Klappt! Motorola razr 40 ultraDinge Design müssen – Teil 27
12.6.2023 • Technik & Wissen – Text & Fotos: Thaddeus HerrmannMotorola ist Urgestein und Schwergewicht der Mobilfunk-Branche. Nach endlosem Höhenflug waren die Telefone des US-amerikanischen Herstellers lange nicht mehr angesagt. Seit einigen Jahren geht es wieder bergauf, der Dinosaurier der Handy-Sparte stellt sich neu auf. Mit dem razr 40 ultra ist dem Konzern ein beeindruckendes Foldable gelungen – ganz nah am Puls der Zeit. Thaddeus Herrmann war beim Launch in Madrid dabei.
Damals, als das Smarte im Telefon noch nicht erfunden war, hatten wir Flip Phones. Klapphandys. Wie die ganzen coolen Leute im TV. Das befriedigende Geräusch des Zuklappens mit ordentlich Schmackes wurde zum Sound der Generation, die sich einen Mobilfunkvertrag leisten konnte. Und die, die sich ein bisschen mehr leisten konnten, hatten ein razr von Motorola. Motorola verpasste der Idee des Mobiltelefons Style und vielleicht auch zum ersten Mal die nötige Sichtbarkeit, um der gesamten Branche auf die Beine zu helfen. 2004 kam das erste Gerät auf den Markt, 2013 war nach zahlreichen Iterationen und Verbesserungen Schluss. 2013. Das iPhone war bereits sechs Jahre in der Welt, das Wort „Handy“ so gut wie ausgestorben. Der ikonische „Snap“-Klang reichte als Lebensberechtigung nicht mehr aus, es waren andere Innovationen gefragt.
Heute ist das Flip Phone wieder da – heißt nur anders und sieht oft auch anders aus. Das Phänomen der „Foldables“ gilt seit einigen Jahren als vermeintlicher Heilsbringer, um der Branche die Gewitterwolken der Marktsättigung wegzupusten und Smartphones wieder sexy zu machen. Biegbare Displays sind das Geheimnis, geschützt von einer hauchdünnen Schicht Glas. So lässt sich ein Smartphone zum Beispiel aufklappen und die innere Bildschirmgröße verdoppeln. Nennen wir diesen Ansatz die Buch-Metapher – aus Telefon wird Tablet. Samsung macht das, Huawei ebenfalls, diverse andere Hersteller sind auch schon dabei, Google ist gerade eingestiegen. Die Idee, aus dem Telefon ein Tablet zu machen, ist die dominierende Design-Idee der Foldables, Samsung hat auch ein Gerät im klassischen Flip-Style im Angebot. Und auch Motorola. Wäre ja auch noch schöner, sich die Design-Butter vom Brot nehmen zu lassen. 2019 kam der Reboot des Markennamens razr. Ein Klapphandy, ja. Aber innen drin mit vollflächigem Display. Doch dieses razr war sehr teuer und nicht besonders gut. Ein Problem, mit dem nicht nur Motorola umgehen musste. Die ersten Gehversuche mit Foldables kämpften mit dem technisch Machbaren. Ein flexibles Display immer und wieder wieder zu falten, tut dem Bildschirm nicht gut. Es bildet sich ein deutlich sichtbarer Knick, eine Art Bügelfalte, in der Tech-Szene „Crease“ genannt. Die Crease ist keine Freundin des Immersiven. Und das dazugehörige Scharnier ist komplex.
Nun rennt die Technik ja schon immer in großen Schritten voraus. Die Foldables werden besser, ausgefuchster, die Formfaktoren variabler. Auch Motorola hat nach 2019 weiter an diese Idee geglaubt, Verbesserungen vorgenommen, das innere und das äußere Display vergrößert, das Scharnier unkaputtbarer gemacht, 5G eingebaut. Nun gibt es zwei neue Modelle: das razr 40 ultra und das razr 40. Offensichtlich, wohin die Reise geht, oder? Diversifizierung des Portfolios, unterschiedliche Preispunkte, Technologie günstiger anbieten und so für mehr Menschen attraktiver – erschwinglicher – machen. Das Klapphandy 2.0 soll raus aus der Nische. Geht das? Kann das funktionieren? Also nach Madrid geflogen, um beim Marktstart dabei zu sein, mit Motorola-Menschen zu sprechen und sich die Geräte aus der Nähe anzuschauen.
