Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen.
Session Victim – Listen To Your Heart
Ji-Hun: Im Mai spielten Session Victim ein gemeinsames Konzert mit der Hamburger Legende Erobique (Carsten Meyer) im Berliner Prince Charles. Eine zweimalige Angelegenheit war das (am Tag zuvor gab es einen Auftritt in Hamburg) und es war eine Offenbarung. Ich habe Hauke Freer und Matthias Reiling wohl schon dutzende Male spielen und auflegen gesehen – aber das war in etwa das, was man sonst als Leap, als formativen Schritt einer künstlerischen Karriere betrachten könnte. Es war musikalisch, nicht eine Sekunde gimmicky, reif und voller guter Gefühle. Nun ist das neue Album des Hamburger-Berliner Duos herausgekommen und es heißt „Listen To Your Heart“. Man muss auch kein Roxette-Fan sein, um diesen Titel gut zu finden. 13 Tracks, die konsequent den Weg weiter gehen, der schon in den Jahren zuvor eingeschlagen wurde. Jazz, Funk, Soul, House, Disco, Sampling, Dancefloor, aber auch die Party im Kopf sind die Koordinaten, die bespielt werden und das mit einer Souveränität und Nonchalance, dass einem ganz schwindelig wird. Ziemlich wunderbar.
Forest Swords – Compassion
Benedikt: Knapp einen Monat ist „Compassion“, die zweite LP von Matthew Barnes alias Forest Swords, schon draußen. Zum ersten Mal gehört habe ich sie erst in dieser Woche – nur aus dem Augenwinkel wargenommen und dann: aufgesogen. Sie sind selten geworden, die Alben, denen einmal angeklungen kein Entrinnen mehr ist. Der Sound bleibt schwammig, unkonkret, ist viel und wenig zu gleich, transportiert allerdings zuverlässig ein Gefühl von Düsternis und Bedrohung. Wie Trockeneis-induzierter Bodennebel kriecht er von den Lautsprechern aus durch den Raum. Intim und persönlich scheinen die Tracks, bis sich der langsam anschleichende Pathos im entscheidenden Moment über das elektronisch undurchsichtige Geflecht erhebt. An genau diesen Stellen entfaltet „Compassion“ seine Magie. Plötzlich sind da Orgeln, Bläser und Streicher, es wird geradezu orchestral. Und dann wieder leise. Was hier digital oder analog, maschinell oder organisch ist, lässt sich beim besten Willen nicht entflechten. Wozu auch? Selbst in Sachen Lyrics bleibt die Konkretisierung aus. Zwar tragen Stimmen die Platte entscheidend mit, doch die Gesangsschnipsel und Versatzstücke lassen zumeist keinerlei textliche Interpretation zu. Die Stimme als Instrument hat es oft gegeben, aber selten so gekonnt wie hier. Ach, schon wieder rum die 50 Minuten.
Photek – T’Raenon
Thaddeus Herrmann: Vor zwei Jahren und vier Monaten habe ich an dieser Stelle nicht ganz die Wahrheit gesagt. Damals behauptete ich, Photeks beste Platte sei „Modus Operandi“. Das stimmt nicht. Photeks beste Platte ist diese hier: „T’Raenon“. Die 12“ erschien 1996 auf dem gerade von Kirk Degiorgio neu gegründeten Label Op-ART. Das steht für „Operation Applied Rhythmic Technology“ und ich weiß bis heute nicht, was das bedeuten soll. Nicht so wichtig. Wichtiger: Jetzt kann man die Maxi wieder kaufen. Vor wenigen Wochen ist sie als Start einer Reissue-Serie erschienen. Zum Streamen gibt es sie hingegen immer noch nicht, aber immerhin mal Files kaufen, wenn man Vinyl nicht mag oder braucht. Es gibt wenige Platten bei mir im Regal, die ich so oft gespielt habe wie diese. Die Rille ist so gut wie weggeputzt. Es ist ein smoother Rupert Parkes, den wir hier treffen. Der Track selbst ist verhaltender Breakbeat, der aber wiederum so abstrahiert und minimalisiert daherkommt, dass Jazz wohl besser passt. Das Sound Design drum herum ist jedoch alles andere als abstrahiert minimalisiert. In vollen Zügen gibt sich Parkes der Melancholie hin und tut das, was ihm immer am besten stand: Er lässt die Zeit stillstehen. Der Breakbeat ist fast nur noch Alibi, auf der B-Seite regieren die sanft pulsenden Bassdrums einer längst vergessenen Epoche. Eine von diesen Platten, die einen daran erinnert, warum Dance Music immer noch so wichtig ist.