„Nur geil aussehen reicht nicht“Worum geht es heute beim Auto-Design?
25.6.2015 • Technik & Wissen – Text: Ji-Hun KimEin Auto muss heutzutage sehr viel mehr können, als nur von A nach B zu fahren. Digitalisierung, Vernetzung und intelligente Fahrassistenzsysteme bestimmen heute genauso die Autowelt, wie neue Vorlieben von Kunden, ein größer gewordener globaler Markt und neue Autoformen, die man vor 15 Jahren noch für unmöglich gehalten hätte. Vergangene Woche präsentierte Mercedes-Benz sein neuestes SUV-Modell der Fachwelt in Metzingen: den GLC. Wir trafen vor Ort den Leiter des Bereich Exterior Design, Robert Lešnik, und sprachen mit ihm über Design-Philosophien, die Abkehr vom Protz und worum es eigentlich beim Auto-Design im 21. Jahrhundert geht.
Von früher kennt man klassische Autoformen wie Stufenheck, Fließheck und Kombi. Heute ist das Angebot vielfältiger. Es gibt zahlreiche Hybridformen. Selbst vor der Kombination aus Geländewagen und Sportcoupé schreckt man nicht mehr zurück.
In der Tat, bis vor wenigen Jahren kannte man nur wenige Grundformen für Fahrzeuge. Mercedes-Benz hat Anfang der 80er mit dem sogenannten Baby-Benz, der auch als 190er bekannt ist, erstmalig angefangen, die damalige E-Klasse runter zu skalieren. Heute ist das die C-Klasse. Irgendwann kam man drauf, dass man mehr braucht, als nur eine Limousine in unterschiedlichen Größen. Dazu kam eine größere Konkurrenz und eine offenere Kundschaft, die besser informiert ist und mehr Wünsche hat als noch in den frühen 80ern.
Wie groß ist der Druck der Konkurrenz?
Die Konkurrenz beflügelt die Autoproduzenten gegenseitig. Heute wird genau geschaut, welches Konzept wo entwickelt wird. Mercedes hat vor zehn Jahren den CLS vorgestellt, ein Coupé mit vier Türen. Eine Form, die damals unvorstellbar gewesen wäre, aber heute von vielen Herstellern gebaut wird. Das Gleiche gilt für den GLC. Eigentlich handelt es sich um eine kleinere Version der M-Klasse, die Ende der 90er eingeführt wurde. Davor gab es auch solche Autos nicht. Heute geht es auch nicht mehr um Größe um jeden Preis. Es geht stattdessen um intelligente Fahrsysteme und die Frage: Wie wird Luxus modern interpretiert? Weniger um den protzigen Grill mit viel Chrom als viel mehr darum: Wie viel von den inneren Werten soll nach außen getragen werden?
Was gibt es noch für Gründe für solche Auto-Trends?
Die Antwort ist einfach: Viele möchten einfach höher sitzen. Und diese Idee wird dann auf unterschiedliche Klassen übertragen. Vans sind heute nicht mehr so gefragt. Der Kunde verzichtet gerne auf 20 cm Kopffreiheit, bevorzugt dafür aber größere Räder. Durch die höhere Sitzposition hat man vor allem eine bessere Rundumsicht.
Wie entsteht ein neues Automodell? Und was ist deine Rolle dabei?
Als Leiter des Exterior Design muss ich schauen, dass ein Auto gut aussieht (lacht).
Was macht ein gut aussehendes Auto aus?
Natürlich ist es nicht nur das Exterior Design. Aber es ist Fakt, dass das Äußere bei Autos ganz so funktioniert, wie das Äußere beim Menschen. Wie der erste Eindruck, wenn man einen Menschen sieht, ohne zuvor ein Wort mit ihm gesprochen zu haben. Da will man natürlich überzeugen. Dabei darf ein Auto auch mal polarisieren. Wir nennen es „Love it or hate it“-Design. Es geht darüber hinaus um den Charakter einer Marke, die Tradition, aber auch darum, einen vorhandenen Kunden zu halten, beziehungsweise einen Neukunden für die Marke zu gewinnen.
Bei der Entwicklung eines Autos haben bestimmt viele Leute ein Wörtchen mitzureden.
Mein Job ist, das zu koordinieren. Wir haben viele Designer, die machen hunderte von Skizzen und probieren alles Mögliche aus. Das Management, zu dem auch ich gehöre, bricht die Entwürfe auf zwei alternative Designs herunter. Am Ende entscheidet dann der Vorstand, welcher der beiden Finalisten in Serie geht.
Was sind am Ende die Argumente für ein Modell? Wie findet die Entscheidungsfindung statt?
