Der Ofen ist an, der Dung macht sein DingAufwändig, aber valide: die CO2-Kompensation mit Atmosfair

atmosfair

Atmosfair arbeitet in Entwicklungsländern mit Solarstrom, Öfen, Biogas, Wasser und Wind gegen unser Flug-CO2. Fotos: Atmosfair

Dass häufiges Fliegen in nahe und ferne Länder oder gar inländisch eine Umweltsünde ist, wird immer mehr Reisenden klar. Weniger geflogen wird deshalb aber nicht. Im Gegenteil: Die Flugaktivitäten nehmen immer weiter zu. Vielleicht auch, weil man mittlerweile die CO2-Emissionen, die man als Fluggast verursacht, ja kompensieren und sich so ein gutes oder zumindest bessere Gewissen erkaufen kann. Bei Firmen wie Atmosfair zum Beispiel. Aber: So einfach ist das nicht, ganz im Gegenteil. Jan-Peter Wulf hat sich den komplexen Prozess erklären lassen. Dabei stellt sich heraus: NGOs wie Atmosfair betreiben proaktiv Umweltschutz-Projekte ganz anderer Art. Der Emissionshandel ist dabei eher ein positiver Nebeneffekt.

Dieser Illusion sollte man sich nicht hingeben: Wer denkt, dass sich die in die Luft verballerten Tonnen CO2 durch Wiederaufforstungsprojekte ähnlich der Biertrinken-für-mehr-Regenwald-Kampagnen gutmachen ließen (ein bisschen begleitete uns dieser naive Gedanke auf dem Weg zu Atmosfair nach Berlin-Kreuzberg), der liegt falsch. „Ein Wald spart erst nach 50 Jahren nachweisbar CO2 ein“, erklärt Denis Machnik, CDM Project Manager bei Atmosfair. Emissionseinsparungen zu verrechnen, bevor sie faktisch geleistet werden, hält er für unsinnig. „Wir können ja nicht garantieren, dass der Wald abbrennt oder dass der Klimaschutz-Standard in 50 Jahren noch gültig ist. Und dann haben alle verloren.“ Bei Atmosfair ist man im Sinne der CO2-Kompensation folglich gegen solche Waldprojekte, sie sind nicht Teil des umfangreichen Projektprogramms der NGO.

NGO steht bekanntlich für Nichtregierungsorganisation (non-governmental organization), und das CDM in Machniks Titel steht für „Clean Development Mechanism“. Das ist einer von drei vom Kyoto-Protokoll (beschlossen 1997, in Kraft getreten 2005) vorgesehenen Mechanismen, mit denen die Treibhausgas-Emissionen reduziert werden sollen. Er baut eine Brücke zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern: Letztere sollen ihre Emissions-Ziele durch Aktivitäten in Nicht-Industrieländern besser erreichen. Atmosfair betreibt verschiedene Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern.

save80ofen

Ein Ofen Typ „Save80“ im Einsatz

save80training

Verkauf des Equipments und Schulung

save80montage

Montage vor Ort

save80kochen

Kochen mit dem Ofen spart bis zu 80 Prozent Holz ein

In Lesotho, Nigeria, Ruanda und Indien beispielsweise werden energieeffiziente Öfen vertrieben. „Topseller“ ist der in Deutschland entwickelte Ofen „Save80“, der beim Kochen mit bis zu 80 Prozent weniger Holz auskommt als ein Drei-Steine-Feuer, wie sie traditionell angezündet werden. Diese Öfen zu den Menschen zu bringen, ist aufwändig, wie man sich vorstellen kann: Vertriebspartner vor Ort in den Projektländern stellen Familien und Dorfgemeinschaften diese Produkte vor, zeigen, wie sie funktionieren und wie sich die zu tätigende Investition (sprich: die Öfen müssen von den Nutzern gekauft werden) langfristig amortisieren, weil Holz und somit Geld und zeitlicher Aufwand eingespart werden. Holz ist in einem Land wie Lesotho primäre Energiequelle für viele Haushalte, bei gleichbleibender Abholzung würde in dem kleinen Land bereits Ende der 2020er-Jahre praktisch kein Wald mehr vorhanden sein. Immerhin: Rund 10.000 Öfen sind hier, im ältesten Projektland von Atmosfair (gegründet 2005) bereits in Betrieb. Und vor rund einem Jahr startete man ein zweites Projekt mit Ofen-Nutzern, die ihr Kochgerät bereits abbezahlt* haben: Ein Heim-Solarsystem für Lampen und zum Aufladen von elektronischen Geräten wird jetzt ebenfalls vertrieben und verringert neben Emissionen durch Paraffinlampen auch die Brandgefahr. Sichere, emissionsfreie Helligkeit.

