Wochenend-Walkman (Jubiläumsausgabe)Mit George Michael, Nitzer Ebb, Neutral Milk Hotel und der Mediengruppe Telekommander

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Zum dritten Geburtstag von Das Filter gibt es in der Walkman-Kolumne ausnahmsweise nicht drei, sondern vier Alben. Macht Sinn. Die Platten wurden zudem von jeweils anderen Redaktionsmitgliedern ausgewählt. Die Aufgabe: Sich mit einer LP auseinanderzusetzen, die dem Selector zwar sehr ans Herz gewachsen ist, um die der Rezensent bislang jedoch einen großen Bogen gemacht hat. Warum auch immer. Willkommen bei „Walkman verkehrt“!

George Michael Older Artwork WWalkman

George Michael – Older

Wieso Jan-Peter das Album ausgesucht hat: Warum ich Thaddeus dieses Album in den Walkman gelegt habe? Weil es mir wichtig ist. Weil wir bislang, mea maxima culpa, zu George Michaels „anlässlich“ seines viel zu frühen Todes nichts geschrieben haben, weil es sinnbildlich für das ist, was George Michael war: ein Wunderkind. Einer, der Pophits schrieb, als andere sie gerade anfingen zu hören. Einer, der mit diesem Album eine Art Reife- oder Spätwerk vorgelegt hat, als er just Mitte 30 war. „Jesus To A Child“ ist für mich einer der größten Popsongs aller Zeiten. Bei George Michael war alles irgendwie sehr früh, teils sehr zu früh.

Was Thaddeus dazu zu sagen hat: Als mir George Michael das erste Mal begegnete, war er noch zu zweit, latent grün hinter den Ohren und wusste wahrscheinlich selber nicht so recht, wie und was ihm mit Wham! gerade geschah. Es war das Jahr 1984 und ich war zwölf. „Club Tropicana“, „Wake Me Up Before You Go-Go“ und natürlich „Last Christmas“ liefen im Radio und später auch noch auf den Partys, auf die Kids in Westberlin damals so gingen. Ich kann mich entsinnen, dass es auf dem Schulhof ab und an Konflikte darüber gab, wer den nun der Coolere der beiden war: Michael oder doch Andrew Ridgeley. Dass das Projekt nur wenige Jahre Bestand hatte, war schon ein Glücksgriff, auch wenn das Songwriting brillant war. Sowas erschloss sich uns Teenagern nicht wirklich. Wer Wham! hörte, gehörte zwar nicht zu den Bösen, war aber auch nicht so upfront, wie sich die anderen damals fühlten. Lief einer der Songs bei Formel Eins, gingen die nämlich zum Kühlschrank.

Mit anderen Worten: George Michael und ich gingen getrennte Wege.

Ich höre dieses Album – veröffentlicht 1996 – tatsächlich zum ersten Mal. Natürlich kommt mir einiges bekannt vor, die Platte als zusammenhängendes Werk war mir bis heute jedoch fremd. Als „Older“ rauskam, hörte ich Drum and Bass und Autechre. Da passte „Fastlove“ nicht wirklich rein. Tut es bis heute nicht. Und doch ist dieses Album irgendwie bemerkenswert. Michael ist ein begnadeter Sänger und ich frage mich, warum er sich nie mit Menschen zusammengetan hat, die in der Lage gewesen wären, diese Qualität in der Produktion herauszuarbeiten. Denn auch wenn die sensationell ist, ist sie doch bei aller Wärme zu unterkühlt und unscharf. Irgendwie lieb- und kraftlos. Bestimmt wollte Michael das aber genauso. Eine Antithese zum immer lauter werdenden Pop-Geschäft, ein verfrühtes Alterswerk, was „Older“, so der Michael-Experte und Auftraggeber dieser Review – Jan-Peter Wulf – auch war bzw. ist. Dass George Michael dennoch genau informiert war, was sich sonst in der Popwelt tat, zeigt zum Beispiel der Song „The Strangest Thing“: Melodie und Lalala-Hook kongenial bei Saint Etiennes „Pale Movie“ von 1994 abgeguckt. Da waren Cracknell und Co bestimmt irgendwie stolz und träumten weiter davon, die Keller in Camden doch mal gegen die Weite Wembleys tauschen zu können. Auch wenn mir die Songs auf diesem Album wenig bis nichts bedeuten: Das distanzierte Crooning von George Michael hallt bis heute nach. Würde man die Tracks mit einem ordentlichen Kompressor anfetten, ein paar Samples rausschneiden und Chance oder Drake zur Neuinterpretation unterschieben: Das würde passen. Und es wäre sogar glaubwürdig und komplett am Puls der Zeit. Bis auf das Gitarren-Gezupfe. Aber der Rest? Was mal verpönt war, ist heute Teil eines neuen Kanons. Wenn ich nah dran sein will an legendären Musikern, die mir dennoch nichts bedeuten, dann höre ich auch in Zukunft Sinatras „Watertown“ und nicht Michaels „Older“. Gen Himmel gewunken. Die beiden trinken mit Sicherheit vorzügliche Martinis miteinander.