Heute reicht es nicht mehr, sich einfach hinzusetzen und los zu zeichnen. Sogenannte Random Lines, die nach Tageslaune entstehen und dann produziert werden. Bei einem so großen Unternehmen wie Daimler ist eine Strategie wichtig. Als ich vor sechs Jahren bei Daimler angefangen habe, haben wir gemeinsam mit dem Design-Chef Gordon Wagener die Design-Philosophie der „sinnlichen Klarheit“ geschaffen.
Sinnliche Klarheit?
Das klingt auf dem ersten Blick profan, als läge es auf der Hand. Aber wir haben ein gutes Jahr an der Konzeption und Erarbeitung dieser Philosophie gearbeitet. Wie erreicht man runde, warme, attraktive Formen mit einem „Human Touch“ – etwas, das Mercedes von Anfang an ausgemacht hat? Uns geht es nicht so sehr um das Technische. Wir versuchen nicht, die härteste Kante ins Blech zu kriegen. Unsere Autos sind nicht aggressiv. Andere bauen böse guckende Autos mit riesigen Mäulern, die aussehen, als wollten sie die Kinder von der Straße wegfressen. Mercedes steht natürlich auch für Sportlichkeit und Motorsport, das darf aber nicht aggressiv wirken. Die rundlichen Formen eines GLC wirken menschlich. Wir nennen das „Natural Attraction“. Auch ein Bestandteil solch einer Philosophie, die man entwickelt.
Welche Rolle spielt Interdisziplinarität im Sektor Auto-Design?
Wir müssen schauen, was um uns herum in der Welt passiert. Da wäre es arrogant, zu sagen, man macht nur ein Auto und sonst nichts. Wie gesagt, mit neuen Modellen kann man auf Trends reagieren und diese auch mit gestalten. Mit dem smart wurde das unlängst bewiesen. Das Leben in der Großstadt hat sich in den vergangenen Jahren enorm verändert. In Paris passt ein smart besser als eine große Limousine, wo Straßen verstopft sind und Parkplätze rar. Klar gibt es auch Einflüsse aus der Mode, aber dort gibt es drei Kollektionen im Jahr. Da funktionieren Trends viel schnelllebiger. So was kann man bei einem Auto, das in meinen Augen das komplexeste Industriedesign-Produkt überhaupt ist, nicht umsetzen und sich auch nicht leisten. Es spielen Faktoren wie Sicherheit und andere unsichtbare Komponenten eine wichtige Rolle. So was kann man nicht jedes Jahr neu entwickeln.
„Wie schafft man optische Leichtigkeit?“
Wie sehen diese interdisziplinären Themen aus?
Ein großes Thema ist die optische Leichtigkeit. Vor einigen Jahren wirkten Autos schwer und massiv. Viele haben noch immer fratzenartige Lufteinlässe vorne. Oder siehe auch die Keilform. Vor einigen Jahren sahen Autos oft so aus, als wollten sie gerade zu einem Sprung nach vorne ansetzen. Heute stellen wir fest, dass man gar nicht so dick auftragen muss. Aber wie schafft man eine optische Leichtigkeit? Aufgrund steigender technischer Komplexität sind Autos in den vergangenen Jahren immer weiter gewachsen. Man weiß aber auch, dass runde Formen ein großes Volumen besser kaschieren können als eckige Kastenformen mit scharfen Kanten.
SUVs sind zur Zeit populär und bestimmen immer mehr die Kollektionen der Autobauer. Vor zehn Jahren wurden SUVs von vielen beschimpft. Sie seien unvernünftig, nicht ökologisch und für Fußgänger sogar gefährlicher als herkömmliche Modelle. Dennoch hat sich diese Form durchsetzen können. Wie kann so etwas passieren?
Designer machen gerne mal Sachen, die keiner vorher angefragt hat. Sowas passiert einfach. Bevor es ein iPhone oder ein iPad gab, hat auch keiner danach gefragt. Hätte man zu diesen Geräten klassische Marktforschung betrieben, hätte jeder gesagt: Das interessiert keinen. Am Ende ist es egal, wie etwas heißt. Hauptsache es ist attraktiv.
Solche Ansagen kommen dann vom Marketing?
Gar nicht unbedingt. Denn das Marketing sagt oft: Wir brauchen das, was die anderen haben. Und zwar am besten jetzt! Kommt die Designabteilung mit etwas, womit sie nichts anfangen können und meinen erst noch Research durchführen zu müssen, dann ist das eigentlich ein gutes Zeichen.
Expect the unexpected?
Durchaus. Ein Stück weit muss man in der Glaskugel lesen. Vor einiger Zeit, als Nachhaltigkeit noch kein großes Thema war, hat kaum einer auf Aerodynamik geachtet. Sprit sparen? Wieso? Dabei kamen ignorante Autos raus. Dann kam aber 2009 die Wirtschaftskrise und plötzlich gab es etliche Autos, die zwei, drei Jahre zuvor entwickelt wurden und auf einmal viel zu groß waren und nicht zeitgemäß wirkten.