*Durch verschiedene Subventionen wird der Preis je Produkt gesenkt – diese müssen von den Haushalten nicht zurückbezahlt werden. Dadurch können auch einkommensschwache Haushalte an den Projekten teilnehmen.

Solarzelle Nutzertraining

Solaranlagen-Nutzertraining ...

Solarzelle Dach

... und Installation auf dem Dach in Lesotho

Wo liegt Kuhdung?

Ein weiteres großes Atmosfair-Projekt sind Biogasanlagen für Haushalte. Diese werden unter anderem in Kenia und Nepal errichtet. Dafür muss erstmal gesucht werden. „Unsere Country Manager fahren durch ihre Gebiete und schauen: Wo liegt Kuhdung neben den Häusern?“, berichtet Machnik. Denn wo Kuhdung ist, da kann eine Biogasanlage zum Einsatz kommen. Die Ausscheidungen der Wiederkäuer und Wasser reagieren miteinander, es entsteht Methan, dieses wird per Leitung direkt in die Küche geliefert und zum Kochen verwendet – wiederum statt Holz, wovon sonst bis zu zehn Kilogramm pro Haushalt täglich verfeuert werden, ferner Flüssiggas und Kerosin. Der verbleibende Faulschlamm ist ein wertvolles Düngemittel. Die Baukosten – zwischen 600 und 900 Dollar kostet eine solche Anlage je nach Land – stellen eine ziemliche finanzielle Hürde für viele Interessenten dar; es gibt allerdings Zuschüsse (aus dem „Grüner Strom-Fonds“ von GLS e.V.) und die Garantie, dass die Anlage mindestens 20 Jahre hält. In Kenia stehen aktuell 700 Anlagen, in Nepal fast 80.000.

Dies sind nur zwei der Atmosfair-Projekte, mit denen, per Vorleistung, CO2-Einsparungen erzielt werden. Auch Stromerzeugung aus Ernteresten, Düngerproduktion aus organischen Marktabfällen, Wasserkraft und Windkraft hat man realisiert. Ein wichtiges Element aller Aktivitäten ist die Zusätzlichkeit: Die Kompensation soll in Projekten erfolgen, die es ohne Atmosfair nicht gäbe. „Mehr als 50 Prozent der Öfen werden über unseren eigenen Mechanismus finanziert. Spenden die Menschen nicht mehr, dann sind die Öfen aus“, bringt Machnik es auf den Punkt.

Und damit sind wir zurück in den Industrieländern. Denn die Rückverbindung funktioniert so: Es wird errechnet, wie viel CO2 durch die Projekte eingespart wird, und dieses kann dann, im Nachgang, kompensiert werden. Wie wird das errechnet? Durch jährliche Besuche, Befragungen und Prüfungen bei den Ofen- und Biogas-Nutzern – es reisen sogar TÜV-Mitarbeiter dafür an – wird ermittelt bzw. hochgerechnet, wie viel CO2 pro Ofen, Anlage, Kraftwerk etc. eingespart wurde. Pro „Save80“ sind es zum Beispiel rund zwei bis zweieinhalb Tonnen und somit mehr, als ein Mittelklassewagen mit einer Jahresfahrleistung von 10.000 Kilometern ausstößt. Eine Haus-Biogasanlage spart gar rund das Dreifache ein. Diese Einsparungen werden dokumentiert, von Atmosfair in Berlin geprüft und gehen dann an die UN. Nach dortigem Gegencheck kommen sie auf das „Kyoto-Konto“ von Atmosfair, welches funktioniert wie ein Bankkonto: Die Einsparungen sind die Einzahlungen, und Auszahlungen passieren dann, wenn jemand via Atmosfair seine Flugreise kompensieren will. Das nennt man Stilllegung. Machnik: „Fliegt jemand zum Beispiel nach New York, emittiert dabei vier Tonnen CO2 und spendet Atmosfair entsprechendes Geld, dann gehen wir auf unser Konto und löschen das CO2.“ Wie viel Kohlenstoffdioxid es pro Flugreise ist, ermittelt man mit dem von Atmosfair selbst entwickelten Emissionsrechner.

