrumpft.
Am generellen Design hat man bei Beats nichts geändert – der Solo 4 sieht aus wie ein Beats-Kopfhörer. Ein wenig habe ich das schon über, aber egal. Das matte Mittelblau des Testgeräts ist zumindest eine angenehme Farbe, und das mit dem robusten Plastik (Recycling-Anteil „in zahlreichen Komponenten 50 % oder mehr“) hat das Unternehmen eh gut raus. Mut zu neuen Werkstoffen wünscht man sich ja schon lange bei Beats. Auch die Bedienung ist gelernt. Während unterhalb der rechten Ohrmuschel der USB-C-Anschluss (ja, 2024, Baby!) sitzt, erfolgt die Steuerung ausschließlich über die B-Taste an der linken Ohrmuschel. Hier folgt man den gelernten Kombination: Einmal drücken für die Wiedergabe oder die Annahme von Telefonaten, zweimal drücken für den nächsten Tracks, dreimal für den vorherigen. Und ein langer Druck aktiviert die Sprachassistenz. Die Lautstärke wird mit dem Drücken des oberen und unteren Randbereichs geregelt. Unter den linken Ohrmuschel befindet sich außerdem der 3,5mm-Klinkenanschluss.
Für das Protokoll: Zum Lieferumfang gehören neben dem Kopfhörer selbst eine praktische Transporttasche sowie ein USB-Kabel (C auf C) und ein 3,5mm-Klinkenkabel.
Von innen
USB-C ist natürlich nicht die einzige technische Neuerung beim Solo 4. Da ist zunächst der Klang. Der Schallwandler wurde laut Beats komplett überarbeitet. Orientiert habe man sich dabei am Fertigungsprozess großer Lautsprecher – eine technische Herausforderung im Kopfhörer-Business. Überprüfen kann ich das natürlich nicht, auch den tatsächlichen Novelty-Effekt nicht. Die neue Bauweise soll Verzerrungen im Klangbild reduzieren und die hohen Frequenzen besser zur Geltung bringen. Zudem ist der Solo 4 der erste und bislang einzige Beats-Kopfhörer mit passivem Treiber, was wiederum ermöglicht, über das Klinkenkabel auch dann Musik zu hören, wenn der Akku des Kopfhörers leer ist. Über das Klinkenkabel wird auch die Wiedergabe hoch und verlustfrei kodierter Files möglich. Mit dem USB-C-Kabel funktioniert Hören und Aufladen gleichzeitig.
Wie das nun klingt? Tatsächlich bemerkenswert „langweilig“. Und das ist als Kompliment gemeint.
Ich könnte den Sound auch als überraschend ausgeglichen und rund bezeichnen. Der Bass ist nicht übermäßig betont, die Mitten drücken nicht und die Höhen sind tatsächlich präsenter als ich es von früheren Beats-Kopfhörern in Erinnerung habe und zudem gut austariert. Bemerkenswert dabei: Im Streaming ist der Solo 4 bei Tracks und Alben, die nicht neu gemastert wurden, sogar vergleichsweise leise. Ich unterstütze das.
Gleichzeitig unterstützt der Solo 4 das 3D-Audio von Apple Music, ein weiterer Nicker gen Jetztzeit. Ich bekomme bei diesem Feature schweren Schwindel, bin also nicht Teil der Zielgruppe. Interessantes Detail: Beats setzt beim Solo 4 nicht auf Apples eigenen Audio-Chip (der Solo 3 verwendete noch den W1), sondern auf eine eigene Entwicklung. Was das bedeutet? Vor allem fast vollständige Feature-Parität für iOS- und Android-User:innen. Gute Sache. Auch neu sind die Mikrofone für die Telefonie. Die sind nicht mehr analog, sondern digital. Irre. Waren die wirklich analog im Solo 3? Stimmen sollen also im Solo 4 besser verständlich sein. Und damit das Digitale auch weiß, was Sache ist, wurde Maschinelles Lernen eingesetzt, um das System zu trainieren.
