Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute hören wir Young Fathers, Jung an Tagen und Kenneth James Gibson.
Young Fathers – Cocoa Sugar
Benedikt: Young Fathers schaffen es nach wie vor, großartige Musik zu produzieren, ohne prätentiös daherzukommen. Trotz Mercury Prize fürs Debüt, trotz Feature mit Massive Attack und zugehörigem Video mit Rosamund Pike in der Hauptrolle (IMDb-Wertung 8,5), trotz Filmmusikprojekten und allem was die drei in ihrer zehnjährigen Bandgeschichte schon angestellt haben. Gestern erschien das dritte Album auf Ninja Tune und wieder ist es Zeugnis einer perfekten Balance zwischen den Musikern. Hier gibt es keine Front, keinen Lead, keinen Background – nur ein Trio, das die Schattenseiten der Realität ins lyrische Licht rückt. Damit führen Alloysious Massaquoi, Kayus Bankole und ‚G‘ Hastings aus Edinburgh das Erbe von HipHop abseits des sich darum rankenden Millionenbusiness der USA fort. „Cocoa Sugar“ klingt zugänglicher, mehr nach Pop noch, als die Vorgänger, ohne das man dafür den Dreck von den Drums hat wischen müssen. Im Gegenteil, jeder Popmoment wird musikalisch wie lyrisch konterkariert und kontrastiert, trotzdem werden weder Inhalte noch Herangehensweisen gegeneinander ausspielt. Auf wundersame Weise passt immer wieder alles zusammen und alles ist eine Menge: Da ist HipHop, da ist Gospel, da ist der hymnische Pop, der Broken Beat, der Slow-Down-Rap ohne Autotune, die Unperfektion von Punk und Kraut und in manchen Momenten erinnert man sich gar an Chemical Brothers feat. Q-Tip. Muss man wirklich gehört haben, also: Push the Button.
Jung an Tagen – Agent Im Objekt
Ji-Hun: Wenn es um gehypte Techno-Entwürfe der Gegenwart geht, dann verbleiben bei mir immer häufiger Fragezeichen als konkrete, genussreiche Learnings wie man heute so schön sagt. Unser jüngerer Redaktionskollege Bentler grinst dann immer verschmitzt – lass die alten Herren mal ranten – aber wer sagt, dass man für Techno mit Ende 30 zu alt sein kann? Irgendwie lässt mich dennoch vieles daran kalt. Ob es am stetig steigenden Ketaminkonsum in den Clubs liegt oder vielleicht daran, dass Techno eben gerade wirklich auf einer neuen hilflosen Identitätssuche ist – wer vermag das schon beantworten? Das Album „Agent Im Objekt“ von Jung An Tagen ist ein ebensolcher Entwurf. Das Projekt des Wiener Produzenten Stefan Juster ist Techno, dekonstruiert aber viel mehr Räume, als dass es welche bewusst schafft. Abstrakt-sonische Spaces, algorithmische Sequenzen, maschinige Polyrhythmik, omnifrequente Klangspektren, synästhetische Kopplungen. Mein assoziatives Vokabular lässt bereits erkennen: Wer naturalistische Emotionen sucht, mag bitte Simon and Garfunkel hören. Aber ja, vielleicht ist die Welt von heute einfach nicht mehr warm und humanistisch. In einer Zeit, in der AI, Deep Learning und Blockchain eine nächste industrielle Revolution einläuten – der Mensch immer mehr zum hybriden Cyberwesen wird, wenn nicht schon längst ist. Die Kollegen von Hardwax nennen das Ganze „Designer Techno“, was es irgendwie ganz gut trifft. Man denkt unweigerlich an nihilistische Installationen und neurowissenschaftliche Labore, denn an verschwitzte Tunnelraves mit Dieselgenerator. Wie wird es dann in 15 Jahren sein? Werden wir mit fluiden Datensätzen raven gehen? Oder wird Techno dann endgültig ein Fall fürs mediengeschichtliche Museum sein? Es ist beides möglich.
Kenneth James Gibson – In The Fields Of Nothing
Thaddeus: Ich hatte mich schon damit abgefunden, mir ein paar mehr oder wenige kluge Sätze zu den Cocteau Twins abzuringen für die Kolumne, da spült Kompakt gerade im rechten Moment noch das neue Album von Kenneth James Gibson in die Inbox. Einige seiner Platten als [a]pendics.shuffle habe ich irgendwie als positiv in meinem Gedächtnis abgespeichert, auch wenn ich weder sagen könnte, warum, noch ob das überhaupt stimmt. Seine anderen Projekte gingen bislang komplett an mir vorbei. Diese Platte hier – sein zweites Album für Kompakt – ist eine dieser Studien zu einem nach wie vor wichtigen Thema: Was passiert, wenn sich das Licht in der Dunkelheit bricht? Denn zwischen diesen beiden Polen, dem Hellen und dem Dunklen, orchestriert Gibson seinen neuen Soundtrack, der glatt als ein solcher durchgehen könnte. Und ja, das Orchestrale spielt hier eine tragende Rolle, aber längst nicht die einzige. Immer wieder fühle ich mich an die alte Größe der Stars Of The Lid erinnert, diese fluffende Schwere, die alles überdecken konnte und man dennoch oder vielleicht auch gerade deshalb vollkommen d’accord damit war. Aber Gibson lässt sich nicht darauf ein, sondern wechselt immer wieder den Blick, spielt lieber mit Gitarrenmotiven, die in Bergen von Berg-Hall hallen, als nur den Streichern zu verfallen und setzt mit kleinen unerwarteten Basslines wichtige Kontrapunkte, bevor der Orchestergraben inmitten von Mondfahrer-Arpeggios erneut explodiert. Gibsons Leinwand war nie weiß. Das ist von der ersten Sekunde an klar. Beeindruckend und verdammt wichtig.