Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen.
The National – Sleep Well Beast
Thaddeus: Am Ende herrscht schließlich Klarheit. The National sind immer dann gut, wenn die Brüderpaare Dessner und Devendorf kuscheln wollen, und Sänger Berninger damit einverstanden ist. Die gute Nachricht dabei: Über weite Strecken des neuen Albums ist man sich darüber einig, dass das die richtige Strategie ist und genau der Sound, mit dem man die kommenden Jahre bestreiten sollte. Hier legt sich das Beast erschöpft auf die Seite und die Band deckt kollektiv zu. Erschöpfung ist ohnehin eines der entscheidenen Stichworte dieser Platte. Die Band wirkt wahnsinnig müde. In einer guten Art und Weise. Matt Berninger wird am Mikrofon immer leiser, immer tiefenentspannter, kann mit immer weniger Atmern seine Phrasen intonieren, die besser denn je sitzen. „Sleep Well Beast“ zeigt eine Band hinter Molton, eingeigelt und bewusst abgeschottet, konzentriert und doch vor allem damit beschäftigt, die zahlreichen Ingredienzien, die mittlerweile im Sound der Band ihren festen Platz gefunden haben, angemessen abzubilden. Auf früheren Platten war eben dieser Klang „mittig“. Will sagen: Von einer anschlussfähigen Pop-Basis aus, eben der Mitte, schlingerte man mal links, mal rechts in andere Gefilde. Immer überzeugend, oft großartig. Doch die Mitte blieb, die Klammer hielt. Darauf hat die Band offenbar keine Lust mehr. So geht die klangliche Schere an einigen Stellen des Albums weiter auf. Was nicht weiter schlimm oder bemerkenswert wäre, kämen hierbei nicht Rock-Klischees zum Vorschein, die leider nicht so gut sind wie die Pop-Entsprechungen, mit denen die Band schon immer gespielt hat, die sie so erfolgreich gemacht haben. Aber das sind Momente, die man schnell überspringen kann und andere vielleicht sogar begeistern. Songs von The National klingen oft beim ersten Hören fein, beim zweiten Durchgang dann interessant und offenbaren so über eine längere Zeit erst ihre wahre Faszination. Das wird bei vielen Stücken der neuen Platte wieder genauso sein, auch wenn schon beim flüchtigen Erstkontakt klar ist, dass die Produktion immer ausgefuchster geworden ist. Wir sollten uns kollektiv verabreden für den ersten Weihnachtsfeiertag, pünktlich um 11 Uhr vormittags gemeinsam das Album auflegen und durch die Lebkuchenkrümel auf dem Fußboden tänzeln. Dann passen die trockenen Drums zum Schnee, der draußen nicht liegt, dann wiegen die Worte schwer, dann ist jeder Akkord wichtig. Genauso wird es sein. „Sleep Well Beast“ ist natürlich eine gute Platte. Aber auch eine, die die Band jetzt schon mindestens vier Mal aufgenommen hat. Die Stadien sind bespielt, die Welt ist bereist. Wie geht es weiter, The National?
Micah P. Hinson – Presents the Holy Strangers
Ji-Hun: Wieso schaffen es einige und andere wiederum nicht? Wieso werden Folk-Acts wie Bon Iver und Iron & Wine zu Weltstars und so große Songwriter wie Micah P. Hinson nicht? Sind das die ungeschriebenen Gesetze der Welt? Chaostheorie oder falsch aufgesetzter Musikdarwinismus? Seit über zehn Jahren bringt der in Tenessee geborene und in Abilene/Texas lebende Künstler Platten heraus und es gibt wenige Timbres, die so einfühlsam und einnehmend sind, wie der sonore Bariton Hinsons. „Presents the Holy Strangers“ soll eine moderne Folk-Oper sein. Und es macht Sinn. Es ist mehr als ein Poesiealbum mit skizzierten Songs. Es ist dramaturgisch inszeniert, ohne in drösche E-Anbiederung abzudriften. Hinson will einfach eine große Geschichte erzählen. Über das Leben, den Tod, die Geburt, die Kindheit. Roy Orbison’sche Amerikanismen, Spoken Word, stille Akustiksongs, ambiente Teppiche, Interludes – eine großartige Atmosphäre, wie sie hier geschaffen wird. Einfach gesagt: unfassbar schön.
##Bicep - Bicep
Benedikt: Bicep ist ja schon lange kein NoName-Duo mehr. Dass jetzt erst ihr Debütalbum vorliegt, erscheint da fast erstaunlich. Erst vor wenigen Tagen hat Kollege Wulf hier seinen Eindruck der Moby-Biographie zum besten gegeben und beim Hören dieser Platte ploppten Mobys schimmernde Melodien auch in meinem Bewusstsein wieder hervor. Die von Bicep schimmern nämlich ziemlich ähnlich, ziemlich schön und fast kitschig. Etwas zeitgenössischer eingebettet, klar, aber ebenfalls gern auf Breaks und Beats, die keinem Tiefgang der Frequenz bedürfen. Oder ist mein Sennheiser kaputt? Moment. Nee ist er nicht. Fokus auf Pattern statt Wumms, helle bis grelle Flächen dienen vielfältigen Vocalfetzen als Unterbau. Bicep bleibt als Platte konsequent konsistent, differenziert wird aber in Details. Mal nähert man sich der klanglich kohärenten Landschaft aus Richtung House, mal Downtempo, dann ist da Disco und ab und zu knatscht Acid durch. Das haben die Technoblogger von feelmybicep schon ganz gut hinbekomme. Wer hätte es nicht gedacht?