Wochenend-WalkmanDiesmal mit Session Victim, Intenta und Collectress

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Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Session Victim, Intenta und Collectress.

Session Victim Needledrop Cover

Session Victim – Needledrop

Ji-Hun: Hauke Freer und Matze Reiling kenne ich nun seit über zehn Jahren und es gibt wenige Muckerkumpeleien aus denen im Laufe der Zeit Freundschaften werden. Im Falle von Session Victim ist das so – weshalb diese Review natürlich nicht objektiv ist. Aber Freundschaften basieren auch auf (musikalischem) Respekt. Als Hauke mir im vergangenen Jahr erste Tracks nach dem Fußball vorspielte und erzählte, dass man jetzt ein „Trip-Hop-Album“ mache, dachte ich natürlich – ne, ist klar. Aber ich verstehe nun, was gemeint ist. „Needledrop“ ist das erste Album von Session Victim, das nicht auf Delusions of Grandeur erscheint, sondern auf dem englischen Label Night Time Stories, das zuletzt mit Khruangbin international erfolgreich war. Session Victims Basics bleiben mehr oder weniger die gleichen. Extensives Sample-Digging, Matzes immerzu tolle Basslines und elegante Beats. Dennoch, es ist weniger Club, es ist gediegener, in den Mitten komplexer arrangiert, zoomt ein paar Ebenen raus und ist vor allem auch sehr ausgewogen produziert. Man wird auch einfach besser. Ob das jetzt in einen Erzählstrang mit Kruder & Dorfmeister und Kid Loco gezogen werden muss, weiß ich zwar nicht. Aber darum sollte es 2020 vielleicht auch gar nicht mehr gehen. Es geht um Haltung und die haben Session Victim schon immer gezeigt. Das ist bei „Needledrop“ nicht anders.

Collectress Different Geographies

Collectress – Different Geographies

Thaddeus: Collectress sind ein Kammermusik-Ensemble aus London. Natürlich sollte man diesen Begriff eher locker nehmen. Ah, mag jetzt die einer oder der andere denken: Neo-K! Nix. Dafür sind die Mitglieder des nur mit Frauen besetzten Kollektivs viel zu reflektiert. Und um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Das neue Album ist sehr, sehr gut. Beim ersten Querhören dachte ich, ich sei beim Penguin Cafe Orchestra gelandet, aber das ist natürlich Quatsch. Collectress sind viel magischer. Vielschichtiger. Unerwarteter. Voller Dramatik in der einen Sekunde, von überwältigender Leichtigkeit in der nächsten. Elektrischer. Geräuschiger. Mitreißender. Technisch brillant gespielt und genau so tight arrangiert, dass die quergelegten Improvisations-Snippets einen immer wieder aus dem Takt hauen. So voller Groove, dass es einfach keine Bassdrums braucht. „Different Geographies“ ist keine ernste Angelegenheit. Man spürt: Hier machen Menschen zusammen Musik, die gerne zusammen Musik machen. Dem Cello Indie beibringen, ohne gleich dark und melancholisch zu werden. Die Geige durch den Verzerrer schicken, ohne prätentiös zu wirken. Und am Ende dann doch noch singen. Fantastisch gut das alles.

WW Cover INTENTA Experimental & Electronic Music from Switzerland 1981​-​93

Intenta: Experimental & Electronic Music from Switzerland 1981-93

Benedikt: Hätte mich letzte Woche jemand gefragt, ob ich elektronische Musik aus der Schweiz auf Lager habe, am besten die von der in die Jahre gekommenen Sorte – „Sorry, ich passe.“ Heute sieht das ganz anders aus. Das französische Label Décalé hat sich mit Les Disques Bongo Joe aus Genf zusammengetan, um „Experimental & Electronic Music from Switzerland 1981-93“ zu veröffentlichen. Kaum eine Minute nachdem die Bandcamp-Empfehlungen diese Compilation angespült hatten, war der „Check out now“-Button geklickt. Genau so schnell verschwand auch der plötzlich aufflammende Zweifel in Folge dieser offensichtlichen Onlineshopping-Kurzschlusshandlung. Ob Matthias Orsett und Maxi Fischer, die beiden Kuratoren aus dem Hause Décalé, hier bloß guten Stil und ein Händchen fürs Digging beweisen, oder wirklich in dieser Musik zu Hause sind und die entsprechende, ganz tiefe Auseinandersetzung eine solche Selection erst möglich macht, vermag ein in diesem Musik-Zeit-Label-Kontext gänzlich Ahnungsloser wie ich gar nicht zu sagen. Wobei allein der zeitliche wie nervliche Lizensierungsaufwand einer solchen Platte für wahre Liebe spricht. Muss aber nicht weiter interessieren. Woran nämlich kein Zweifel besteht: Dass es sich hierbei um Musik handelt, die nicht als exemplarisches Beispiel eines dahinter stehenden Größeren herhalten muss, denn die Tracks sind ganz für sich schon viel zu besonders – und wirken als Gesamtheit wie eine riesige Umarmung, wenn nicht gar große Geste: von Jazz zu Chanson, New Wave zu Italo, Post-Punk zu Synth Pop und Zwischenstopps auf jedem Kontinent. Schwer zu glauben, dass ausgerechnet die Schweiz als Ort der Releases den entscheidenden Rahmen dieser Compilation markieren soll. Oder auch nicht? Wen juckt's. Anhören:

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