Heute bauen die großen Firmen Autos für einen globalen Markt. Autos müssen in Europa aber auch in den USA oder Asien gut ankommen und verkauft werden. In der Fachpresse sind dann Sätze zu lesen wie: Das Heck wurde dem chinesischen Markt angepasst und dementsprechend designt. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Es ist ja viel mehr so, dass man einen eigenen Stil entwickelt, der dann auf der ganzen Welt vermarktet wird. Und egal ob der Kunde aus China oder den USA kommt – er will ein deutsches Design haben.
Ist das also Mumpitz?
Absolut. Ich lese so etwas auch oft. Und immer wieder gibt es Aussagen wie, dass der chinesische Kunde zum Beispiel auf Chrom stehen würde. Wir haben Design-Studios in China und mit denen sprechen wir viel. Dabei finden wir heraus, dass sie gar nicht auf Schnickschnack oder üppige Details stehen. Viel eher haben in der Vergangenheit Europäer gedacht, so müsste ein Auto in China aussehen und daraufhin dementsprechende Modelle gebaut. Natürlich wurden in China diese Modelle gekauft, aber auch, weil es keine Alternativen gab.
Gibt es sonst Unterschiede?
Der Autokäufer in China ist deutlich jünger. Dort kaufen bereits 30-Jährige eine S-Klasse, hier sind die Käufer eher 60. Klar, gibt es Stoffe oder Farben, die regional bevorzugt werden – eine weiße S-Klasse wird man in China lange suchen. Regionale Vorlieben versuchen wir heute eher über die zahlreichen Konfigurationsmöglichkeiten abzudecken. Dazu gehören die Farbe, der Innenraum, die Felgen, die Materialien etc.
Welche Faktoren gehören noch dazu?
Wieso kauft man sich in den USA ein deutsches Auto, das 250 km/h Spitze hat, obwohl man nur halb so schnell damit fahren darf? Weil es das kann. Das Gleiche gilt für Offroad-Autos und SUVs. Die wenigsten würden mit so einem Auto durch den Wald oder den Schlamm fahren oder irre Steigungen überwinden. Aber das Auto könnte es. Es geht also auch um Möglichkeiten und Potenzen eines Autos.
Angenommen du könntest ein Auto ohne Zwänge bauen, ohne Controller, Marketing und pragmatische Ingenieure. Wie würde dein perfektes Auto aussehen?
Zu einem perfekten Auto gehören diverse Faktoren. Wenn ein Auto einen guten Fußgängerschutz bietet und mein Sohn bei einem Aufprall dadurch überlebt, dann ist das ein perfektes Auto. Wenn ich auf der Autobahn schnell unterwegs bin und ein Stauende zu spät erkenne, aber das Radarsystem dafür sorgt, dass das Auto automatisch abbremst und es nicht zu einem Unfall kommt, dann ist auch das gutes Auto-Design. Ich möchte Autos gar nicht zu sehr auf die Form reduzieren. Ein Auto muss funktionieren. Wenn ich die schrägste Frontscheibe der Welt habe, weil es cool aussieht, ich aber dafür nachts nichts sehe, weil es blendet oder im Winter zehn Minuten länger das Eis wegkratzen muss – so etwas will ich nicht.
Kein abgespacetes UFO-Car?
Nein. Ein Auto, das nur geil aussieht, brauch ich nicht. Aber Begehrlichkeiten zu wecken, das ist die große Herausforderung. Und niemals Design auf Kosten der Funktion zu betreiben. Davon hat keiner was.
Was sind die drei schönsten Autos aller Zeiten und wieso?
Ein Mercedes 300 Gullwing SL ist ohne Frage wunderschön. Auch ein Citroën DS ist ein besonderes Auto. Aber trotz der tollen Formen interessieren mich Oldtimer gar nicht so sehr. Ich versuche eher Autos in ihrer Zeit, in ihrer Epoche zu sehen. Zu gucken, was gab es parallel und was hat das Auto zu der Zeit besonders gemacht. Und da ich auf moderne Autos stehe, müsste ich den ersten Mercedes CLS nennen. Wenn man sich anschaut, wie Autos 2004 aussahen, sei es ein 5er-BMW oder ein VW Golf, da war der CLS ein Meilenstein. Dieses Auto hat bewirkt, dass weltweit alle Designer – ich war zu der Zeit noch bei Volkswagen und kann es bestätigen – sich mit diesem Auto beschäftigt haben. Das war ein Statement. Das Foto hing in allen Designstudios der Welt, auch weil dann ein Designer endlich mal sagen konnten: Jetzt guck mal hier, lieber Ingenieur. Das geht doch!