Review: Apple AirPods Pro (2. Generation)Silence Is Golden
27.9.2022 • Technik & Wissen – Text & Fotos: Thaddeus HerrmannDass ein technisches Gadget drei Jahre lang unverändert verkauft wird, ist in unserer „innovationsgetriebenen Gesellschaft“ (das ist Sprech für Hyper-Kapitalismus) mehr als ungewöhnlich. Und doch hat man sich bei Apple so lange Zeit gelassen mit der Veröffentlichung der zweiten Generation der AirPods Pro. Kopfkratz. Beziehungsweise: Stöpsel rein. Was die neuen InEars können oder auch nicht, weiß Thaddeus Herrmann.
Wie üblich hören wir uns zunächst das Stück Musik an, das diesem Text die Headline verpasst hat. Uwe Schmidt: ❤️!
Egal ob ich mich morgens gen Büro aufmache oder Homeoffice-Tage mit einem ausgedehnten Spaziergang durch den Berliner Tiergarten beginne: Auf beiden Routen mache ich Musik oder Podcast an ganz bestimmten und immer denselben Orten aus. Ich höre einfach nichts mehr bzw. nicht mehr das, was aus den AirPods Pro kommt, sondern nur noch LKWs, Sightseeing-Busse, Huperei und Rumpelei. Die InEars von Apple mit der aktiven Geräuschunterdrückung (ANC) sind seit drei Jahren mein täglicher Begleiter. Sie machen beim Ausblenden der Umgebungsgeräusche einen guten bis sehr guten Job, müssen sich ab einer bestimmten Dezibel-Belastung jedoch einfach geschlagen geben. Für mich ist das in Ordnung. Ich habe meinen Frieden damit gemacht, nicht zuletzt weil sie im Alltag, wenn ich out and about bin, praktischer sind als die AirPods Max. Die schallern mit ihrer Gegenschall-Power zwar deutlich mehr zwar deutlich mehr Verkehrslärm aus den Gehörgängen, sind mir für längere Unterwegsstrecken dann aber doch ein wenig zu viel auf dem Kopf, den ich ja in der Regel frei kriegen und nicht weiter belasten möchte.
Für drei Jahre Dauerbetrieb sind meine AirPods Pro noch in erstaunlich gutem Zustand. Natürlich bringen die Akkus nicht mehr die volle Leistung, ich muss das Case öfter laden. Die Stöpsel selbst laufen aber immer noch mehrere Stunden. Ein gutes Zeichen. Ich will mir überhaupt nicht vorstellen, wie viele Millionen AirPods in den letzten Jahren nicht beim Recycling, sondern im Hausmüll gelandet sind. Dass sich die rundum verklebten InEars, ihre Akkus, ihre seltenen Erden etc. überhaupt vernünftig recyceln lassen ... vorstellen kann ich mir das nicht. Trotz aller Versprechen.
Jetzt, drei Jahre und eine kleine Preiserhöhung später, bringt Apple die zweite Generation der AirPods Pro in den Handel und verspricht einiges. Der neue H2-Chip soll Fortschritte im Klang, bei der Geräuschunterdrückung und der Akkulaufzeit umsetzen. Außerdem wurden die Silikon-Tips überarbeitet und um eine Größe (XS) erweitert. Und: Die Schäfte der AirPos Pro reagieren für die Regulierung der Lautstärke nun auf Touch. Also. Dann gehen wir mal spazieren.
Ruhe bitte!
Das ist Next-Level-Abschirmung.
Ich habe mich mit der Zeit so an den Ablauf gewöhnt, dass ich ihn gar nicht mehr bewusst wahrnehme. Ich stecke die AirPods Pro in die Ohren, der Pairing-Sound erklingt, und meine Umwelt klingt angenehm wattiert. Mit der neuen Generation laufe ich fast gegen den Laternenpfahl, so irritiert bin ich. Ich höre praktisch nichts* mehr von meiner Umgebung. Was ist denn hier los!? Spontane Taubheit? Oder bin ich noch gar nicht aufgestanden und träume nur? Ich gehe zunächst noch ohne Musik die Straße runter, schalte zwischen ANC und Transparenz-Modus hin und her. Das ist Next-Level-Abschirmung. Am Altglascontainer entsorgt jemand die Flaschen des vergangenen Wochenendes. Das Klirren ist weit weg. Bevor ich zum ersten Mal eine Straße überquere, schalte ich auf Transparenz. Das wäre mir sonst zu heikel, ein Novum nach drei Jahren AirPods Pro der ersten Generation.