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Sinnvoll für Atmosfair ist Kompensation in Bereichen, in denen technologische Innovation – umweltverträglicheres Fliegen und Schifffahren – eine Frage der Zeit ist. Die Technologie dafür ist bereits in der Entwicklung, aber noch viel zu teuer. Nicht sinnvoll hingegen ist die Kompensation konventioneller Energiegewinnung – und auch nicht die fleischlastiger Ernährung. Illustration: Atmosfair

So bequem es für den Nutzer mit dem Rechner funktioniert – am Ende gibt es sogar eine Spendenbescheinigung für die Steuer –, so komplex ist das Ganze für Atmosfair. Die NGO muss eine Menge im Vorhinein investieren, Geld und Zeit, muss analysieren und haarklein dokumentieren, damit am Ende kompensiert werden kann. Es ginge möglicherweise auch leichter – mit so manchem CO2-Rechner, den man im Netz findet, lässt sich das Klimagewissen recht leicht beruhigen. Eingeben, wie viel das tägliche Leben an Strom, Wärme, Benzin und so weiter produziert, eine CO2-Summe rausbekommen und kompensieren, fertig … doch das meiste sei schlicht und ergreifend Schrott, erklärt uns der Ingenieur Fachbereich Technischer Umweltschutz. Kompensation muss sinnvoll sein – und da setzt man sich enge Grenzen. Ein grünes Gewissen kaufen kann man sich nicht: „Es muss einfach weniger CO2 in den Himmel geblasen werden.“

Deswegen ist das Motto von Atmosfair auch „Vermeiden vor Reduzieren vor Kompensieren“. Und man berät Unternehmen, damit diese Kohlenstoffdioxid und letztlich auch Geld einsparen können – das wollen diese, keine Überraschung, immer – sowie Bildungsprojekte an Schulen. Was bedeutet das eigentlich, wenn ich im Winter Erdbeeren esse? Mit solchen Fragen beispielsweise beschäftigen sich dann junge Schüler, lernen warum das nicht gut ist – und bitten bestenfalls die Eltern beim nächsten Einkauf darum, lieber ein regionales Winterobst zu kaufen. „Das Schönste für uns ist, wenn die nächste Generation es versteht“, so Machnik. BNE, wieder so ein Drei-Buchstaben-Konstrukt, ist das große Ziel der Unesco: Bildung für nachhaltige Entwicklung. Sie steckt allerdings noch ziemlich in den Kinderschuhen.

Positivität statt Moralpredigt

Der generelle Schlüssel zu mehr Nachhaltigkeit ist Positivität: Den Leuten erzählen, wie schlecht sie sind, das führe nicht weiter. Der traurig von Plakaten dreinblickende Mensch in Afrika, der Eisbär auf seiner schmelzenden Scholle – da wird weggeklickt und weggeguckt. „Das hat die Umweltbewegung längst erkannt“, so Machnik. Und in diesem Sinne will man auch bei Atmosfair zeigen: Schaut her, wir bringen umweltfreundliche Technologie in ein Land, wir schaffen Arbeitsplätze, sorgen für weniger Ausgaben und mehr Ressourcen für andere Dinge als Energie. Man beobachte, dass immer mehr Menschen kompensieren, nur: Die Zahl der Flugreisen steigt, steigt schneller. Und die Airlines seien – kann man sich denken – nur wenig interessiert daran, ihren Fluggästen das Thema unter die Nase zu reiben. Einen integrierten, zumal auf validen Daten beruhender Kompensationsrechner, der sich leicht in die Flugbuchung einbauen ließe (bedenkt man, was man bei einer Flugbuchung so alles an Extra-Optionen wählen kann), den bietet praktisch keine Fluggesellschaft an.

Wohl aber Flixbus: Hier lässt sich bei Buchung einer Reise ein Häkchen setzen. Und seit kurzem ist sogar ein mit grünem Strom fahrender Bus auf der Strecke Frankfurt-Flughafen – Mannheim unterwegs. Ein Anfang. Und ebenso ein Anfang ist es, sich zu vergegenwärtigen: Mobilität verursacht, sobald sie von der eigenen Muskelkraft abweicht, Emissionen. Neutralität beim Reisen, auch wenn das mitunter kommuniziert wird, gibt es nicht. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, ist eine individuelle Entscheidung. Die aber, die Schweden machen es gerade vor, Stichwort: Flugscham, zu einer kollektiven werden kann.

Mitgehört: Musik aus dem Filter-SchwarmHeute: Lars Brinkmann, Journalist

Mix der Woche: Roman FlügelL’Avenue Bassdrum