Einige werden sich erinnern: Auch ein paar Klapphandys von damals hatten ein kleines Display auf der Außenseite. So ließ sich zum Beispiel die Uhrzeit ablesen, wenn das Telefon zugeklappt war. Heute ist es unvorstellbar, ein Smartphone auf den Markt zu werfen, dass bestimmte Informationen – neben der Uhrzeit vor allem Benachrichtigungen aller Art – nicht sofort anzeigt. Wir haben doch keine Zeit, müssen doch immer alles wissen, was geht. Und so hatten die bisherigen Klapp-Foldables auch immer einen Bildschirm auf der Außenseite. So klein allerdings, dass die wenigen Pixel das etablierte Touchscreen-Paradigma eher schlecht als recht bedienen konnten. Auf einer Fläche von von gerade mal zwei Briefmarken zu swipen und zu touchen ... meh.
Beim razr 40 ultra haben es die Ingienieure von Motorola geschafft, das Display auf 3,6" zu ziehen – und das Android-Betriebssystem so anzupassen, dass sich selbst YouTube-Videos auf diesem Mäusekino gar nicht wie Mäusekino anfühlen. Für den Berichterstatter, der a) schon lange kein Android-Telefon in Verwendung hatte und b) Foldables bisher nur aus der Ferne gesehen hat, ist es aber ein anderes Features, das dieses süße Display so attraktiv macht: die wundervollen Animationen des „Motorola-Monsters“, das großflächig Hallo sagt und je nach Tageszeit mal am Rechner sitzt, mal Ramen schlürft, sich mal die Zähen putzt oder sich spät abends am Popo krault, natürlich wundervoll animiert. Das ist ein so einfacher Trick, aber wenn Technik menschelt, ist die Welt ein kleines bisschen besser. Das gilt auch für die Tatsache, dass sich technische Gegebenheiten eines Telefons (die Front-Kameras zum Beispiel) mit ein bisschen Grips und Verstand in das Design einbetten lassen.
Das ist alles sehr delightful, reicht aber wohl kaum, um ein Telefon für 1.200 € zu verkaufen. Mir würde das reichen, aber ich bin ja nur ich. Auch der Rest des Telefons ist ein Design-Hingucker – gerade im Farbton „Viva Magenta“. Keine Überraschung, dass Motorola die Journalist:innen in Madrid mit Testgeräten in dieser Variante versorgt. „Viva Magenta“ ist die Pantone-Farbe des Jahres 2023. Findet die Telekom bestimmt super. Und: Die Partnerschaft mit Pantone ist nur einer von gleich mehreren Marketing-Stunts (mehr dazu später), mit denen sich Motorola ein für alle Mal Relevanz zurückholen will. Dem Unternehmen ging es lange Jahre nicht gut. 2012 übernahm Google die Firma für 12,5 Milliarden US-Dollar. Nur zwei Jahre später kaufte dann Lenovo das Erbe von Moto. Google war vor allem auf das reichhaltige Patent-Portfolio der Mobilfunk-Pioniere scharf. Lenovo hatte es mit dem erneuten Wachstum der Marke nicht eilig. Und tatsächlich robbte sich Motorola langsam wieder nach vorne. Schritt für Schritt, Iteration für Iteration. Mit Telefonen für das Einstiegssegment und die Mittelklasse. Und schließlich auch für den High-End-Bereich. Es gibt Länder auf der Welt, in denen Motorola ein ähnliches Standing hat wie Apple und Samsung hierzulande. Brasilien zum Beispiel oder Argentinien. In den USA ist die Marke stark, in Europa gilt Polen als Vorzeigemarkt. Wie viele Geräte wo verkauft werden, soll uns hier nicht interessieren. Wichtiger ist, dass das Unternehmen mittlerweile wieder ausreichend Traktion hat, um „Halo-Projekte“ wie das razr 40 ultra umzusetzen.