Tatsächlich leistet der H2-Chip hier offenkundig ganze Arbeit. Unangenehm fühlt sich das nicht an, im Gegenteil: kein Druck, kein Rauschen, einfach nur mehr Stille. Die Müllkutscher:innen rollen randvolle Megatonnen aus den Hinterhöfen über das Kopfsteinpflaster gen Laster. Riecht ein bisschen streng, klingt und rattert aber kaum. Äußerlich sind die neuen InEars kaum von ihren Vorgängern zu unterscheiden, das Audio-Team in Cupertino hat jedoch Mikrofone und die „Bassklappe“ neu positioniert. Vielleicht macht das den Unterschied aus – natürlich in Kombination mit den neuen Algorithmen, die das ANC steuern, berechnen und kontinuierlich anpassen. Klingt nach Marketing, der Effekt ist aber echt und beeindruckend. Wäre ja auch enttäuschend, wenn es nach drei Jahren in diesem Bereich nicht voran gegangen wäre. Nach zwei weiteren Kreuzungen und einem Zebrastreifen mache ich Musik an.
Calling all Bassdrums
Ich empfand den Klang der AirPods Pro immer als angemessen und ausreichend. An InEars habe ich kategorisch nur sehr begrenzte Erwartungen, auch wenn in diesem Segment in den letzten, na sagen wir mal, zehn Jahren schon ordentlich was passiert ist. Rückblickend würde ich diese Entwicklung als positiv bezeichnen, auch wenn das faktisch nur belegt, dass ich von wahrhaftem Klang keine Ahnung mehr habe. Setzt mir 4.000 Euro teure Studio-Kopfhörer auf, die so neutral klingen wie nur irgendwas: Die Chancen stehen gut, dass mit dieser Sound keinen Spaß machen würde. Ich brauche schon einen kleinen Kick unten und ein wenig Schmirgel in den Mitten. Jahrelang habe ich gegen diese Art von „Sound Signature“ angeschrieben, zur Hölle mit dem Smiley-EQs. Fakt ist: Die klingen ja schon ganz geil. Die AirPods Pro slammten im Rahmen ihrer Möglichkeiten schon gut. Wichtig dabei: Auch ohne ANC war bzw. ist der Sound total okay. Keine Selbstverständlichkeit bei Kopfhörern mit Geräuschunterdrückung.
Der Klang der zweiten Generation der AirPod Pro hat mit dem der ersten Generation wenig bis gar nichts mehr gemein. Die neuen InEars sind nicht einfach lauter – sie klingen direkter und fulminanter. Auffällig ist der zusätzliche Grip in den tiefen Frequenzen. Ich weiß, was ihr denkt, und ich hatte tatsächlich die gleiche Assoziation. Haben sich Dr. Dre und Jimmy Iovine vor dem Apple Park beherzt untergehakt, ihre alten Mitarbeiterausweise an die Security-Touchpoints gehalten, sich bis zum Audio-Team durchgefragt und mal Platz genommen? „Hi, Leute, na? Wir wollten mal Hallo sagen. Cooler Move mit diesen Beats Fit Pro in der Kim-Kardashian-Edition, aber ihr arbeitet doch bestimmt schon wieder an was Neuem, oder? Vergesst den Bass nicht. Den haben wir euch damals als Alleinstellungsmerkmal geschenkt.“
Kein Scheppern, keine Crazyness
Mit anderen Worten: Es pumpt ganz gut. Nicht übertrieben, aber die Taktgeberin unserer Alltagsmusik – die Bassdrum – steht mit den AirPods Pro der zweiten Generation wie eine Pfarrerin auf der Kanzel und brüllt ihr Hallelujah prägnanter denn je. Interessant und beruhigend dabei: Wenn der Bass tatsächlich mal nicht dem 4/4-Regime unterliegt und eine eigene Musikalität entwickelt, kommt es zu erfreulich wenigen bis gar keinen Verzerrungen im Klangbild. Wir sind hingegen live dabei, wie der Algorithmus – Apple nennt diesen speziellen „Adaptive EQ“ – hört, was in der nächsten Millisekunde auf den neu entwickelten Audio-Treiber zukommt und sofort den klanglichen Weichzeichner aktiviert. Nicht abbildbare Frequenzen werden so im Zaum gehalten. Kein Scheppern, keine Crazyness.
