Wochenend-WalkmanDiesmal mit Stumm433, Karenn und Burial

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Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Stumm433, Karenn und Burial.

Stumm433 Cover WW

Various Artists – STUMM433

Ji-Hun: Das Label Mute feierte vor einiger Zeit seinen 40. Geburtstag und brachte zu diesem Anlass eine massive Box heraus, die sich dem Stück 4’33’’ von John Cage widmet. Kaum eine Komposition war für das 20. Jahrhundert so wichtig wie dieses kurze Werk, das seinerzeit für viele Skandale sorgte und doch der Menschheit so viel über die Musik lehrte und beibrachte. Was ist ein Werk? Was ist eine Aufführung? Was bedeutet Autorenschaft, was Interpretation? Was ist eine Komposition? Was ist Musik? Was nicht? Und wieso ist so ein Stück Nichtmusik gerade erst recht Musik? Das Label von Daniel Miller hat für diesen Sampler 58 Künstler_innen aus den letzten Mute-Jahrzehnten versammelt. Die Namen klingen groß: Depeche Mode, Erasure, New Order, Laibach, The Wire, Pole, Irmin Schmidt, Yann Tiersen, Goldfrapp und viele viele mehr, selbst Moby und Chris Liebing sind dabei. Bis auf Pink Grease halten sich auch alle Interpret_innen an die Zeitvorgabe von 4 Minuten und 33 Sekunden Länge. Von Handy-Fieldrecordings bis hin zu ausgetüftelten Arrangements ist so ziemlich alles zu finden. Eine sehr eigene Compilation, aber auch spannende Präsentation der Labelgeschichte, die viel Raum für Interpretationen lässt.

karenn walkman

Karenn – Grapefruit Regret

Benedikt: Diese Woche fiel die Auswahl verdammt schwer. Nicht etwa, weil die üblichen Kanäle so viel gutes, neues Zeug offenbarten. Während in den Social Feeds die mehr oder weniger persönlichen, aber größtenteils mindestens stinklangweiligen Jahresrückblicke regierten, sah es in den üblichen Release- und Review-Kanälen, die für diese Kolumne eigentlich immer genug Reserven bereithalten, nicht viel besser aus. Jesse Kanda bzw. Doon Kanda, von dem ich eigentlich viel erwartet hatte, schreibt seine Debüt-LP im Walzerschritt. Ich meine... ernsthaft jetzt? Eineinhalb Tracklängen hab’ ich das ertragen, dann wars vorbei. Auch mit Ben Frost konnte ich nicht warm werden und „20 Years of Fabric“... Nunja. Burial wäre super gewesen, aber da war Thaddi schneller. Fast war ich soweit, einfach nochmal Hiro Kone zu nehmen. Die Platte lief bei mir in den letzten Wochen so oft durch, ich hätte sicher eine komplett andere Review schreiben können. Aber ist ja auch blöd, nicht wahr? Eine Platte hatte ich während der ganzen Zeit unbewusst umschifft. Was nicht zuletzt daran gelegen haben dürfte, dass ich mit Blawan, der zusammen mit Pariah als Karenn produziert, die eher härte Gangart verbinde. Berghain-Style – oder meiner Erinnerung nach auch Ruhrpott-Rave. „Grapefruit Regret“ ist also der Notausgang, der auf direktem Weg ins Techno-Dunkel führt. Und siehe da: die Mundwinkel zucken umgehend nach oben, endlich Zufriedenheit nach zwei Stunden frustrierten Release-Diggens. Das nur allzu vertraute Fahrwasser des Maschinen-Technos, ein wohlig-sicheres Gefühl, während sich mit mindestens 130 BPM durch die LP bewegt wird. Dass es da handwerklich nichts zu meckern gibt, steht außer Frage, war angesichts dieser beiden Hardware-Protagonisten aber auch nicht anders zu erwarten. Ansonsten gibt's dem nicht viel hinzuzufügen. Ob „Grapefruit Regret“ auch ohne die vorausgegangene Frustration und den unmittelbar karthatischen Effekt so gut reingegangen wäre? Keine Ahnung.

Burial Tunes 2011-2019-Artwork

Burial – Tunes 2011 - 2019

Thaddeus: Burial lockt mich schon seit einigen Jahren mit seiner Musik nicht mehr so richtig hinter dem Ofen vor. Was seine Verdienste, die er sich mit den beiden Alben erarbeitet hat, ist keiner Weise schmälern soll – die bedeuten mir nach wie vor viel. Jetzt packt sein Label Hyperdub Tracks aus den vergangenen acht Jahren auf eine Doppel-CD. Das ist eigentlich auch schon das Beste an diesem Projekt: CD. Häh? Ok. Immerhin hat der Künstler die Reihenfolge selbst bestimmt und wollte daraus wahrscheinlich so einen epischen Mix machen, der alles zusammenbringt, was ihn eben ausmacht. Klar sind hier auch Hits drauf. Hits, die sein Werk feinschleifen, ausdeklinieren, gegen diverse Klippen kippen lassen und neue Zusammenhänge, Möglichkeiten, Auswege aufmachen. Sollen. Könnten. Vor allem aber müssten, und das ist das Grundproblem von Burial darstellen. Hier passiert einfach nicht mehr viel. Viel Wischiwaschi-Ambient mit urbanem Referenz-Gurgeln. Schade eigentlich. Viele der Tracks hatte ich vergessen. Das war vielleicht ganz gut. Denn sie klingen mitunter wie Demos von Alphaville aus ihrer Zusammenbruchsphase. Wie die Melodiebögen überborden und nicht wissen, wohin mit sich selbst. Schwamm drüber. Jeder wie er mag. Und bei 17 Stücken findet dann eben doch irgendwie jeder was, wo sich andocken lässt, Erinnerungen befüllt und auffrischt. Das war ja immer der Schlüssel bei Burial. Ein von vornherein museales Projekt, das in seiner Hochzeit einfach passgenau den Halogen-Strahler auf den Regen setzte. Aber der Regen und die Dunkelheit, die jetzt da draußen ihr Unwesen treiben, brauchen andere Beats. Die Toxika sind einfach andere.

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