Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen.
Martyn Heyne – Electric Intervals
Thaddeus: !K7 hat schon vor geraumer Zeit ein Sublabel gegründet. Das heißt sinnigerweise 7K! und soll sich um das kümmern, was landauf, landab als Neoklassik bezeichnet wird. Da juckt es in den Fingern, die Anführungszeichen zu bemühen, ist der Begriff doch vollkommen irreführend und schon längst zum Schimpfwort mutiert. Das Album von Martyn Heyne ist weder neo noch Klassik, sondern schlichtweg eine der besten Platten, die dieses Jahr veröffentlicht wurden. Wie er in seinem Berliner Studio arbeitet – und wer dort schon alles gearbeitet hat – haben wir uns von ihm vor rund anderthalb Jahren selbst erklären lassen, die neun Stücke kontextualisieren seine Herangehensweise an Musik nun neu und glasklar. Einen derart beeindruckenden Sog wie beim Opener „Carry“ habe ich keiner Gitarre mehr entsteigen hören seit Michael Brooks „Cobalt Blue“ bzw. „Live At The Aquarium – London Zoo 21 May 1992“. Ein Strudel des strukturierten Wirrwarrs, in dem Gitarre und Delay und die Wette hecheln. Eine Studio-Studie. Heyne beherrscht das minimale Songwriting, das Skizzieren von ausformulierten Ideen wie kein anderer. Und setzt sie nicht nur an der Gitarre um. Am Klavier klingt er deep und zurückhaltend, und an der Gitarre eher verspielt und voller Energie. Heynes Studio als wichtigstes Instrument zieht sich wie ein roter Faden durch das Album. Die Piano-Aufnahmen klingen wundervoll rein und reingezeichnet, verortet in einer Traumlandschaft aus sensiblen Mikrofonen, die mit all ihrer Erfahrung und Erfahrenem der Seele von Heyne immer wieder neue Schattierungen geben. Und an der Gitarre schaltet er gerne Rhythmusboxen längst vergangener Epochen zu – jeder Ton, jede Trommel ein ganzer Roman. Hier stimmt einfach alles. Die Kompositionen, die Produktion, vor allem aber das nötige Abstandhalten zwischen Macher und Materie. Eine stille Platte, die über weite Strecken gar nicht still ist, in die man Hals über Kopf hineinspringt und das Auftauchen vergisst. Koste es, was es wolle.
Alvvays – Antisocialites
Susann: Als diese Woche die Meldung die Runde machte, dass Stranger Things-Darsteller Finn Wolfhard (Mike Wheeler in der Serie) einen Plattenvertrag bei Royal Mountain Records für seine Band Calpurnia unterschrieb, warf ich einen Blick auf deren letzte Veröffentlichungen und stieß auf das zauberhaft leichte Indie-Pop-Album „Antisocialities“ von Alvvays. Es ist das zweite Album der Kanadier und bezaubernd vor allem dank der Stimme von Sängerin und Gitarristin Molly Rankin. Die glänzt vor allem in Momenten wie dem langgezogenen Pre-Chorus von „Not my baby“: Because I’m really not theeeeeeere. Hach. Synthie-Klänge, 60er-Jahre-Surfband-Anleihen, dreampoppige Mehrstimmigkeit und Punk-Songlängen tun ihr Übriges für einen luftig-leichten Sound, der nicht wehtut und dafür betört. Textlich bewegt sich die Platte passend dazu eher in romantisch-emotionalen Gefilden, ein bisschen Melancholie darf auch dabei sein. „Antisocialites“ ist aber auch ein Album, welches thematisch eher den Sommer als den Herbst begleiten könnte. Umso mehr vielleicht ein Grund es am letzten Novemberwochenende ins Grau leuchten zu lassen.
NHK yx Koyxen – Exit Entrance
Benedikt: Oben zirpen die Synthies in den feinsten, zuckersüßen Minimelodien, unten stapft eine ausgelatschte Bassdrum dahin, langsam und kontinuierlich, dann wieder plötzlich stolpernd. Und in der Mitte: Nichts. Das musikalische Gerüst des zwischen Osaka und Berlin pendelnden Japaners Kohei Matsunaga wird nur vom nötigsten zusammengehalten. Der konsequente Minimalismus der ersten beiden Titel sorgt dann aber auch dafür, dass die in „Intention“ hinzukommende Drum-Kombi aus Snare und HiHat die Intensität gleich merklich erhöht, geradezu betörende Wirkung entfaltet, ohne eine Spur von Härte. Die kommt erst danach, doch dafür dann in ganz ganz düster. Irgendwer hat die zwitschernden Vögel vom Himmel geholt, denn „Dignity“ bewegt sich ausschließlich im breiten Bassbereich. „Notice“ kommt als kurze Trance-Idee daher, die es nicht über das Intro hinausschafft, irgendwie deplatziert wirkt, dann aber wieder doch nicht. Und „Mutually“ nimmt den Breakbeat auf, ohne dessen Wahrnehmung zu fokussieren. Der läuft auf höchstens halber Lautstärke einfach mit, kaum merklich, während Lo-Fi-Drums eine Cartoon-Theme-artige Melodie nach vorne schieben. Kohei Matsunaga schließt das Album mit dem 12-minütigen Technobrett „Dented“. Weil es irgendwie nochmal gesagt werden muss. So scheint es zumindest. Definitiv eine der interessantesten Techno-Platten, wenn man „Exit Entrance“ denn so nennen kann, die in den letzten Wochen erschienen ist. Mit seiner konsequenten Herangehensweise hält NHK yx Koyxen sie nämlich ganz wunderbar zusammen. Nach drei Alben auf PAN ist der Produzent und Illustrator bei DFA gelandet. Und macht hoffentlich auch künftig einfach weiter.