App der Woche: Max Richter – SleepFür mehr Fokus
29.6.2020 • Technik & Wissen – Text: Thaddeus HerrmannEs gibt wohl kaum ein Album, das sich schlüssig und überzeugend in eine App für Smartphone und Tablet überführen lässt. Bei Max Richters „Sleep“ ist das anders. Und knapp fünf Jahre, nachdem das über achtstündige Werk erschien, hat der Musiker genau das getan.
Am 4. September 2015 erschien „Sleep“ von Max Richter. Wir waren voller Vorfreude, weil uns der Komponist in den Jahren zuvor immer wieder überrascht und sanft geplättet hatte mit seinen Orchester-Werken. Doch „Sleep“ versprach anders zu sein. Mit einer Laufzeit von über acht Stunden winkte der konzeptionelle Zahnpfahl. Und tatsächlich steckte mehr dahinter als wunderschöne und schwer melancholische Orchester-Loops: „Sleep“ dreht sich um die Beziehung zwischen Musik und Schlaf. Es gab nächtliche Konzerte und Selbstversuche.
Die jetzt erschienene App für iOS und Android nutzt den fragmentarischen Charakter des Albums und lässt und in drei Modi die Musik erneut aufsaugen: Fokus, Meditation und Schlaf. Die jeweilige Länge lässt sich frei einstellen – beim Schlaf wird die Lautstärke gesenkt und kurz vor dem Aufwachen wieder erhöht – und schließlich mit einem neu komponierten Weckton beendet. Dazu gibt es Animationen von Planeten, die auch schon das Artwork des Albums ausmachten. Die App ist umsonst, setzt jedoch Premium-Abos von Spotify oder Apple Music voraus.
Der Zeitpunkt der Veröffentlichung könnte nicht besser gewählt sein. In den vergangenen Monaten hat sich die Welt bis fast in die Zeitlupe verlangsamt und wacht nur ganz sachte wieder auf. Vielen geht das alles viel zu schnell – die Folgen sind schlicht noch nicht abzusehen. Auch wenn abgenutzte Begriffe wie Mindfulness während der Pandemie nicht wieder attraktiver werden: Die App erinnert uns nicht nur an ein wunderbares Album, sondern beschert uns heute – fünf Jahre später – einen neuen Umgang mit der Musik von Max Richter.
Zeitgleich hat Richter sein neues Album angekündigt: „Voices“ erscheint am 31. Juli. Thematisch geht es um die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Musik sei „ein Ort zum Denken und Reflektieren“. Er schreibt:
Die einleitenden Worte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 lauten: ›Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.‹ Ein Leitgedanke, der inspiriert. Sieht man sich jedoch in der Welt um, die wir in den Jahrzehnten seither geschaffen haben, wird offenkundig, dass er uns entfallen ist. Die jüngsten brutalen Ereignisse in den USA, die zum tragischen Tod von George Floyd und Breonna Taylor führten, und auch die zahllosen anderen Schrecken in der ganzen Welt sind dafür ein Beweis. In solchen Zeiten kann man leicht die Hoffnung verlieren. Aber so wie die Probleme unserer Welt von uns selbst verursacht wurden, so können sie auch gelöst werden. Während die Vergangenheit in Stein gemeißelt ist, ist die Zukunft noch zu schreiben. Die Erklärung enthält die hoffnungsvolle Vision einer besseren und gerechteren Welt. Sie ist zum Greifen nah, wenn wir sie wählen. Voices ist ein musikalischer Raum, in dem wir uns mit diesen inspirierenden Prinzipien verbinden können. Der eindrucksvolle Film von Yulia Mahr visualisiert diese Inspiration auf wunderbare Weise, er ist auch ein Vorgeschmack auf ihren Film in Kinolänge über unser kommendes Projekt."
Und ein Video gibt es auch schon:
Die App „Sleep“ gibt es im Google Play Store und in Apples App Store.