Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute hören wir Scallops Hotel, Haiyti und Aleksi Perälä
Scallops Hotel – Sovereign Nose Of (Y)our Arrogant Face
Ji-Hun: Rory Ferreira aka Milo aka Scallops Hotel ist ein Rapper und Produzent aus Milwaukee und ist mit Jahrgang 1992 eigentlich viel zu jung für HipHop aus dem Native-Tongue-Lager. Im Alter von 12 soll sein Onkel ihm Nas gezeigt haben und hört man das neue Album „Sovereign Nose Of (Y)our Arrogant Face“ von Scallops Hotel wirkt das alles so cool, elegant, emotional und dennoch abgeklärt wie einst bei Miles Davis. Nur dass Ferreira statt Jazz eher eine Art Bedroom-HipHop-Producer ist. Der Solo-Folkkünstler, der Elliott Smith der 21st Century New School. Rap-Crooning, rauchiges Sampling, unnahbar persönlich und schließlich einfach ein großartiges Album. Darin muss man viel Hoffnung sehen.
Haiyti – Montenegro Zero
Benedikt: Vorweg: Ich hatte kein Verständnis für den Hype. Seit Monaten wird Haiyti weit über die Musikpresse hinaus hochgeschrieben, das gestrige Release des zweiten (aber ersten Major-) Albums hat den Rahmen der anzunehmenden Berichterstattung dann vollends gesprengt. Ein bisschen weird erschien mir das schon, waren die Mixtapes doch kaum auszuhalten. Zu Schrill die Stimme, zu grell die Beats, schon nach dem ersten Dreieinhalbminüter dachte ich, mir platzen die Ohren. Aber hey. Mixtape ist Mixtape, Album ist Album, und weil dieser Unterschied mal was bedeutet hat, bekam die Platte während gestriger Zugfahrt ihre Chance – trotz eines Gefühls von vorauseilender Ablehnung. Selten so getäuscht. Was wohl auch daran liegt, dass die beiden Vorab-Singles „100.000 Fans“ und „Mafioso“ zu den schwächeren Tracks der Platte gehören. „Gold“ ist purer Autotune-Pop und „Berghain“ unerwartet nah an DAF oder dem deutschsprachigen Electro-Punk der Nullerjahre, inklusive dem dafür typischen Hang zu lyrischem Dada und bewusstem Durcheinander, mit dem Haiyti die oft immer noch sehr platten Billo-Gebärden des Cloud-Rap gschickt der Lächerlichkeit enthebt, ohne sie zu relativieren oder ironisieren. „Kate Moss“ mit genial repetitiver Hook und „Bahama Mama“ direkt im Anschluss, machen das gleich nochmal viel deutlicher. Die neue Balance von Stimme und instrumentalem Unterbau dürfte auch der Kitschkrieg-Produktion geschuldet sein. Das Produzententeam stattete schon das Trettmann-Album „DIY“ Ende letzten Jahres mit etwas aus, das der modernen Deutschrap-Produktion abseits von Oldschool bislang abging: guter Stil – auch wenn das arrogant klingen mag. „Montenegro Zero“ ist catchy, anders, faszinierend, und doch mitnichten das perfekte Album. Autotune ist nicht bloß Stilmittel, sondern dient nach wie vor auch aggressiver Stimmkorrektur. Das dabei entstehende, typische Gurgeln nervt. Aber es fällt leicht darüber hinwegzusehen. Der Hype um die Hamburger Kunststudentin ist – da bin ich mir sicher – nämlich nicht bloß dem Status Quo ihres musikalischen Schaffens geschuldet. Der Hype schöpft sich auch aus der Hoffnung auf das, was man von der Rapperin noch erwarten darf. Die Fallhöhe ist hoch, keine Frage. Aber dass ihr lyrisch wie musikalisch kreativer und von jeder Traditionsnorm befreiter Umgang mit HipHop an dieser Stelle noch lange nicht den Zenit erreicht hat, scheint nach diesen vierzig Minuten zweifellos. Ich bin sowas von angefixt.
Aleksi Perälä – Paradox
Thaddeus: Der Finne Aleksi Perälä veröffentlicht seine Musik in einem kaum nachvollziehbarem Tempo. Stetig fallen neue EPs und Alben aus den Presswerken, auf denen sich der Produzent mit der „Colundi Sequence“ auseinandersetzt. Colundi – das hat sich Perälä gemeinsam mit Grant Wilson-Claridge ausgedacht, dem Mitbegründer von Rephlex Records. Es geht um ein alternatives System aus Tonleitern. Statt Oktaven und Halbtönen stehen hier 128 dezidierte Frequenzen zur Verfügung, die sich wiederum – ganz assoziativ – auf den menschlichen Körper, aber auch auf die Psychologie, die Physik, Mathematik, Chemie usw. beziehen (sollen). Ein sonischer Voodoo, vielleicht auch einfach nur herrlicher Quatsch (Wilson-Claridge hat Humor) – musikalisch aber prima. Denn „Paradox“ ist eigentlich nichts weiter als der Brain Dance, den Künstler wie Aphex Twin auf Rephlex schon immer gepflegt haben. Ein trippy Trip mit tollen Basslines und aus der Zeit gefallenen Beats. Wer mehr will, kann sich auf Bandcamp bei Perälä bedienen und durchhören, diese Doppel-EP hier – erschienen auf Nina Kraviz’ трип-Label scheint aber ein guter Einstieg. Und der Beweis, dass Techno schon immer weit mehr war, als 909, Ableton und Maschine.