Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Nick Cave & The Bad Seeds, DIIV und Klein.
Nick Cave & The Bad Seeds – Ghosteen
Thaddeus: Seit 35 Jahren veröffentlicht Nick Cave nun unter seinem eigenen Namen Musik – zählt man seine Zeit mit The Birthday Party noch dazu, sind es 39. Vier Dekaden Nikolas Höhle, mit oder ohne die schlechten Samen, zwischen Exzess, Heroin, Australien, Berlin und schließlich der Welt. Für mich ist seine letzte gute sieben Jahre her: Nach „Push The Sky Away“ hätte er sich auch zur Ruhe setzen und nur noch aufs Meer schauen können, um endlich zur Ruhe zu kommen. Ein episches Werk, so pointiert wie noch nie. Ausbalanciert wie noch nie. Cave gab hier den Archivar seiner eigenen Geschichte – mit seinen bis zu diesem Zeitpunkt besten Songs. Von den Lyrics ganz zu schweigen. Ganz offenbar ist er wirklich zur Ruhe gekommen, trotz des Weitermachens. Hat das überwunden, was ihn nach wie vor mit sich, der Welt und dem Verlust hadern ließ. In wie leergefegt wirkenden Songs und Arrangements – dieses Mal wirklich seine besten – dreht sich auf „Ghosteen“ alles einzig und allein um Caves Stimme und die Geschichten, die sie erzählt. In selbstsicherer Fragilität schüttelt Cave alles ab, was den Kern seines Werks und Worts bislang in mannigfachen Schattierungen immer wieder kaschierte. Kein Ablenkungsmanöver mehr. Keine Scheu. Kein Verstecken. Kein Kompromiss. Dieses Album wird eingehen in die Geschichte. Wir dürfen dankbar sein, dass Cave in seiner langen Karriere immer einen Schutzengel hatte, der auf ihn aufpasste und vor dem Schlimmsten bewahrte. Sonst wäre „Ghosteen“ nie passiert. I am beside you. Look for me.
DIIV – Deceiver
Ji-Hun: Das nun dritte Album der New Yorker Band DIIV ist, das kann man vorneweg sagen, vielleicht ihr bestes geworden. Die Band ging März 2019 in Los Angeles ins Studio und arbeitete dort mit Sonny Diperri. Das erste Mal, dass die Band mit einem Produzenten arbeitete und es ist eine gute Entscheidung gewesen. Die Band klingt, als wäre ihr Fundament gewachsen. Es strahlt eine neue Souveränität aus. Auch der im Vorgängeralbum thematisierte Drogenmissbrauch vor allem von Sänger und Gitarrist Zachary Cole Smith scheint nach einer ausgiebigen Rehab unter Kontrolle. „Deceiver“ traut sich auch mal wieder ausgiebiger den Verzerrer zu nutzen. Das schafft natürlich heimelige Texturen, erinnert an frühere Zeiten und bringt aber auch diese intrinsiche Wucht, die man bei Gitarrenbands dieser Tage manchmal vermisst hat. Eine wirklich schöne Platte.
Klein – Lifetime
Benedikt: Mit der songstrukturierten, perkussiven Vorab-Single „Claim It“ erschöpft sich die Offenheit bzw. Zugänglichkeit der neuen Platte von Klein schon nach Track Zwei. Wie hatte man eine Fortführung des Single-Sounds überhaupt in Erwägung ziehen können? Das frage ich mich jedenfalls, nachdem ich „Lifetime“ nun zum x-ten Mal durchs Line-Kabel geschliffen habe. Die Londoner Künstlerin vergleicht das Release mit der Offenlegung ihres Tagebuchs. Diese Intimität ist spürbar, ebenso wie eine tiefe, innerliche Zerrissenheit. Die wird in spärlichen Lyrics und Vocal-Samples zwar weniger konkretisiert, als vielmehr kontextualisiert – verwaschene Dialogfetzen aus den Rassenfilmen von Spencer Williams, Schnipsel aus Field Recordings, Gospel-Teaser und Vocoder-Verfremdung. Nein, die Geschichte eines emotionalen, inneren Ringens wird vor allem in Sounds erzählt. Aus verwaschenem Flirren wird kristallklares Prickeln. Motive umkreisen sich, durchkreuzen einander und zerfallen gänzlich. Darunter immer wieder: düstere Akkorde von Piano oder angerissene Melodien auf der Mundharmonika. Anfangs erscheint „Lifetime“ als Collage, doch anschließend blickt man zurück auf ein zusammenhängendes, großes Ganzes. Hier ist alles zugleich und gleichzeitig nichts. Schlichtweg faszinierend.