Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Diesen Samstag: Steffi & Virginia, Fly Pan Am und Trettmann.
Steffi x Virginia – Work A Change
Thaddeus: Es gibt diese ganz bestimmte Art von Electro, in der die ungebändigte Energie des 808-Sequenzers durch mal helle, mal dunkle, aber immer fluffige Chords ausgebremst wird und in ein Zeitloch fällt. Das sind für mich immer die größten Momente, in denen sich das Versprechen des aquatischen Neustarts erfüllt. Dieses Aufeinanderprallen zwei verschiedener Stimmungen gibt es sonst nirgendwo zu hören, von drei, vier Drum-and-Bass-Tracks mal abgesehen. Auch Steffi hängt dieser Ästhetik an. Die einzigartige Produzentin hat das in der Vergangenheit immer wieder unter Beweis gestellt, egal ob mit ihren eigenen Produktionen oder als Kuratorin für ihre Label-Familie „Dolly“. Das ist nicht nur einfach die alte Schule, sondern ein tiefes Verständnis für den Urknall der elektronischen Tanzmusik und den damit verbundenen sozio-kulturellen tektonischen Verschiebungen. Gemeinsam mit Virginia definiert sie diesen Ansatz nun nicht nur ein weiteres Mal, sondern auch kategorisch neu. Denn die Entschleunigung kommt vornehmlich von der Stimme. Unten das über weite Strecken extatische Brodeln, oben der ebenso brodelnde Gesang, der trotz aller Energie den großen Strahler von den Beats unvermittelt und furchtlos gen Himmel lenkt. Das ist mal sehr emotional, mal genau das, was die Zukunft der Musik sein müsste und ist. Genug geschwurbelt. Steffi und Virginia zeigen mit ihren neuen gemeinsamen Tracks, dass es noch nicht zu spät ist. Dass Hoffnung immer noch zählt. Dafür bin ich sehr dankbar.
Fly Pan Am – C’est ça
Ji-Hun: Das kanadische Label Constellation Records hat vor 20 Jahren mehr oder weniger (wenn auch nicht beabsichtigt) Postrock erfunden. Bands wie Godspeed You! Black Emperor, Do Make Say Think, A Silver Mt. Zion haben damals Kanada zum klügsten und coolsten Indie-Land der Welt gemacht. Fly Pan Am gehörte ebenfalls zu diesen besten Bands. 2004 erschien das letzte Album „N’écoutez pas“ und dann war es sehr lange still. Nach 15 Jahren nun die erste gemeinsame Produktion „C’est ça“, die natürlich auf Constellation erscheint. 2019, gleiches Ambiente. „C’est ça“ strotz vor Input. Krautrock, Noise, Shoegaze, Indie, Rock und Experimentelles. Kurz erklingen Stereolab-kompatible Arrangements und Harmonien, bevor die Melvins alles klein hacken. Ein Wunder, dass sich die Band wieder zusammengefunden hat. „C’est ça“ ist ein diverses, spannendes und großartiges Album geworden. 9 Songs, 39 Minuten, kein Takt zu viel.
Trettmann – Trettmann
Benedikt: Ganz leicht fiel mir diese Auswahl nicht. Schon im Vorhinein machte das Album Schlagzeilen. Nicht aufgrund der musikalischen Qualität des Rappers oder Produzententeams, sondern weil mit „Du weißt“ ein Feature mit Problemfigur GZUZ (187er) enthalten ist. Mehr noch: Als Vorab-Single veröffentlicht wurde. Anklagen für sexuelle Belästigungen und (deutlich) darüber hinausgehende Vorwürfe wären im Deutschrap wahrscheinlich kaum der Rede wert, wenn Trettmann mit seinem Album(-debüt) „DIY“ nicht einen Instant-Classic geschaffen hätte – samt einem Image: Der introvertierte, aber aufgrund von Alter und Erfahrung doch souverän auftretende Beobachter einer Gesellschaft, eines musikalischen (Deutschrap-)Umfelds. Aber nun ist „Trettmann“ da, samt GZUZ-Feature. Kann man ein ganzes Album aufgrund eines Feature-Gastes auf einem einzigen Track dismisssen? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Sicher bin ich mir darin, dass er das so nicht hätte tun sollen – ganz gleich mit welcher Begründung. Aber nun sind da diese 10 anderen Tracks – ganz Trettmann und eine auch inhaltlich verknüpfte Weiterführung des #DIY-Sounds von KitschKrieg. Es bleibt dunkelblau und nebelig. Aber „Trettmann“ baut die Brücke vom Dancehall zum UK-Rave und in die Texte gesellt sich ein Element, das mitunter für den Delay des Trettmann-Erfolgs verantwortlich sein könnte: Rave. Schon im Intro heißt es: „Mama hat gesagt: ‚Hol die Paper!‘ Hab' auf sie gehört, trotzdem 'n Raver“. Die Geschichten des Chemnitzers werden erzählt auf Heimwegen von der letzten Afterhour, nach viel zu langem Wachbleiben, „im Modus“ oder in Tagträumen an das was „hätten wir sein können“. Das bewegt mich sehr, das verzaubert. Was soll ich tun?