Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit Mort Garson, Leif und Michailo + Irakli.
Mort Garson – Plantasia
Ji-Hun: Der kanadische Komponist, Dirigent, Arrangeur und Musiker Mort Garson lebte von 1924 bis 2008 und gilt als Pionier der Synthesizer- respektive elektronischen Musikkultur. Garson arbeitete mit Doris Day, komponierte für Film, Werbung und Fernsehen und nahm unter anderem 1976 das Album „Plantasia – warm earth music for plants…and the people who love them“ auf. Dieses Synthesizer-Album ist in vielerlei Hinsicht speziell. Zum einen ist es sehr selten, weil die Schallplatte nur als Beilage beim Kauf einer Matratze erhältlich war. Dann ist es Programmmusik mit dem Impetus, Pflanzen zum schnelleren Wachsen zu verhelfen– was wissenschaftlich wahrscheinlich schwer zu halten sein dürfte. Dank YouTube erlangte „Plantasia“ im vergangenen Jahrzehnt eine Renaissance. Oft braucht es Jahrzehnte Abstand, um die Genialität eines Werks erst richtig zu verstehen. Nun gibt es endlich eine Neuauflage des Albums, sorgsam neu gemastert und nun erstmalig auch offiziell digital erhältlich. Für viele, mich eingeschlossen, ist das eine tolle Neuentdeckung eines fast vergessenen Meisterwerks.
Leif – Loom Dream
Benedikt: Leifs Veröffentlichtungen reichen zurück bis in die erste Hälfte der Nullerjahre, aber „Loom Dream“ (gerade bei Whities erschienen), markiert trotzdem erst die dritte Zeile der LP-List, was vor allem der langen Wartezeit auf das Debüt 2013 geschuldet ist. Zugegeben, das ist auch nicht mehr als soeben angereichertes Discogs-Wissen. Aber es ist die Erwähnung wert, denn lange hat mich kein Longplayer mehr so gefesselt, obgleich es gar nicht der vollen Hingabe bedarf, weil „Loom Dream“ auch im Alltag auf dünnhäutiger Hintergrundlautstärke wunderbar wirkt. Obwohl die Rückseite sechs Tracks verspricht, kennt das Release faktisch nur den Start- und Endpunkt. Dazwischen Sounds, geordnet wie ein Kräuter- & Gemüsegarten – und mit der Hingabe eines leidenschaftlichen Gärtners umsorgt. Nicht bloß die in diesen 34 Minuten großflächig platzierten Field-Recordings aus dem Grünen speisen die Assoziation gen Vegetation. Hier wird auch der Synthie-Sound mit Liebe und Geduld zur vollen Blüte gepflegt. Unerwartete Sprösslinge, die geplatziert oder zumindest ungeplant gedeihen, werden von Leif achtsam ins Arrangement integriert. Wann habe ich das letzte Mal eine Platte gehört, die so geruhsam und lebendig zugleich ist? Kp. Großartig.
Michailo + Irakli – Release
Thaddeus: Die Geschichte dieser EP ist zwar interessant, soll aber nicht von der musikalischen Qualität ablenken. Michail Todua (Michailo) kommt aus Georgien, war lange Zeit DJ und Promoter und sitzt nun im Knast – die Drogenpolitik des Landes ist unerbittlich. Dort hat er sich das Produzieren selber beigebracht, irgendwie schaffte er es, die Verwaltung davon zu überzeugen, Laptop und Synths in einem kleinen Raum im Gefängnis aufstellen zu dürfen. Die Geschichte lässt sich hier nachlesen. Irakli Kiziria kommt ebenfalls aus Georgien, wohnt aber schon lange in Berlin, (ist u. a. Macher der Partyreihe STAUB). Gemeinsam haben sie nun eine EP aufgenommen. All das ist schön und natürlich auch tragisch – die Platte hätte es aber auch ohne diesen Background in den Wochenend-Walkman geschafft. Denn die vier Tracks mit ihrer melancholischen Darkness wehen viel dringlicher und nachdrücklicher aus den Boxen als der Begleittext der Platte mit den Statements der Produzenten. Die Musik der beiden erinnert uns an eine Zeit, in der man zu klassischer Electronica noch tanzen konnte und wollte, an das Aufbegehren des Grooves abseits des großen Dancefloors – mit einem ganz eigenen Selbstverständnis in Klang und Habitus. Viel Hall, viele flirrend-filigrane, leicht gezerrte Chords – und Beats, die einfach nur geradeaus wollen. Das ist nur vordergründig einfach und übersichtlich. Tatsächlich entpuppen sich die Stücke als hoch komplexe Miniaturen der alten Schule, die nie wirklich alt wurde, sondern heute relevanter denn je erscheint.