Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit Martyn, Sasha und The Carters.
Martyn – Voids
Thaddeus: Techno hat gewonnen. Das spürte man in den vergangenen Jahren vor allem bei den Produzentinnen und Produzenten, die mit anderen Sound- und vor allem Beat-Entwürfen gestartet waren und ganz langsam in ihren Tracks immer gleichmäßig-gerader wurden. Das tat der Musik – aus meiner Perspektive – nicht sonderlich gut, aber Trends sind nunmal Trends und Techno eben Kultur. Auch Martyn würde ich diesen Transformationsprozess in die Vita schreiben. Er prägte mit Stücken wie „Broken“ oder „Twenty Four“ eine kurze Periode der Musikgeschichte ganz entscheidend mit: als aus Dubstep etwas Neues zu entstehen schien, etwas noch Offeneres, ein Pool, in dem wirklich Dinge miteinander verschmolzen. So ist es das mit Abstand Schönste an „Voids“, seinem neuen Album, dass Martijn Deijkers genau dieses Faden wieder aufnimmt. Das scheint nicht von ungefähr zu kommen: Die Platte darf als eine Art Neustart für ihn verstanden werden – nach überstandenem Herzinfarkt und der Trauer um seinen guten Freund Trevino aka Marcus Intalex aka Markus Kaye. Die beiden hatten auch gemeinsam veröffentlicht. Die Tracks wirken in ihrer überbordenden Dringlichkeit und unglaublichen Auf-den-Punkt-Produktion fluffiger denn je, eben genauso wie damals, als seine ersten EPs auf 3024 oder Revolve:r erschienen. Martyn wagt dabei sogar, sich selbst musikalisch zu zitieren, alte Presets neu herauszukramen, 1:1 einzusetzen oder wenn nötig zu bearbeiten. Das hat interessante Konsequenzen. Denn hört man „Voids“ als jemand durch, der sich in den alten Tracks des Holländers auskennt, spürt man umso mehr, wie viel Grundlagenforschung er damals schon betrieben hatte und wie viel Wucht diese mitunter nur kleinen Chords oder deren Positionierung im Mix noch heute haben. Und wie all dies mit etwas Abstand – heute – noch besser werden kann. 2018 ist ein Jahr der Nischen. Die sind mitunter so spitz, dass man das, was in diesen Nischen kopiert und emuliert wird, gut und gerne als genuin wahrnehmen und hören kann. Das ist Martyns Sache nicht. Er begann mit der großen Geste und im festen Glauben daran, dass man mehr zusammen denken kann, als normalerweise gewagt wird. „Voids“ nimmt diesen Bogen wieder auf. Eine gute Vision.
Sasha – Fabric 99
Jan-Peter: Mit Sasha hatte ich bislang wenig Berührungspunkte. Irgendwie war diese ganze Global-Underground-Ibiza-UK-Superstar-DJ-Baustelle nie so meine. Von Sasha selbst kannte ich bislang nur seinen Remix von West End Girls, jenem einzigen Hit, den die Pet Shop Boys (aus Sicht unseres Musikkolumnisten Martin Raabenstein) jemals hatten. Wie dem auch sei: Diesen Compilationmix I like. Es ist die laufende Nummer 99 der legendären Fabric-Reihe, und es ist die die vorletzte Ausgabe überhaupt, danach soll es aus dem Hause Fabric was Neues geben, hört man. Ob sich Sasha deswegen besonders viel Mühe gegeben hat? Mir jedenfalls macht's Spaß, von vorne (Agnes Obel) durch die Mitte (Crowdpleaser, Exercise One & Mathew Jonson oder Efdemin im Koze-Remix) bis hinten (Amae feat. Felicia Douglass im eigens für die Compilation von Sasha gemachten Remix). Das Trancige alter Sasha-Mixes ist da, kommt aber in einem etwas sachteren Tempo daher. Und so stellt er sich dann über weite Strecken ein, der Groove. Massenkompatibel wie ein Sandwich von Pret A Manger, aber das schmeckt eben auch ziemlich ordentlich. Party like it's 99.
The Carters – Everything Is Love
Ji-Hun: Kürzlich kam in einer ARD-Doku das Zitat eines Bauunternehmers: „Wer 250 Millionen hat und das Geld aus dem Fenster wirft, dem kommt es durch die Tür wieder rein.“ Das größte Ehepaar der Pop-Gegenwart (wenn nicht sogar Geschichte) Jay-Z und Beyoncé haben nun ihr erstes Album als The Carters heraus gebracht. Und deren Alltagsthema und -sorge scheint zu sein, dass die Türen in ihren Häusern gar nicht groß genug sind, um all das aufzusammeln, was Blizzard-mäßig auf die Carters an Geld, Macht und Luxus niederprasselt. „Everything Is Love“ müsste eigentlich heißen „Macht und Geld is everything“. So wird das Musikvideo zu „Apeshit“ im Pariser Louvre gedreht, was selbst großen Hollywood-Produktion im seltensten Fall genehmigt wird und konstant wird herausgelassen, wie fett es doch einem geht. Das hat im Rap natürlich Tradition, aber dass Beyoncé und Jay-Z den Sprung nach oben geschafft haben, muss nun niemandem mehr erklärt werden. „My great-great-grandchildren already rich/That’s a lot of brown children on your Forbes list“, trällert Frau Carter selbstbewusst im Song „Boss“ in der Vorahnung, dass sie die Keimzelle einer neuen Denver-Clan-Dynastie ist. In „713“ (die Bezirksnummer in Houston, wo Beyoncé aufgewachsen ist) heißt es, dass man trotz vergoldeter 24-Karat-Waschbecken und Louis-Vuitton-Koffern immer noch „love for the streets“ übrig hat. Sollen sie halt Kuchen essen, die erste Runde geht auf uns. Musikalisch ist das hier alles exzellent umgesetzt. Zeitgenössische Trap-Triolen werden hier in unerhört edles Klang-Brokat gehüllt. Jay-Z vermag seine Skills auch in dieses 21st-Century-Rhythmus-Diktat blendend einzubringen und Beyoncé zeigt, dass sie weiterhin alles kann. Es flufft und schimmert wie ein Hermelin und ja, vielleicht sind die Carters die neuen Obamas. Zumindest wollen sie das einen glauben machen. Nur mit dem Unterschied, dass hier der Sinn für Takt, Sophistication und Understatement komplett flöten gegangen ist. Sie sind aber auch der Archetyp der neuen Trumps und Rockefellers. Geldadel, Aristokratie, Ego-Marketing und ungebremster Größenwahnsinn anno 2018. Man mag so was inspirierend im Sinne des American Dream finden. Oder aber auch obszön. Es ist beides. Als Journalist wird man ja manchmal zu luxuriösen, schillernden Events eingeladen. Am Ende ist man aber doch wieder froh, wenn man zu Hause ist und weiß, dass man mit dem ganzen Scheiß und der permanent innewohnenden Weltverachtung nichts zu tun hat. Ähnlich ist es mit dem Album von The Carters. Beneiden um ihr Leben tu ich sie allerspätestens jetzt nämlich nicht mehr.