Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Slow Reels, Gigi Masin und Elles.
Slow Reels – Farewell Islands
Thaddeus: Als Slow Reels betreten zwei Musiker erstmals gemeinsam die Bühne, die sie jeweils für sich mit zahlreichen Ambient-Veröffentlichungen bespielt haben. Ian Hawgood vor allem auf seinem eigenen Label „Home Normal“ und James Murray auf „Slowcraft“. Hawgood restauriert im wahren Leben alte Bandmaschinen, die natürlich auch in seiner Musik zum Einsatz kommen. Dabei dürfen sie gerne eine Macke haben oder zumindest die Bänder so durchgenudelt sein, dass man den Aufnahmen ein gewisses Eigenleben nicht mehr absprechen kann. Soweit die Ausgangslage. Natürlich machen die beiden Ambient-Macher auf ihrem gemeinschaftlichen Debüt nun keinen Techno. Stattdessen entwerfen sie vier Tracks mit deutlicher Überlänge, auf denen, naja, nennen wir es mal das melodische Geräusch im Vordergrund steht. Der Sound wirkt dabei sehr verwaschen, in seiner eigentlich immer leicht zerrenden Abgemischtheit aber nie dark oder sonst irgendwie doof, im Gegenteil: Wer Fades solcher Länge hinproduziert, gehört generell schon mal auf die Schulter geklopft. Tatsächlich passen die beiden musikalischen Welten wunderbar zusammen. Hawgoods Loops waren die Ausgangsbasis für Murrays Sounds, die dann wiederum über die Bandmaschinen von Hawgood liefen und nun wie pinke Schneeflocken des gleichnamigen Rauschens auf die Stücke rieseln. So entsteht ein majestätisch-distanziertes Flirren, ohne das man eigentlich nie wieder leben möchte. Zwischen GAS und Seefeel ist eben noch viel Platz, der dringend gefühlt werden wollte. Slow Reels wagen den ersten Schritt. Wer nicht masht, der nicht gewinnt. Und ganz nebenbei: Die 90 Sekunden Outro von „Lakka“ wären per se schon eine 12" wert.
Gigi Masin – Calypso
Ji-Hun: Es fällt dieser Tage wahrscheinlich jedem schwer, sich nicht zur sehr durch die monothematischen Diskurse verunsichern zu lassen. Und wenn in naher Zukunft Musik nicht mehr in Clubs, Konzerten und Festivals konsumiert werden kann, dann bleiben nur die eigenen vier Wände. Das kann neue Wertschätzungen schaffen, befreit die Klänge auch vom Funktionszwang. Im tiefen Inneren wünsch ich mir, dass nicht zu viele Künstler_innen nach den kommenden Monaten die Flinte ins Korn werfen. Musik muss ja irgendwie passieren. Trotz alledem. Ich höre diese Woche das neue Album von Gigi Masin. Nicht unbedingt, weil Masin Italiener ist und viele derzeit nach Italien gucken mit einer gewissen pessimistischen Vorahnung. Das Album, das auf Apollo Records erschienen ist, beweist Masins jahrzehntealte Kennerschaft. Ein Impressionist, der eindeutige Melodien nicht scheut und Klänge produziert, die den Anker in sich selbst suchen. Ein schönes Album.
Elles – summers_of_love
Benedikt: Es werden ein paar ruhige Tage auf uns zu kommen. Viel Zeit daheim, sicher steht der ein oder andere einsame Spaziergang durch eine weitestgehend leere Stadt an, immerhin mit den ersten echten Sonnenstrahlen im Gesicht. Eine Zeit, die nach Soundtrack verlangt. Der kann ganz unterschiedliche Abzweigungen nehmen, Hauptsache er führt weit weg von dem Thema, das jedes Telefongespräch, jedes Chatfenster, jeden Feed und auch die meisten Browsertabs abseits von Netflix und Prime dominiert. Die Londonerin Elles liefert mit ihrer EP auf Naive mindestens einen sauberen Aufschlag, der einen nur deshalb nicht an Dancefloor denken lässt, geschweige denn in dessen Richtung zerrt, weil es davon vorerst keinen gibt und in den kommenden Wochen wohl nicht geben wird. In typischer UK-Manier werden die Breakbeats mal begradigt, mal in kurzen Dubstep-Avancen fallen gelassen, unter zarten Melodien und Vocalsamples runtergekühlt oder mit feinem Punch in Richtung Garage ausgefahren. Raus kommt House – letztlich. Trotz ordentlich Tempo und mitunter voluminösen Basslines lässt sich damit ganz wunderbar langsam wegdriften. Zumindest bis du am Supermarkt vorbeikommst und einen Kofferraum voll Klopapier siehst.