Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit Max Richter, Skee Mask und Nas.
Max Richter – The Blue Notebooks
Thaddeus: Reissues sind langweilig, Re-Reissues das neue Ding! 14 Jahre hat „The Blue Notebooks“ von Max Richter mittlerweile auf dem Zeitstrahl, und der Komponist ist schon lange kein Geheimtipp mehr wie damals. Genau wie sein verstorbener Mitstreiter Jóhannsson begann Richter seine Karriere auf klassischen (sic!) Indie-Labeln. Wenn heute die Deutsche Grammophon das Album zum dritten Mal und in einer erweiterten Ausgabe veröffentlicht, kann man schnell vergessen, dass die LP ursprünglich auf einem Sublabel von FatCat erschien, von dort ihre Kreise zog und Schritt für Schritt zum bestimmenden Teil eines gerade erst entstehenden Kanons an der Schnittstelle zwischen Elektronik und klassischer Komposition wurde. Wobei: Die Elektronik spielt hier eigentlich überhaupt keine Rolle. Dass sich dieses Album im ohnehin wuseligen Katalog von FatCat als so prägend erwies, hängt wohl eher damit zusammen, dass hier ein weiteres Paar Genre-spezifischer Scheuklappen auf dem Weg von A nach B in den Straßengraben fiel und niemals wiedergefunden wurde. Und mit „On The Nature Of Daylight“ natürlich auch einen Track beinhaltet, der nicht nur in Film und TV als geschmackvoller Kitsch-Animator zum Einsatz kam, sondern schlicht eines der besten Melancholie-Samples aller Zeiten ist, nicht nur für Roots Manuva. Dabei sind die von Tilda Swinton eingesprochenen Textpassagen von Kafka und Miłosz die viel interessantere Ebene, weil sich deutlich mehr über Richters Motivation offenlegen, die ihn damals das Album hat schreiben lassen. Natürlich braucht es die zusätzlichen Stücke und Interpretationen nicht, um „The Blue Notebook“ auch 2018 noch wertschätzen zu können. Die beiden Remixe von Jlin und Konx-Om-Pax sind zwar hübsch, in diesem Kontext jedoch vollkommen deplatziert. Das Album selbst jedoch strahlt heute noch genauso stark und einzigartig wie damals und überdeckt all das Struggeln jeglicher Copycats. So gilt auch heute: Fels, Brandung, Richter. Daran ändert auch Hollywood nichts.
Skee Mask – Compro
Benedikt: 2011 erschien Bryan Müllers erstes Release als SCNTST auf Boysnoize Records. Damals war er gerade mal zarte 17 Jahre alt. Es folgten Veröffentlichungen in Richtung Techno, HipHop, House und mit „Puffer“ auch ein Langspieler, den man in die Schublade Ambient einsortieren möchte. Jetzt ist mit „Compro“ sein zweiter Langspieler als Skee Mask erschienen, auf Ilian Tape, dem Label der Zenker Brothers. Und wieder klingt der Mittzwanziger locker zehn bis fünfzehn Jahre älter, als er eigentlich ist. Die Musik, die er als Skee Mask bislang herausgebracht hat, hatte von Anfang an den gebrochenen Beat als zentrales Motiv. In der Hochzeit des Amen-Breaks lernte Bryan Müller zwar gerade erst greifen und wenig später zu laufen, trotzdem lässt sich seine diesbezügliche Liebe biografisch begründen. Schon in den letzten Zügen der 90er hatte er das erste Mal die Drumsticks in der Hand, spielte schon früh in der Band des Papas mit und schmiss nach der elften Klasse das Gymnasium, weil: Musik. Sein Katalog dankt es ihm. „Compro“ entfernt sich ein Stück von der bisherigen Breakbeat-90er-Nostalgie und platziert die nach wie vor zügigen Drum-Patterns im Kontext von Ambient-Flächen, Pads in Moll und Subbässen. In der Theorie kann das ganz schön in die Hose gehen, praktisch passiert das hier mit so viel routiniertem Feingefühl und Understatement, dass man wie schon erwähnt kaum glauben kann: Bryan Müller steht immer noch Anfang. Dieser Nachwuchs vermag so manchen Allstar aus der Setlist zu fegen. Wow.
Nas – Illmatic: Live from the Kennedy Center with the National Symphony Orchestra
Ji-Hun: Vor vier Jahren gab Nas in Washington ein einmaliges Konzert. Zum 20. Jubiläum des Genre-Masterpiece „Illmatic“ gab es eine Neuinterpretation mit dem National Symphony Orchestra im Kennedy Center. Mehr kulturelles Establishment kann man kaum in einen Satz quetschen. Dennoch darf man nicht vergessen, dass 1994, als „Illmatic“ erschien, Nas gerade mal 19 Jahre alt war und unter Umständen bis dahin noch nie ein Theater von innen gesehen hatte. Anfang dieses Jahres strahlte PBS das Konzert nochmal aus und irgendwie war das Geschrei danach so groß, dass nun vor einigen Wochen auch eine Vinyl von dem Konzert erschienen ist. Die Gefühle sind gemischt. Feiert man einfach diese opulenten Hollywood-Arrangements von Über-Klassikern wie „N.Y. State of Mind“ oder ist das nur aufgeblasener Bullshit und der viertausendachtunddreißigste Ausverkauf von Rap? Ist es auf der anderen Seite nicht auch mal subversiv, Musik, die ursprünglich auf einer MPC in miefigen Schlafzimmern in Queens erdacht wurde, nun mit so viel Musikern und dem Gestus eines Frank Sinatra ebenfalls im Smoking aufzuführen? Was ist nun der HipHop State of Mind? Zwischen den Zeilen könnte man hier viel lesen, wenn man will. Ja, man kann seine Currywurst auch mal mit Elfenbeinbesteck auf güldenen Tellern als Carpaccio du Ruhr essen. Besser schmeckt sie aber von der Hand auf dem Bordstein. So ist das auch hier.