Wochenend-WalkmanDiesmal mit Tornado Wallace, Doon Kanda und Max Richter

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Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen. Und im Zweifelsfall einfach ein kurzweiliger Zeitvertreib ist.

Tornado Wallace Lonely Planet Cover

Tornado Wallace – Lonely Planet

Benedikt: Mit Balearensounds kann man mich jagen, insbesondere wenn dann noch auf die Tempo-Bremse gedrückt wird. Eigentlich. Ich glaube Café del Mar ist schuld, bzw. jene gleichnamigen, furchtbaren Chillout-Mix-CDs. Mit ihnen verbindet man die sanfte Balearenelektronik, die Begriffe Balearic House, Ambient und Easy Listening. Das unverfängliche Musikrezept für die Beschallung von Einkaufszentren im Sommer und sichere Bank uninspirierter Cocktail-Bar-Besitzer – geradezu unangenehm egal. Obwohl die eben erwähnten Begriffe auch zur neuen Platte von Tornado Wallace passen, die jüngst via Running Back erschienen ist, hat „Lonely Planet“ mit den Ibiza-Chillout-Mixen so viel gemein wie die Bassdrum mit Techno: Alles und nichts. Sanft, flächig und gemächlich schiebt sich „Lonely Planet“ durch die Tracks, easy to listen, aber kein Easy-Listening – Sie verstehen? Auf den sieben Tracks verweigert der Australier den Dancefloor zwar nicht, man ziert sich aber, steht zögernd und tippelnd am Rand – mitunter leicht verwirrt. Zum Beispiel wenn sich mit der Stimme von Sui Zehn auf „Today“ echte New-Wave-Ästhetik entfaltet, ohne in Analog-Nostalgie zu verfallen. Nach 37 Minuten hat das schüchtern-nervöse Rumstehen am Rande der Tanzfläche aber auch schon ein Ende. Und man stellt fest, dass die letzte halbe Stunde im kurzweiligen Rausch des Balearen-House geradezu verflogen ist.

Album bei iTunes

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Doon Kanda – Heart

Thaddeus: Jesse Kanda. Diesen Namen werden wir uns alle merken müssen. Das ist manchmal eher doof, weil einem die Relevanz zwar einleuchtet, bei aller Diskurs-Verliebtheit der Funke dennoch nicht so recht überspringen will. Bei Jesse Kanda ist das anders. Fünf ultrakurze Entwürfe, zusammengewürfelte Schlaglicht-Brillanz, tief gepflügt und in der digitalen Preset-Abteilung unter dem Stichwort „Zirkus“ zusammengeklaubt. Dennoch und vielleicht gerade deshalb so gnadenlos (gut). Genau richtig für Hyperdub und eine kurze Juke-Atempause. Flüchtig auf den ersten Blick, aber letztendlich praktisch endlos nachhallend. Das ist Programm: „my work might sometimes be coated with a layer of sharp pain like a blade to the eye or ears. but at the heart of it is always love, compassion, empathy.“ Und so sausen die Stücke an uns vorbei, simmern in ihrer Kürze endlos in unseren Herzen und kalibrieren die Nähe, die wir alle so dringend brauchen und uns so wünschen, aus sicherer Entfernung auf operative Normaltemperatur. Geschrieben in dreizehn Minuten Echtzeit.

EP bei iTunes

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Max Richter – Three Worlds

Jan-Peter: Oh my. Wie heißt das Stück? „War Anthem“. So muss es auch mindestens heißen. Was für ein Tearjerker. Die Kinoleinwand ist schwarz, der Abspann nähert sich seinem Ende, die Kretins haben den Saal längst verlassen, man sitzt noch da und weiß nicht wohin mit all der Emotion. Schön wäre es. Ich sitze im Inter City Express nach Berlin zwischen Hamm und Bielefeld, just vereint mit dem hinteren Zugteil, grelles Neonlicht spät am Abend. Egal. Max Richter macht das hier zumindest akustisch wett. Max Richter macht mit „Three Worlds“ zunächst genau da weiter, wo er mit „From Sleep“ aufgehört hat, einem Album, das mich während meiner monatlichen Zugreisen auf dieser Strecke so viele Male begleitet hat (in der kurzen „Snippet“-Version, Kollege Kim hat mit der langen ja eine Nacht verbracht). Klavier, Streicher. Neoklassisches Pathos. Kadenzen – schön, aber erwartbar. Doch das Album heißt zurecht so, wie es heißt, es hat drei Teile. Der mittlere „Orlando“ zeigt einen schon etwas anderen Richter als „Mrs. Dalloway“, Teil eins. Einen elektronischen, ambientigen, dann wuchtigen, dann sich in Trance-Arpeggios fast verlierenden Richter. Aber nur fast. Denn dass es sich um einen Score handelt, einen „Ballet-Score“ nämlich, merkt man allein aufgrund der teils stark aneinander gekanteten Sound-Szenerien. Aus einem Guss wie bei „From Sleep“ ist hier nüscht. Die Musik von „Three Worlds“ hat Richter originär für die Ballett-Inszenierung „Woolf Works“ geschrieben, das der Choreograf Wayne McGregor 2015 am berühmten „Royal Ballet“ in London uraufgeführt hat. Eine Virginia-Woolf-Hommage. Die große Autorin bekommen wir auch auf „Three Worlds“ zu hören, gleich ganz am Anfang in „Words“. Der erschütternde Abschiedsbrief an ihren Mann eröffnet das 20-Minuten-Stück „Tuesday“, zugleich dritter und letzter Albumteil „The Waves“. Vorgelesen von Gillian Anderson, ja, Agent Scully, hier in britischstem Britisch. Es folgt pure, große musikalische Trauer. Dünn aufgetragen ist das alles nicht. Wo kann man eigentlich das Licht im Zugabteil löschen? Muss doch irgendwie gehen.

Album bei iTunes

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