Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: RIP Swirl, Moodymann und Freddie Gibbs & The Alchemist.
RIP Swirl – Hope U Are Well
Thaddeus: Wie gut manchmal doch die so genannten jobby jobs sind. Mit Luka Seifert aka RIP Swirl hatte ich kürzlich beruflich zu tun und hörte mich pflichtbewusst durch den Backcatalogue des Produzenten, der auch bei Yung Hurns Bandprojekt Love Hotel mitspielt. Seine Solo-Tracks sind seitdem eine der größten Entdeckungen, an die ich mich erinnern kann. Die neue EP bringt seinen Sound exemplarisch auf den Punkt. Ich habe auf den Moment gewartet, in dem ich den alten Begriff „Indietronica“ endlich mal wieder würden droppen können – bähm, schon passiert. Da ist zunächst ein allumfassendes Rauschen, das RIP Swirls Musik umgibt. Viele Gitarren, Bässe und eben Beats und Melodien, die einen reflektierten Blick auf die Zeit werfen, in der PowerBook-Musik die Welt bedeutete und sich schon längst für Indie, HipHop und Vocals geöffnet hatte. „Hope U Are Well“ ist aber kein nostalgisches Abstrampeln, sondern atmet eine große Portion Aktualität, die vor allem in Details immer wieder aufblitzt. In Arrangements, aber auch im Sound Design. Und auch wenn der Breakbeat durch einen Track flitzt: Die wattierte Fluffigkeit dieser Musik wirft mich um. Es lebe die Melancholie.
Moodymann – Taken Away
Benedikt: Am 12. Januar 2019 wurde Kenny Dixon Jr. alias Moodymann verhaftet. Jemand hatte die Polizei gerufen, weil eine in einem Van sitzende Person verdächtig erschien. In diesem Van saß Dixon, das Haus vor dem er parkte war sein eigenes. Ein Video zeigt wie die Polizisten ihm die Sturmgewehre direkt ins Gesicht halten. Jeden Tag werden in den USA mehrere schwarze Menschen von Polizisten umgebracht. Am 25. Mai wurde George Floyd von einem Polizisten ermordet, der Minuten lang auf seinem Hals kniete. Für nichts. Während bei den vorranging weißen Anti-Corona-Protesten irgendwelche widerlichen Typen mit Sturmgewehr um den Hals in Rathäusern krakelen oder Nase an Nase mit der Polizeikette stehen und genau was zu befürchten haben? Verdammt nochmal gar nichts. Wie krank ist das? Und hier? Vor 100 Tagen erschoss Tobias R. in Hanau 10 Menschen, ein rassistischer Terroranschlag. Antisemitismus, Rassismus, Homophobie – kein Tag ohne Gewalt gegen Menschen, nur weil sie einer Minderheit angehören. Es fällt mir dieser Tage schwer einfach nur Musik zu hören, mich auf eine Platte zu konzentrieren. Nicht, weil mich das alles noch überrascht. So unerwartet trifft. Nein, das Schlimmste ist die Alltäglichkeit, die Regelmäßigkeit, die anscheinend ausbleibende Veränderung zum Besseren. Und weil Riots wie die in Minneapolis gerade weniger alltägliche Bilder im US-Fernsehen sind, werden ‚gewaltsame Proteste‘ zum Newsthema gegenüber dem eigentlichen Anlass ebenjener. Und das macht wütend. Wie gesagt: Es fällt mir schwer einfach nur Musik zu hören. Aber in diesem Fall liegen Inhalt, Anlass und Hintergrund der Platte und obige Gedankengänge vielleicht auch gar nicht so weit auseinander.
Freddie Gibbs & The Alchemist – Alfredo
Ji-Hun: Der aus Indiana stammende Rapper Freddie Gibbs war im letzten Jahr mit seinem Album „Bandana“ gemeinsam mit Madlib auch schon bei mir im Walkman. Diesmal macht Frederick Tipton, so sein bürgerlicher Name, gemeine Sache mit dem kalifornischen Producer The Alchemist. „Alfredo“ erschien als mittlerweile sogenanntes Surprise-Album, quasi ohne Ankündigung, but who cares nowadays, und macht im Prinzip auf den Level weiter, wo „Bandana“ aufgehört hat. Qualität, beste Rhymes und edel stabile Produktionen. Sehr gut die exzellenten Features mit Rock Ross, Tyler, The Creator, Teflon Don und den ziemlich großartigen Benny The Butcher und Conway The Machine. Für mich bislang eines der spannendsten HipHop-Alben des Jahres.