Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit Silver Jews, Martyn und Moon Diagrams.
Silver Jews – American Water
Ji-Hun: Meine erste CD von Silver Jews habe ich 1998 auf unbedingtem Anraten meines alten Studienfreundes Sebastian gekauft. „Wenn’s dir nicht gefällt. Ich kaufe sie dir zum Originalpreis wieder ab“, meinte er in der verrauchten Uni-Cafeteria. Eine breite Ansage – ich kaufte mir das Album blind, vorhören war ja keine Selbstverständlichkeit zu der Zeit. Aber mein Kommilitone hatte recht. „American Water“ beginnt mit einem des schönsten Songs der Welt: „Random Rules“ ist so einfach wie herzzerreißend. „I know you like to line dance. Everything so democratic and cool. But, baby, there’s no guidance when random rules.“ Bei den Aufnahmen beteiligt war auch Stephen Malkmus von Pavement. Bei „Federal Dust“ und „Blue Arrangements“ fungiert er sogar als Co-Autor. David Berman hatte Zeit seines Lebens mit dem schwierigen Verhältnis zu seinem Vater zu kämpfen. Richard Berman ist ein mächtiger Anwalt und Lobbyist in den USA und engagiert sich für die Industrien Waffen, Alkohol und Zucker. Weitere Arbeitsschwerpunkte von ihm waren Gewerkschaften zu zerschlagen und sich gegen einen Mindestlohn einzusetzen. David Berman legte 2008 sogar seine Band Silver Jews auf Eis, um etwas Wirksameres gegen die Taten seines Vaters entgegen setzen zu können. „In a way I am the son of a demon come to make good the damage“, schrieb er in einem Statement. Eine ziemlich ungleiche wie zermürbende Konfrontation, die er sich zur Aufgabe gemacht. Dieses Jahr veröffentlichte er nach über zehn Jahren erstmalig ein neues Album als Purple Mountains. Man hätte als Fan auf mehr Musik hoffen können, aber am 7. August verstarb David Berman im Alter von gerade mal 52 Jahren. Seine Todesursache ist bis dato unbekannt.
Martyn – Odds Against Us
Thaddeus: Besser spät als nie. Mit seinem Album „Voids“ fand Martyn in gleich mehrerer Hinsicht wieder zu sich selbst. Die Geschichte ist gut dokumentiert und muss hier nicht erneut aufgerollt werden. Und nun? Arbeitet Martijn Deijkers genau an dieser Perspektive weiter. Mit drei Tracks, die sich wie um großer Umhang über die Geschichte des Breakbeats und seinen Folgen wirft, und uns signalisiert: Es geht weiter, es gibt Hoffnung, es kommt nur auf den richtigen Spirit an. Sich nicht von allem und jedem ständig beeinflussen lassen, sondern lieber an das zu glauben, was einen selbst zu dem gemacht hat, was man heute ist. So entsteht auf dieser EP ein strukturelles Tentakel, das sich immer weiter zuschnürt. Von den vergleichsweise einfach hingestellten postdubsteppigen Strukturen im 2Step-Taumel, über die bewusst überstrukturierte Klarheit der Jazz-Referenzen, die dem Drum and Bass damals den Boom-Tschakk lehrten bis zum schlussendlichen Zerfall aller Strukturen in einem tight arrangierten Flash des Überbordenden. Martijn Deijkers versetzt so in einer runden Viertelstunde die gesamte Berg-Gang des Mount Rushmore. Wäre es doch immer so einfach.
Moon Diagrams – Trappy Bats
Benedikt: Da erscheint einer nicht zum Gerichtstermin und muss daraufhin für 24 Stunden in die Zelle. 24 Stunden können eine lange Zeit sein. Da ist auf kleinem Raum viel Platz zum Nachdenken, zur Selbstreflektion und Hingabe an Politik- und Weltschmerz – insbesondere mit Blick aufs Prison-TV. So ein Tag kann einen schon leicht verwirrt bis hysterisch zurücklassen. So oder so ähnlich erging es jedenfalls Moses John Archuleta nach seinem 24-stündigem Knastaufenthalt aus oben erwähntem Anlass. Der Drummer des Indie-Trios Deerhunter aus Atlanta wandelt schon eine Weile als Moon Diagrams auf elektronischen Pfaden, 2017 erschien das Debütalbum „Lifetime of Love“ als Ergebnis langen Tüftelns. Diese EP, die doch eher wie ein Album im Miniaturformat wirkt, entstand innerhalb einer Nacht – als Ergebnis der Konfusion, die der Tag im Zellentrakt hinterließ. Schöne Geschichte zu einer echt schönen Platte. Da musste einfach was raus und zwar schnell und das hört man. Der Titeltrack: ein elfeinhalbminütiges Ungetüm, dass nur scheinbar mit der Sanftheit von Deep House daherkommt, dann aber eine perkussiv verschobene, verschrobene Fratze entblößt. „Wipeout“ nimmt dann gänzlich das Tempo raus, ein Piano-Motiv im ambienten Rauschen – ganz in sich gekehrt. Mit „Daisychain“, das den Dub adaptiert ohne Dub zu sein und Off-Sounds einfädelt, wie man es von DJ Python kennt, kommt die Platte an ihr scheinbares Ende. Wenn da nicht die Zugaben wären. Shigeto, Deradoorian und Jefre Cantu-Ledesma haben sich jeweils einen Track vorgenommen und deren Version sind allesamt ebenso hörenswert.