Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen. Und im Zweifelsfall einfach ein kurzweiliger Zeitvertreib ist.
##Monolake – Ghosts
JI-Hun: In Berlin beginnt ab Ende Januar der alljährliche, altbekannte und gefürchtetete Heckmeck-Trubel. Angefangen bei der Fashionweek, über Transmediale, CTM bis hin zur Berlinale. Zeit zum Luft holen bleibt da kaum, Partys gibt's immer genug, aber die vergangenen Jahre über ist die Begeisterung für die eventreichen Wochen dann doch relativ abgestumpft. Diesmal ist es ein bisschen anders, denn dieses Jahr hat der Club Transmediale (CTM) ein wirkliches Spektakel auf die Beine gestellt. Die gemeinsam von Robert Henke (Monolake) und Christopher Bauder gestaltetete Installation Deep Web im Kraftwerk. Bauder war derjenige, der im letzten Jahr die Lichtgrenze zum Mauerfalljubiläum aufstellte und Henke ist unter den Elektronikmusikern mit Sicherheit auch ein Begriff. War er doch neben anderem auch einer der initiierenden Köpfe der heute zum Standard gehörenden Software Ableton Live. 2009 hatten Henke und Bauder bereits ein gemeinsames Projekt namens Atom. Dort wurden 64 Ballons illuminiert, bewegt und mit Sound synchronisiert und waren quasi der Vorläufer zu Deep Web, aber Deep Web ist mit den heute fast naiv wirkenden Atom-Ballons nicht zu vergleichen. Deep Web ist eine der größten, futuristischsten, plastischsten, technischsten, brillantesten und auch archtitektonisch beeindruckendsten Installationen, die man je gesehen hat. Wer noch nicht da gewesen sein sollte. Unbedingte Sichtempfehlung für dieses Wochenende. Wer weiß, wann so etwas je wieder zu sehen sein wird. Für alle anderen, die nicht in der Stadt sind, lege ich daher heute das 2012er-Album „Ghosts“ von Monolake auf. Auch ohne SciFi-Lasershow ein tolles Kunststück. Ganz ohne funkelnde Netzwerkpunkte in alten Kraftwerken kann ich mir das alles aber kaum noch vorstellen.
##Rihanna – Anti
Benedikt: Wenn ein so großer Popstar wie Rihanna „Anti“ auf ihr Album schreibt, dann bin ich erstmal skeptisch. Denn wie Anti kann Pop dieser Größenordnung überhaupt sein? Was wir gemeinhin mit Pop à la Rihanna assoziieren ist zumeist wuchtig & füllig, laut und manchmal gar grell. Ich denke da zum Beispiel an die Features mit David Guetta oder Calvin Harris oder an die großartige Hitsingle „Diamonds“. Diese Tracks im Hinterkopf, ist die neue Platte dann tatsächlich Anti. Die Produktionen nehmen sich zurück, eine ruhige Melancholie zieht sich von Anfang bis Ende durch die LP. Da will nichts laut sein, nichts nach Aufmerksamkeit gieren – außer Rihannas Stimme. Und zwar ausschließlich. Einzige Ausnahme: „Work“, das Feature mit Drake. Die insgesamt ruhige Stimmung verpasst der Platte Persönlichkeit und eine neue Intimität, wie man sie von der Künstlerin noch gar nicht kannte. Und wer weiß, vielleicht ist diese Rihanna, die ein Stück auch mal nur auf der Gitarre begleitet, die wahre. In „Love on the Brain“ heißt es: „I’m tired of being played like a violin,“. Wenn Rihanna kein Bock mehr hat, und so etwas dabei rauskommt, dann darf sie ruhig weiterhin kein Bock haben.
##Jean Michel Jarre – Zoolook
Thaddeus: Nie war JMJ näher an Sun Ra dran als 1984 mit seiner Platte Zoolook. Ein Wendepunkt in der musikalischen Karriere des Laserharfen-Erfinders aus Lyon. Nicht was die verkauften Einheiten anging, sondern vielmehr in der Tiefe seiner Auseinandersetzung mit der Elektronik. Vorbei war die Zeit der puristisch-analogen Klangforschung. Diese Platte ist anders. Digital, randvoll mit Samples und Sampling-Technologie. Und Laurie Anderson. Das Digitale veränderte damals nicht nur die Musik, sondern – wie wir heute nur zu gut wissen – auch unser ganzes Leben. Und da sind wir wieder bei Sun Ra, der Entfremdung, dem orientierungslosen Mothership – man möge mir die Verallgemeinerung verzeihen, ich fand Sun Ra immer unverständlich, konnte ihren Code nicht entziffern –, im Weltraum. Ich mag meinen Weltraum aber nicht abstrakt orchestriert – wie bei Sun Ra –, sondern bei aller notwendigen weirdness unbedingt freundlich, gar romantisch, positiv behaftet. Genau das kann und tut Jarre auf dieser Platte. Wenn schon alle überall landen und die DNA unseres Planeten feinstaubig durch den Orbit gleitet, Grenzen also fallen, dann doch bitte mit dem musikalischen Erbe der letzten 400 Jahre. Von Barock bis Grandmaster Flash. Vielleicht war es der Modernität dieser Produktion geschuldet, dass sie nicht besonders gut ankam, auch Jarre vermied es, Tracks davon live zu spielen, nudelte sich lieber durch „Oxygène“ und „Equinoxe“. Das allein ist ja schon fantastisch genug, aber „Zoolook“ ist wichtig(er). Vergessene Alben sind ja eh oft die besten. Da halte ich es mit Martin Gore von Depeche Mode. Der findet „A Broken Frame“ heute auch blöd. Für mich ist es das beste Album der Band überhaupt. Mit fast 70 Jahren wagt Jarre zur Zeit erneut den Schulterschluss mit der Gegenwart. Das klingt weniger Ethno als dieses Album hier und ist in Teilen ziemlich unerträglich, nicht nur, weil sehr Techno. Zuhören muss man diesem Mann dennoch. Bis er zum letzten Mal sein MacBook anmacht. Reduktion und Fokus. Den Bindestrich zwischen Jean und Michel hat er ja bereits abgeschafft.