Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Reid Willis, Billy Cobb und The Primitive Painter.
Reid Willis – 3D Reworks 002
Benedikt: Musik in 3D ist auf dem Vormarsch. Und damit ist nicht die vermeintlich stets „immersive“ Raumklang-Live-Erfahrung im Monom im Funkhaus, im ISM-Hexadome oder das nächste 3D-Konzert im Planetarium gemeint. Nein, 3D-Sound kommt auf den Stereo-Kopfhörer. „Binaural“ ist das Schlagwort, gemeint ein natürlicher Raumklang der eine Lokalisation einzelner Töne bzw. Spuren ermöglicht. Vereinfacht gesagt: Das Schlagzeug steht hinterm Zuhörenden, das Mic vor der Nase, der Synthie umkreist das akustische Geschehen. Klingt nach Hype, ist aber keiner – ganz im Gegenteil. Ganz langsam geht die Entwicklung voran, wird gebremst von der Tatsache, dass für den Hörgenuss ein ordentlicher Kopfhörer obligatorisch ist, die Stereo daheim hingegen ungeeignet. Die eigentlichen Standards sind zum Teilen schon Dekaden alt und trotzdem spielt sich das meiste spielt noch immer in der Audio-Tech-Nerd-Nische ab. Nur hier und da wird mal eine binaurale Platte veröffentlicht. Diese hier von Reid Willis ist so eine, die zweite „3D Reworks“ auf Mesh, Max Cooper hat im April schon vorgelegt. Man sollte sich das mal anhören. Unabhängig von der musikgeschmacklichen Frage – skippen sei mal explizit erlaubt. Reid Willis führt zwischen Ambient, Drone und Elektronika sehr wirkungsvoll aus, zu was ein Binaural-Mix fähig ist. Da kommt Vorfreude auf, da will man mehr. Zeit für neue Standards?
Billy Cobb – Zerwee, Pt. 2
Susann: Was passiert, wenn ein junger Weezer-Fan, Musiknerd und Youtuber keine Lust mehr hat auf ein neues Weezer-Album zu warten? Er nimmt selbst eines auf – so begründete Billy Cobb letztes Jahr sein Projekt „Zerwee“ und legt dieses Jahr direkt nach. Beide Aufnahmen sind eine liebevolle Hommage an den typischen Weezer-Sound der 1990er Jahre, vor allem an das „Blue Album“ und die „Pinkerton“. Die erste Zerwee sorgte unter der Weezer-Fangemeinde für reichlich Kontroversen: Die einen beklagten, dass seine Musik nur uninspirierter Rip-Off sei und die anderen konstatierten wiederum, dass es die beste Weezer-Platte nach den ersten beiden Alben sei.
Dass Cobb sich mit dem Weezer-Oeuvre auskennt, beweist er unter anderem mit dem sehr unterhaltsamen Format „Worst to Best“ – ein Ranking der Weezer-Alben (ich bin – keine Überraschung – ganz bei seiner Einschätzung). Jedenfalls ist „Zerwee, Pt. 2“ nicht nur ein Rip-Off und auch nicht nur Hommage. Cobb packt überall so hübsche Referenzen hinein (Animal Crossing-Fans hören bitte „I Wish That I Was Younger“), seine Lyrics haben einen ähnlichen jugendlich-schmerzhaften Duktus wie Rivers Cuomos und wirken dennoch persönlich. Billy Cobbs Projekt löst tatsächlich für mich ein peinliches Dilemma: Seit Jahren höre ich immer wieder das „Blue Album“ und die „Pinkerton“, in jedem Spotify-Jahresrückblick steht da auf Platz 1 „Pink Triangle“. (Wie nostalgisch darf man überhaupt mit 30 sein?) Nun kann ich endlich wieder etwas mehr Rockmusik aus diesem Jahrzehnt hören.
P.S.: Lieber Billy Cobb, kannst du bitte noch eine Interpretation von „You Gave Your Love To Me Softly“ machen?
The Primitive Painter – s/t
Thaddeus: Ich gebe gerne zu, dass ich Jahre nicht mehr an das gemeinsame Album von Roman Flügel und Jörn Elling Wuttke gedacht habe. 1994 erschien es auf Klang Elektronik, dem Label von Heiko M/S/O und Ata. Und bei Klang denke ich eher an Eight Miles High (wieder Roman), die Farben-EPs von Jan Jelinek, diese unfassbare Platte von Lowtec und vor allem an Maus & Stolle. Jetzt ist das Album von damals neu erschienen. Und während ich das durchhöre, denke ich mir, wie es sein kann, dass ich so lange eben nicht mehr daran gedacht habe. Ich erinnere praktisch jeden Takt, jede Snare der 606, jeden fluffigen Chord, jede Fläche, jede Arpeggio-Spielerei. Was für eine sanfte Überwältigung und teils schwer romantische Auseinandersetzung mit der Chilloutbackroomelectronica, mit Detroit, London, Sheffield und Heidelberg. Ich verzeihe sogar die Pan-Flöte. Endlos gut und nicht zeitlos, sondern aktueller denn je. Projekt für morgen: alte Source-Platten suchen.