Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen. Und im Zweifelsfall einfach ein kurzweiliger Zeitvertreib ist.
Thurston Moore – Rock N Roll Consciousness
Ji-Hun: Schaut man sich den Instagram von Thurston Moore an, fragt man sich nur: Mein Gott, ist der Mann gut gealtert. 58 ist Moore mittlerweile. Aufgeweckt, juvenil, frisch und gar nicht Micky-Rourke-mäßig zwanghaft jung geblieben wirkt er. Wie so viele andere Künstler. Man bedenke, dass viele seiner Zeitgenossen wie Prince oder George Michael schon gar nicht mehr leben. Der Musiker, der mit Kim Gordon und Konsorten seit 1981 mit Sonic Youth den Punk neu erfunden und Indie und Noise erschaffen und geprägt hat – Ehrlich, es gibt Rockmusiker, die sehen mit 30 beschissener aus. Man soll sich hier aber gar nicht zu sehr auf Äußerlichkeiten verkrampfen. Doch mit dem neuen Solo-Album „Rock N Roll Consciousness“, das auf Caroline erschienen ist, wirkt das alles ziemlich kongruent. Denn auch die fünf Songs dicke Langspielplatte erscheint wohltuend frisch, inspiriert, intelligent und hochgradig motiviert. Der fast zwölf Minuten lange Opener „Exalted“ ist wie eine Panoramafahrt durch die Gitarrenwelt Moores: Flächen, Pickings, verzerrte Breitwand-Soli, ein nahezu progrockiger Aufbau. Kann er alles, der Mr. Moore – osselamäng – wie man so schön sagt und ist dabei nicht eine Sekunde lang überanstrengt. Lied Nummer 2: Cusp. Ein Instant Classic in der Kategorie „schönster Schrammel-Lovesong“. Wirklich. Ein Song zum Einrahmen. Nummer 3 „Turn On“. Wieder zehn Minuten. Beginnt mit einem traumhaften Picking-Arrangement, mündet in einen vermeintlich „typischen“ Midtempo-Sonic-Youth-Song mit präzise dosierten Distortion-Eruptionen. Alles so toll. Kurze Sprachlosigkeit. Thurston Moore ist der lebende Beweis dafür, dass man nie für etwas zu alt ist, wenn man etwas wirklich liebt und will. Er ist und bleibt einer der größten (Indie-)Musiker aller Zeiten. „Rock N Roll Consciousness“ ist ein unprätentiöses und klug geerdetes Meisterwerk. Von nichts zu viel, von nichts zu wenig. Das muss mit Erfahrung und mühsam erlangter Grandesse zu tun haben. Chapeau.
Moon – Industrie & Zärtlichkeit
Thaddeus: Der alte Elektro-Trick. Will sagen: Back to basics. Moon, das sind Johannes Albert & Johannes Paluka. Letzteren kennt man vor allem als Iron Curtis und als Macher von Achterbahn D’Amour. Das Projekt „Moon“ ist noch relativ frisch, erst zwei Maxis gibt es auf Frank Music. Ein Label, das ich a) immer falsch schreibe (keine Gewähr also) und b) – ich erinnere mich genau – in der Zeit, als ich über neue 12“s noch Buch führte und im Plattenladen eine Matratze geparkt hatte, für die Momente, in denen der Besuch einfach länger dauerte und kurze Erschöpfungszustände ob der vielen Bassdrums an der Tagesordnung waren, ein heißes Ding war. Frank. Wer ist das denn bitte? Und dieses Artwork!? Anyways, die Klassik der „Generation TR“. Nichts anderes manifestiert sich auf dem Debütalbum der beiden Produzenten. Fluffig, federnd, rollend, mit genau der richtigen Portion fein beobachtender Melodiearbeit. Ein bisschen Elektro, ein bisschen House, ein bisschen Disco mit Oktavbass. Man kann das als museale Auseinandersetzung abheften, sollte man aber nicht tun. Denn im Unterschied zu anderen Restauratoren, steht bei Moon das Fenster während der Arbeit am Detroiter Stuck weit offen, die Gegenwart weht durch die Tracks. Deshalb klingt „Industrie & Zärtlichkeit“ (blöder Name, ohne Frage) auch nicht so mumpfig wie The Other People Place, nicht so ernst und absolut, sondern viel offener und moderner, auch wenn das Album alles andere als modern ist. Hier ist nichts laut, nichts upfront. Vielmehr im besten Sinne klein, zerbrechlich, getaucht in ein tiefes Kunterbunt, eine Patina, wie sie sonst nur Seenotwarnraketen über dem Pazifik an den Himmel zaubern können. Moon indes gehen nicht unter. Sondern sampeln lieber Paul Hardcastle’s „19“ und lassen sich von Lerosa remixen. Episch. Eines der besten House/Elektro/Elektronik-Alben dieses Jahres bislang.
##Tobias. – Eyes In The Center
Benedikt: Ein bisschen ist mir das Berghain-Label in den letzten Monaten aus dem Blickfeld geraten. Muss daran gelegen haben, dass ich ewig nicht mehr dort war. Mit dem kürzlichen Besuch in der Panorama Bar hat sich das allerdings wieder geändert, Ostgut, A-und Unterton sind zurück auf dem Schirm. Erster Stopp beim Skippen durch die jüngeren Releases: Tobias. Der bewegt sich schon seit Anbeginn von Techno in der Umlaufbahn gerader Bassdrums, hat Zusammenarbeiten mit allem was Rang und Namen hat (Namen erspare ich mir an dieser Stelle) auf dem Zettel, im April aber erst sein drittes Album veröffentlicht. Dreißig Jahre, drei Alben? Geht nicht ganz auf, das letzte Solo-Album kam, glaube ich, 2014. Egal. Die einzelne Bausteine von „Eyes In The Center“ sind Berghain’sche Geläufigkeit: kristallene Hi-Hats, sich langsam über den Loop schiebende Filter, vor, zurück, laut, leise, wabernd und – das ist neu auf Album drei – selten auf den Punkt. Melodien schöpfen sich aus Konstruktion und Dekonstruktion eines unscharfen, düsteren Gesamtbildes. Eine Platte, die auch in Ermangelung eines Floors einfach durchrauscht, der man ob gigantischer Detailverliebtheit einfach zuhören möchte. Sich kreativ an Techno abarbeiten ist auch 2017 noch möglich. Wer hätte es gedacht?