„Wir erwarten, dass sich der Markt der Foldables bis 2026 verfünffachen wird“, sagt Thomas Milner, der Head of Global Product Marketing von Motorola. Keine Ahnung, was das bedeuten soll, klingt ja aber positiv, und Thomas sieht aus wie ein Überzeugungstäter. Wir sitzen in einem Hotelzimmer, der große Launch-Event im Palacio De Cibeles beginnt in 24 Stunden. Ein paar Etagen tiefer werden Journalist:innen im Stundentakt an den Geräten vorbeigeschoben, sehen eine Präsentation, können Fotos machen, Fingerfood essen und Bier trinken. Vorsprung durch Wissen. Damit alle ihre Texte exakt zu dem Zeitpunkt veröffentlichen können, wenn das Verschwiegenheitsabkommen ausläuft und knochentrockene Technik-Journalist:innen bis zu Influencer:innen ihre Kanäle bespielen, das Netz fluten und Marken bzw. Unternehmen für drei Minuten für sich proklamieren können: Das Netz gehörte uns. Alle außer mir. Ich mache das nicht mehr. Es ist ganz schon weird, nach vielen Jahren wieder auf diesen Beat aufzuspringen. Alles easy. Aber wie geht das eigentlich, eine ehemals ikonische Marke aus der Versenkung wieder zu etablieren?
„Zusammenarbeit“, sagt Thomas. Ich komprimiere das kurz und knapp, denn Marketingmenschen reden meistens viel und blumig. „Natürlich wollen wir unseren Kund:innen das anbieten, was sie sich wünschen. Gleichzeitig geht es aber auch darum, echte Neuheiten auszuprobieren und im besten Fall zu etablieren. Wir wollen nicht einfach neue Entwicklungen nur um der Sache willen in den Markt drücken. Das muss schon alles funktionieren, Mehrwert liefern. Dabei sind dann wirklich alle Teams bei Motorola gefragt. Design spielt natürlich eine große Rolle, auch die Wahl der Materialien. Das razr 40 ultra in „Viva Magenta“ und auch das preisgünstigere razr 40 setzt auf veganes Leder für die Rückseite, einen matten Look. Es muss nicht immer alles nur Hochglanz sein.“
Natürlich ist Design heutzutage ein entscheidender Faktor. Schaltkreise haben keinen Sex-Appeal. User:innen von Dell-Laptops haben das noch bis vor wenigen Jahren am eigenen Leib gespürt. Was menschelt, verkauft sich potenziell besser. Und mit Design kennt sich Motorola seit dem originalen razr aus. Tatsächlich auch mit anderen Dingen, die die Alltagstauglichkeit des rarz 40 ultra unterstützen. Schon seit Jahren hat man bei Motorola eine Gestensteuerung auf Smartphones etabliert, die das Drücken von Knöpfen oder Buttons auf den Touchscreens für bestimmte Funktionalitäten überflüssig machen. Die LED als Taschenlampe aktivieren, die Kamera zu starten: Das sind Dinge, die sich bei Moto auch mit dem Schütteln des Telefons erledigen lassen. Bei einem Klapphandy wie dem razr 40 ultra kommen weitere Gesten hinzu, die sich als besonders nützlich erweisen. Dass sich das Smartphone im Winkel von 90° aufgeklappt auf den Tisch stellen lässt, ermöglicht es User:innen, die Hauptkameras (12 Megapixel (f/1.5) und 13 Megapixel (f/2.2) für Ultraweitwinkel und Macro – beide mit optischer Bildstabilisierung) auch für Selfies zu verwenden. Auslöser? Einfach die Hand hochhalten, Mr. Spock lässt grüßen. Das 3,6" große Front-Display dient dabei als schminkspiegelnder Viewfinder. Das ist schon sehr smart – und funktioniert perfekt. Natürlich gibt es auch eine „klassische“ Selfie-Kamera am oberen Rand des Haupt-Displays. Die hat 32 Megapixel.
Die wirklich neueste Technik (da sind wir wieder beim Sex) gibt es im razr 40 ultra nicht. Der Prozessor ist ein Snapdragon 8+ der ersten Generation. Der Hersteller ist mittlerweile schon bei der zweiten Generation angelangt. Ich würde gerne sagen: „Scheißt der Hund drauf“, traue mich das aber (noch) nicht – zu lange hatte ich kein Android mehr unter den Fingern und kann den Performance-Zuwachs im Hause Qualcomm bei neuen Chips einfach nicht einordnen oder kontextualisieren. 8 GB RAM und 256 GB Speicher kommen dazu. Das sollte reichen. Denn was verbraucht schon Speicher auf Smartphones abseits von Fotos und Videos? Die landen bei Google in der Cloud und gut ist.