Einen weiteren großen Sprung macht der Solo 4 bei der Batterielaufzeit. 50 Stunden Wiedergabe sollen möglich sein. Dieser Wert scheint realistisch, auch wenn auf der Verpackung des Kopfhörers tatsächlich von den 40 Stunden des Vorgängermodells die Rede ist. Während meines Tests habe ich den Kopfhörer nicht einmal ans Netz gehängt. Zehn Minuten an der Steckdose soll fünf Stunden Playback ermöglichen. Und ist der Akku voll geladen, winken 36 Stunden Telefonie. Viel Vergnügen!
Im Alltag
Bleiben wir bei der Telefonie und nutzen sie als kleine Brücke zu den Aspekten, die mir beim Solo 4 nicht so gut gefallen. Ich will mit dem Beats-Neuling gar nicht telefonieren. Denn der Kopfhörer hat kein ANC, also auch keinen Transparenz-Modus. Da der Solo 4 stramm auf den Ohren liegt, habe ich Telefonate mit dem Kopfhörer als eher unangenehm empfunden. Zwar hörte ich meine Gesprächspartner:innen klar und deutlich. Meine eigene Stimme hingegen drückte dumpf auf den Kopf, wirkte zu laut. Zugegeben: Ich bin in dieser Beziehung recht empfindlich. Wenn ich mit den AirPods Pro unterwegs bin und ich angerufen werde, aktiviere ich als erstes den Transparanzmodus. Beim Solo 4 habe ich diese Option schlichtweg nicht, die Kopfhörer lassen sich nicht„auf Durchzug“ schalten. Die enge Passform resultiert außerdem in der verstärkten Wahrnehmung von Trittschall. Das ist je nach Art der Musik mehr oder weniger spürbar bzw. unangenehm(er), belegt aber vor allem, wie eng die Solo 4 wirklich auf den Ohren liegen. Dass ich das auf nach längerer Verwendung nicht als stressig empfinde, ist mir ein Rätsel.
Kein Rätsel ist mir hingegen, warum Beats auf das ANC verzichtet: Im Alltag ist des ob der sportlichen Passform schlicht nicht notwendig – zumindest bei Musik. Doch selbst bei Podcasts schlägt sich der Solo 4 in lauten Umgebungen noch sehr passabel. Fakt ist aber auch, dass es in der Kombination aus der Marke Beats, ihrer Reputation und dem veranschlagten Preis nicht akzeptabel ist, die aktive Geräuschunterdrückung in den Feature-Katalog mit aufzunehmen: 50 Stunden Akkulaufzeit hin oder her.
Irritierend ist außerdem, dass bei der Entwicklung auf eine andere praktische Funktion verzichtet wurde: das automatische Abschalten. Nimmt man den Solo 4 vom Kopf, läuft die Musik einfach weiter – und zunächst auch mit dem Telefon verbunden. Das ist keine große Sache, aber doch etwas, was ich 2024 gerne gesehen hätte.
1.000 Jahre sind ein Tag
Klanglich überzeugt mich der Beats Solo 4 durchaus. Passform und Tragekomfort sind Dinge, die Menschen ohnehin mit sich selbst bzw. Kopfform ausmachen müssen. In der technischen Ausstattung geht der neue Kopfhörer zwar in die richtige Richtung, mir persönlich aber nicht weit genug. Die Fan-Gemeinde wird entscheiden, ob der neue Solo auch in den kommenden Jahren so populär wird und bleibt wie sein Vorgänger. Sicher bin mir hier nicht. In den vergangenen acht Jahren hat nicht nur viel Innovation stattgefunden – sie wurde von einigen Hersteller:innen auch in niedrigere Preissegmente durchgereicht. Alternativen gibt es für 230 € reichlich am Markt, auch wenn der Straßenpreis Beats-typisch natürlich schon bald fallen dürfte.
À propos bald: Nochmal acht Jahre sollte Beats nicht verstreichen lassen bis zum Solo 5. 1.000 Jahre sind ein Tag? Im Hyper-Loop des Fortschritts ist das bei vielen Protagonist:innen schon angekommen.