Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Brandneu, wieder entdeckt oder aus der Geschichtskiste ausgebuddelt. Heute mit einer Compilation von Steffi & Martyn, Adrianne Lenker und Dominique Lawalrée.
Steffi & Martyn – Air Texture Vol. VI
Benedikt: Perfektion in Worte zu fassen ist ja nie ganz leicht. Wenn ich auf das bisherige Jahr zurückblicke, waren es erstaunlich oft Compilations, die mich in Sachen Kohärenz bei gleichzeitiger Diversität und Dramaturgie überzeugt haben. Ob diese Platte sich in die Liste einreiht oder deren Höhepunkt ist, kann ich derzeit noch nicht sagen. Aber was Panorama-Bar-Residentin Steffi und ihr Berghain-Pendant Martyn hier vorlegen, schickt sich an, Spuren im musikalischen Gedächtnis zu hinterlassen. Für die sechste Ausgabe der Reihe „Air Texture“ haben die beiden unveröffentlichtes Material in den Weiten ihres musikalischen Umfelds zusammengesucht und ein elektronisches Mosaik geschaffen, das mit einer Laufzeit von über zwei Stunden nicht nur amtliche Ausmaße hat, sondern auch klingt, als wäre das große Ganze von Anfang an die Bestimmung jeder einzelnen Produktion gewesen. Dem Hörensagen nach war „Air Texture“ als Serie bislang vor allem Ambient-lastig. Das ist Volume VI mitnichten. Break- und Broken Beats sind omnipräsent, ohne sich jedoch des ambienten Zugangs zu verschließen. Purer Genuss über 2 Stunden und 15 Minuten – ganz egal ob du gerade aus dem Berghain kommst oder aus der Kunstgalerie.
Adrianne Lenker – abysskiss
Ji-Hun: Wer es nicht weiß, Adrianne Lenker ist die Sängerin der großartigen Indie-Band Big Thief, die mit den letzten Alben „Capacity“ und „Masterpiece“ fleißig auf Tour gewesen ist. Adrianne Lenker macht aber auch alleine Musik. Bereits vor vier Jahren erschien das Album „Hours Were The Birds“ und mit „abysskiss“ beweist sich Lenker erneut als wunderbare Songwriterin und Interpretin. Ihre Fingerpickings und Harmonien erinnern wohlig an Mark Kozelek (Sun Kil Moon). Keine großen Studioeffekte. Es sind einfache Songs, die man viel besser eigentlich kaum machen kann. Jahreszeitenmusik, passend zu meiner ersten handfesten Erkältung in diesem Jahr, weshalb ich mich mit Tee und Buch wieder unter die Decke verkrieche. Ein schönes Wochenende.
Dominique Lawalrée – First Meeting
Thaddeus: Ein echtes Fundstück. Dominique Lawalrée stammt aus Belgien, wurde 1954 geboren und arbeitete komponierend jahrelang erst im stillen Kämmerlein und veröffentlichte die Ergebnisse dann auf seinem eigenen Mini-Label „Editions Walrus“. Dieses Album hier fasst Aufnahmen aus den Jahren 1978-1982 zusammen. Lawalrée ist mir bislang noch nie untergekommen, was schon ein bisschen komisch ist. Denn seine Musik kann nicht nur wunderbar an den damaligen Ambient-Sound andocken. Großmeister Gavin Bryars war großer Fan, Brian Eno wollte Stücke auf „Obscure“ veröffentlichen. Passiert ist das nie, dort hingepasst hätten sie perfekt. Denn Lawalrée verliert sich nicht im weichspülerischen Getupfe, sondern begreift Musik als vielschichtiges Gefüge, in dem das Klavier als Medium für die Komposition schlicht nicht ausreicht. So entsteht hier trotz zahlreicher Referenzen, die einem in den Sinn kommen können und die auch durchaus ihre Berechtigung haben, etwas Einzigartiges, das den Kanon von damals farbenfroh bereichert und die Renaissance des introvertierten Klaviers und ihrer Macher von heute blass aussehen lässt. Ein Schuss vor den Bug aller zeitgenössischen Piano-Boys.