Das Hauptdisplay ist mit 6.9" mehr als ausreichend groß, das Seitenverhältnis von 22:9 allerdings ein wenig gewöhnungsbedürftig für iPhone-Menschen wie mich. In den Abgründen von YouTube macht mir der Bildschirm viel Freude. Die Auflösung ist mit 2.640 x 1.080 Pixeln knackig (genug), die Farbwiedergabe toll, und die „Crease“ tatsächlich kaum sichtbar. Fühlbar ebenso wenig. Und weil mein Testgerät in „Viva Magenta“ mit veganem Leder kommt, denke ich die ganze Zeit an „Warm Leatherette“ von The Normal und den Roman „Crash“ von J.G. Ballard, aus dem Daniel Miller seine Inspiration für den Text für den Song zog. Schauen wir mal rein. Mal wieder, liebe Filter:innen:
Kurz zusammengefasst:
A tear of petrol is in your eye
The hand brake penetrates your thigh
Quick lets make love before you die
Warm Leatherette
Join the car crash set
Das klingt nun dystopischer als ich es meine. Aber wenn wir schon beim Tod sind: Wie überlebensfähig ist dieses POLED-Display wirklich? Mein erster Berührungspunkt mit diesen Screens war wahrscheinlich das LG G FLex, ein Telefon das ich bis heute nicht verstehe, sich aber auch erledigt hat. LG ist raus aus dem Handy-Geschäft.
Die Sorge, hier mit einem teuren Smartphone mit einer unwiderruflichen Sollbruchstelle zu agieren, bleibt auch nach rund einer Woche der Verwendung – auch wenn sich das Display vollflächig autark präsentiert. Auf einer Skala von 1-10: Wie sehr geht Thomas Milner die Crease auf den Zeiger?
„Eigentlich gar nicht. Sie existiert – darüber sind wir uns ja alle einig. Mit dem neuen Scharnier sind wir aber auf dem richtigen Weg. Davon bin ich überzeugt. Das razr ultra 40 ist aktuell das dünnste Klapp-Foldable am Markt. Und es faltet sich wirklich bündig zusammen – das ist ein Alleinstellunsgmerkmal.“
Das Motorola razr 40 ultra ist ein beeindruckendes Stück Technik – erdacht von einem Unternehmen, von dem man das nicht unbedingt erwartet hätte. Die Bedienung macht Spaß, die Kameras liefern solide Fotos, das OS ist angenehm clean. Bleibt die Hoffnung, dass Motorola hier auch zeitnah Updates liefert – der track record des Unternehmens ist diesbezüglich momentan nicht gerade überzeugend noch auf der höhe der Zeit. Für 1.200 € darf man hier mehr erwarten.
Ohnehin ist meine Befürchtung, dass man sich bei Motorola ein bisschen verzettelt. Die Formel 1 wird gesponsert – warum? Zum neuen Telefon gibt es ein Parfüm dazu – warum? Und warum werden die neuen Smartphones beim Verpacken damit auch noch eingesprüht? Das sind Dinge, die es einfach nicht braucht. Immerhin bemüht man sich in Sachen Nachhaltigkeit Eindruck zu hinterlassen. Bis 2030 will Motorola – als Teil des Lenovo-Konzerns – CO2-neutral sein. Genauere Informationen dazu sind meinen Ansprechpartner:innen nicht zu entlocken, auch auf Nachfrage. Es bleibt vage, wie üblich bei großen Unternehmen. Zertifikate? Tatsächliche Eigeninitiativen? Nichts genaues weiß man nicht. Immerhin ist die Verpackung plastikfrei, die Druckfarbe nicht Öl-basiert. Das ist aber Kleinscheiß, den andere Hersteller genauso verinnerlicht haben. Braucht es heute wirklich noch ein Netzteil in der Verpackung? Haben wir nicht alle wirklich mehr als genug power bricks rumliegen? Vielleicht ist aber auch einfach vergebene Liebesmüh, sich mit solche Details auseinanderzusetzen. Ich spare mir den großen Rant zu unserer turbokapitalistischen Wegwerfgesellschaft. Blenden wir das für einen Moment aus. Und freuen uns lieber über ein Stück Technik mit Wow-Faktor. Und die nächste Stufe der Evolution.