(An)sprache und Podcasts
Ich bin schon längst im Park angekommen, habe nach meinem Lieblingsbaum geschaut, der in wenigen Tagen wieder im herbstlichen Farbrausch erstrahlen wird. Ohne ANC skippe ich mich durch meine Podcast-Liste. Musik und Sprache sind Klanginformationen, die oft ganz unterschiedlich in Kopfhörern ankommen oder wiedergegeben werden. Der eine Treiber kann halt das eine besser, der andere das – ha! – andere. Die neue Bass-Verliebtheit der AirPods Pro der zweiten Generation tut der Sprachwiedergabe gut. Ich fühle mich näher dran an den Mikros und Schalten der Formate, die ich regelmäßig höre. Und während ich links die Eichhörnchen grüße und rechts die Enten frage, wie ihr Wochenende so war, schalte ich auf den Deutschlandfunk um. Der Livestream des Senders in der App ist mein Hass-Objekt Nummer Eins. Dieser 3D-Audio-Shit, also das Wandern des Stereobilds beim Bewegen des Kopfes, lässt sich einfach nicht ausschalten. Was auf der Couch mit einer Serie oder einem Film von zum Beispiel AppleTV+ wunderbar funktioniert, nervt in der morgendlichen Diskussionsrunde einfach nur mega hart. Aber dafür kann Apple nichts. Glaube und hoffe ich zumindest.
Extreme Momente
Ich spüre, wie die InEars gegen diese „klangliche Bedrohung“ ankämpfen, die Hotline ihres eigenen Algorithmus anrufen und um Rat fragen.
Das ANC soll nicht nur generell besser sein mit den AirPods Pro der zweiten Generation (was ja stimmt), sondern auch in besonderen Situationen, also immer dann, wenn „unerwartete“ geräuschliche Belästigungen auftreten, eben diese besser abfedern. Wir haben bereits gelernt: Das ANC ist deutlich besser, und die tiefen Frequenzen kommen besser zur Geltung. Was heißt das also für den Moment der Momente? Den Moment, in dem ein klappriger, vollkommen überladener LKW eine der berühmt-berüchtigten Berliner Holper-Pisten an uns vorbeifährt? Ich bin auf dem Heimweg, habe ob urbaner Umgebung das ANC wieder an, höre einen Tech-Podcast, in dem vier weiße alte Männer die Bedeutung des Genderns immer noch nicht verstanden haben (außer einem, aber der ist immer auf „Stumm“, weil es bei ihm regnet). Und dann kommt dieser Laster vorbei. Was bei der ersten Generation der AirPods Pro in einem Zusammenbrechen der Konzentration geendet hätte, braust das Schwergewicht vorbei, als wäre (fast) nichts gewesen. Als wäre diese Dieselschleuder auf dem Hof geblieben. Es bitzelt ein bisschen in den tiefen Frequenzen. Ich spüre, wie die InEars gegen diese „klangliche Bedrohung“ ankämpfen, die Hotline ihres eigenen Algorithmus anrufen und um Rat fragen. Es bitzelt halt ein wenig. Ein kurzes Rumpelpumpel. Und dann: vorbei. Over. Stille. Silence Is Golden.
Und sonst so?
Den Stunt der Touch-Bedienung für die Lautstärke hätte sich Apple imho sparen können. Touch und Kopfhörer – ein schwieriges Thema. Die gute Nachricht: Es funktioniert. Und vielleicht haben sich viele User*innen das ja auch gewünscht. Kudos. Mir leuchtet das als Mehrwert nicht ein. An diesen Schäften rumwischen, um Musik lauter oder leiser zu machen? Verstehe ich nicht. Aber: Es funktioniert verlässlich. Was ja auch schon viel wert ist.
Und sonst so – for real?
Das ist schon alles ziemlich sehr gut. Nach ein paar wenigen Tagen mit den neuen AirPods Pro bin ich all in. Und habe wieder Spaß daran, mich mit Kopfhörern zu beschäftigen. Mir war dieses Business ein bisschen egal geworden, und habe dabei auch ein paar Anbieter:innen links liegen lassen. Apologies. Die vergangenen drei Jahre waren ja aber auch mehr als furchtbar. Und auch wenn das Furchtbare in anderem Gewand unsere Welt nach wie vor bestimmt: Zuhören ist wichtig, vielleicht wichtiger denn je. Die neuen AirPods Pro können dabei helfen.