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Nitzer Ebb Belief Cover WW Ostern 2017

Nitzer Ebb – Belief

Wieso Thaddeus Herrmann diese Platte ausgesucht hat: „Belief” ist das beste Album von Nitzer Ebb überhaupt. Das ist vor allem der Produktion von Flood aka Mark Ellis zu verdanken, der den Sound von Mute Records seit den frühen 1980er-Jahren entscheidend geprägt hat. Und dann den von U2. Nitzer Ebb sind ja eigentlich nur DAF-Fanboys, die sich auf ihren ersten Platten die Seele aus dem Leib brüllten und mit dem Militarismus kokettierten. Dieses Album hier aber ist dank Flood eine exakt austarierte Auseinandersetzung mit Funk, die zudem wahnsinnig gut klingt. Die besten Basslines aller Zeiten. Natürlich nerven die Vocals von McCarthy, die Musik ist aber brillant. Was man auch in Detroit so sah: „Belief” wird von den alten Haudegen als wichtiger Einfluss gelistet. Auch wenn das nicht so wäre, würde sich die Platte auch heute noch bei mir drehen und drehen und drehen.

Was Ji-Hun Kim dazu zu sagen hat: Ich hab’s ja fast geahnt, dass Thaddi mir mit so was um die Ecke kommt. Bin ich in EBM, Industrial und Konsorten in etwa so firm wie eine frühreife Forelle im Wüstenbuggy-Fahren. Prinzipiell glaub ich auch, dass es einfach eine Generationsfrage ist. Man kann mit zehn – das Album kam 1989 raus – so eine Musik einfach nicht cool finden. Also nun … Irgendwie habe ich diese Rezension ja so prokrastiniert wie ein Drogendealer seine Steuererklärung. Es ist Karfreitag. Ich sitze im ICE nach Frankfurt, hab mir vorher das Album runtergeladen (Internet und ICE sind noch geht so gute Freunde) und höre jetzt „Belief“, von dem Kollege Herrmann behauptet, es sei das beste der Band. Klassischer Feiertagsgroßstadttransit. Was hab ich mir gedacht, als ich davon ausging, das könnte das ideale Rezensionssetting sein. Wenn der Sitznachbar andauernd auf mein Display starrt. Geh „Big Bang Theory““ gucken, Alter. Ach ja. 1989 habe ich Blue System und Rick Astley gehört. So nebenbei. Der Opener „Hearts and Minds“ klingt knackig, harte, kompakte Produktion. Wirklich profund geiler Beat und das Level sollte beibehalten werden. Auch „Shame“ und „Drive“ sind so Beispiele. So langsam mit der fortlaufenden Albumsprogression ahne ich, was Herrmann mir damit stecken will. Das ist so Blaupausen-Techno. Techno bevor es Techno gab. Proto-Techno. Und im gleichen Moment flimmert der Assozationsbeamer. Belgische Dorfdiskotheken mit Namen wie Pizzerien, blondierte Haare, Adidas Torsion, Replay-Jeans. Weiße Golf-Cabrios auf der einen und harter Heroin-Fuckup auf der anderen Seite. Wie finde ich das nun? Das Problem (auch wenn ich mich bei einer ganzen Subkultur unbeliebt mache) war von Beginn an klar. I can’t stand the singer. Je suis sorry. Ich find das sogar nahezu unerträglich. Ich mag es, wenn Sänger psychisch aufgeräumt sind, eine Identität durchs Timbre schaffen und ein Mindestmaß an Musikalität mitbringen. Dieser Kunst-Uni-Expressions-Existentialisten-Quatsch mit erratischem Grunzen wie bei Klaus Kinski. Wenn ernste Theaterschauspieler ihren kurzen Penis mit einer Rockband zu kompensieren versuchen. Ich höre schön auf mit Kopfkino. Als Instrumental-Album bekommt die Platte eine Pitchfork-mäßige 8,2 bei mir. Die Produktionen sind wirklich brillant. Die Grooves zeitlos und soundtechnisch auf einem Level, das auch heute nicht so oft zu finden ist. Danke für die Erfahrung, Thaddi. Platte ist durch, kurz vor Wolfsburg. Ich hör jetzt „Damn.“ von Kendrick.

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Neutral Milk Hotel Walkman

Neutral Milk Hotel – In The Aeroplane Over The Sea

Wieso Ji-Hun diese Platte ausgesucht hat: Es ist gemein, so eine Platte fremdrezensieren zu lassen, wenn der jenige die Band noch nie gehört hat, bzw. keinen Zugang dazu hat. Nichtsdestotrotz ist es ein wichtiges Album, ein gewichtiges zudem und es zeigt viel über Musik. Dass es nicht notwendig ist, handwerklich/produktionstechnisch immer auf BMW-Niveau zu sein, dass LoFi das wahre HiFi sein kann. Diese unfassbar tiefen Emotionen von Jeff Mangum, diese einfachen wie brachialen Songs, die inspiriert durch die Anne-Frank-Tagebücher entstanden sein sollen. Ein Einhorn, ein Unikat unter allen Alben. 1998 ist es entstanden und seither gab es kein weiteres Album mehr von der Band. Weil man einfach weiß, dass es nicht besser geht, dass alles auserzählt wurde, dass man nicht einfach ein Album nachlegt, nur um auf dem Coachella ein gut honoriertes Revivalkonzert spielen zu können. Auch das ist Musik. Üblerweise kommt dazu, dass „In The Aeroplane Over The Sea“ auch im Diskurs-Kanon sehr gut weg kommt. Da bin ich einfach mal mainstream und wünsche die Benedikt dennoch viel Spaß beim Hören.

Was Benedikt dazu zu sagen hat: Jetzt habe ich die Platte schon fast halb durch und noch nicht ein Wort aufs Display gebracht. Keineswegs weil mir die Worte fehlen oder ich keinen Zugang finde. Nein, weil ich hinhören will und auch nicht anders kann. Vielleicht liegt darin sogar der Grund dafür, dass die Musikredakteure zwischen Pitchfork und Rolling Stone die Qualität der Platte zunächst verkannt haben und ihre Bewertung zur Reissue 2005 nach oben korrigieren mussten. Es ist schlicht nicht möglich, dieses Album zu hören und im gleichen Zuge zu rezensieren. Da kannste nur verlieren. Die intimen und träumerisch-surrealistischen Texte von Jeff Mangum wollen gehört werden. Die Bildgewalt weicht Grenzen zwischen Emotionalität, Politik und Sexualität auf, sie eröffnet sich dem, der genau hinhört und wird aufgrund des Fehlens jeglicher Eindeutigkeit eine intime, persönliche und irgendwie auch einsame Erfahrung.

„All of your friends are all letting you blow / Bristling and ugly, bursting with fruits falling out from the holes / Of some pretty, bright, and bubbly friend / You could need to say comforting things in your ear“ – Oh Comely

Doch nicht die textliche Ebene allein macht „In The Aeroplane Over The Sea“ zum „Einhorn“. Zu Beginn dachte ich noch, Kollege Kim hätte mir ein reinrassiges Folkalbum aufs Auge gedrückt – gewundert hätte es mich nicht. Aber hier wird das Dissonanzpotenzial der Instrumentenpalette eines halben Jahrhunderts ausgeschöpft. Blechbläser noch und nöcher, Keyboards & Piano, Akkordion, Drums und stets Gitarre. Alles immer ein bisschen drunter, drüber und daneben – was auch für Jeff Mangums Stimme gilt. Der „schiefe Ton“ wird – unabhängig der Frage ob bewusst oder unbewusst platziert – zum Stolperstein, der den Hörer zur Konzentration ruft und ist entscheidend für den Sog, den diese Platte auszuüben vermag. Für viele ist das zweite und letzte Album von Neutral Milk Hotel ein Meisterwerk. Ich finde die Bezeichnung Wundwerk deutlich treffender.

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mediengruppe

Mediengruppe Telekommander – Die ganze Kraft einer Kultur

Wieso Benedikt das Album ausgesucht hat: Ich bin ja über verschlungene Indie-Pfade zum Techno gekommen. Eine der ersten Wegmarkierungen war „Die Ganze Kraft Einer Kultur“ der Mediengruppe Telekommander. Wie ich zu der Band gekommen bin, weiß ich gar nicht mehr genau, irgendwie zufällig. Ich glaube, es war schlicht der Bandname, der mich hat aufhorchen und schließlich hinhören lassen. Für mich war das jedenfalls purer Punk und eine echte Offenbarung. Intelligent-widersinnige und kritische Texte, Schrabbel-Gitarre über rough zusammengezimmerter Elektronik, irgendwo sogar noch HipHop. Über Leute im Freundeskreis, die glaubten sie hätten mit den Sex Pistols und Ramones die Progressivität auf Lebenszeit gepachtet, konnte ich fortan jedenfalls nur noch lachen. Tu ich heute noch: Haha.

Was Jan-Peter dazu zu sagen hat: Hahahahaha, nice shot @benediktbentler. Ich habe genau zwei Band-T-Shirts, eines von The Prodigy (Experience, gekauft 1992, Longsleeve, sieht aus wie neu) und eines von der Mediengruppe Telekommander. Ich war kein glühender Fan, das nicht, aber der eine der beiden Bandmitglieder, Florian Zwietnig oder eben Gerald Mandl, trug es auf dem einzigen Konzert, das ich von dem Duo gesehen habe. Der Shirt-Slogan „Ich mache auch was mit Medien“ plus brennender Fernbedienung gefiel mir als Fernsehwissenschaftler in spe ganz gut. Es muss 2004 gewesen sein, es muss Bochum gewesen sein, in der Matrix. Glaub ich, das Netz gibt nichts her. Lang her. Das Album kommt aber immer noch recht gut. Electropop. Mit Text und leicht bayerisch-österreichischem Akzent. „Vorsicht, ein Trend geht um. Du brauchst Veränderung.“ Oder „Ich Kommander, Er Kommander, Sie Kommander, Du Kommander, Wir Kommander, Tele-Kommander.“ Agitproppop, deutschsprachig, zackig. Das gefiel mir überraschenderweise mitten in einer Zeit, in der ich mich um deutschsprachigen Pop, um Bad Salzuflens und Hamburgs Schulen eigentlich einen feuchten Kehricht gekümmert habe. Erinnert sich noch jemand an Spillsbury? Das ging in eine ähnliche Richtung. Und um beide ist es heuer ähnlich still, Spillsbury gibt es auf dem Papier noch, die Mediengruppe hat sich 2012 aufgelöst, das letzte Konzert spielten sie vor fünf Jahren im Festsaal Kreuzberg. Ich fahre über Ostern zu meinen Eltern, da liegt das Shirt im Schrank meines Jugendzimmers. Ich werde es anziehen.

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