Wochenend-WalkmanDiesmal mit Markus Guentner, Gui Boratto und Said

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Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit Markus Guentner, Gui Boratto und Said.

Markus Guentner Empire WWalkman 16062018

Markus Guentner – Empire

Thaddeus: Markus Guentner ist jemand, der irgendwie schon immer da war. Was habe ich damals – als er schon immer da war – seine Regensburg-12" rauf und runter gespielt und dann gleich nochmal. Guentner ist aber auch jemand, den man schnell aus dem Blick verlieren kann. Gerade wenn jemand so ein verlässlicher Produzent ist, muss man nicht alles sofort hören: Hier wird nichts schlecht, hier verschwindet nichts von der Bildfläche. So kam es, dass ich tatsächlich einige Jahre nicht verfolgt habe, was Guentner so veröffentlichte. Jetzt ist Schluss damit, jetzt schließe ich auf, hole nach, tauche ein. Sein neues Album auf ASIP bietet sich da als Anknüpfungspunkt hervorragend an. Sofort ist alles wie früher. Das mag despektierlich klingen, ist aber als Kompliment gemeint. Denn jemand, der den Kosmos im Griff hat, zieht langsame, dafür aber umso verlässlichere Bahnen. Guentner ist eine der Grundfesten des ambienten Eskapismus, der heute notwendiger erscheint denn je. Ein Moment des Durchatmens, des bewussten Wegfilterns, um neue Kraft zu schöpfen für das, was da kommt. Guentners verwaschene Entwürfe sind in all ihrer Zugänglichkeit so spröde wie eine mit Sensorhärchen verstärkte Raufasertapete und somit die beste Projektionsfläche für den inneren Hans Guck-in-die-Luft. In dieser dräuenden Offenheit sticht jedoch ein Track besonders hervor: Seine Zusammenarbeit mit der kanadischen Cellistin Julia Kent kehrt dieses Prinzip in einer kammerorchestralen Zuspitzung um – der bislang beste Track 2018. Ich wünschte, ich hätte ihn am vergangenen Wochenende schon auf dem Telefon geparkt, als ich das erste Mal seit der 8. Klasse wieder in einer Sternwarte war und dort dem größten Linsenfernrohr der Welt beim Tanzen zusah. Das muss nachgeholt werden.

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Gui Boratto – Pentagram

Jan-Peter: Denke ich an Gui Boratto, denke ich an ein glänzendes Liveset bei einer legendären c/o-pop-Party des in Köln ansässigen Kompakt-Labels (Jahr vergessen), an seinen Hit „Beautiful Life“, von Sven Väth zur Peaktime auf dem „Green and Blue“-Festival in Obertshausen zum Besten gegeben, an sein Album „Chromophobia“ aus 2007. An Rave denke ich. Eleganten, neotrancigen. Jetzt hat der Brasilianer ein neues Album gemacht, es heißt „Pentagram“, es zeigt ein solches, und was ist drin? Durchaus Facettenreiches. Deswegen mal Stück für Stück: Es geht mit „The Walker“ los wie in einem Eighties-Pastiche-Soundtrack von Electric Youth, wird dann indiesk bei „The Black Bookshelf“, die Stimme von Borattos Frau Luciana Villanova, die schon auf „Beautiful Life“ sang, taucht bei „Overload“ auf. „Forgotten“ ist ein typischer, melodiöser Boratto-Track, jedenfalls in der ersten Version, denn das nächste Stück, „Forgive Me“, hat das exakt gleiche Motiv und geht dann in eine technoidere Richtung weiter. Live spiele er sie immer zusammen, erklärt der Brasilianer. „Scene 2“ ist ein netter melodramatischer Versuch, „Alcazar“ ein trippiger Track. „The Phoenix“ habe schnell ich geskippt, bei „Hallucination“ denke ich: Das ist eine gute Nummer für die Mitte eines heutigen Kompakt-DJ-Sets, dafür hat es die richtige Bassline und verschwurbelte Stimmen. Midtime music. „Spur“ ist 808-909-Purismus, steht so im Waschzettel und stimmt auch, „Pentagram“ kommt und geht. War es das? Nope, ganz zum Schluss dreht Boratto bei „618“ noch mal die Filter auf, so richtig. Hier könnte die Post abgehen. Als wolle der Künstler sagen: Wenn ich das will, dann kann ich das, jederzeit. Das ist gut zu wissen, ich persönlich hätte gerne mehr davon, aber ich respektiere den Wunsch, sich vielfältiger darstellen zu wollen. Handwerklich klingt es in meinem Ohr jedenfalls alles solide, aber einen roten Faden wie beim diskoiden Vorgängeralbum Abaporu gibt's nicht.

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Said – HAQ

Benedikt: Keine Gunshots mehr. Selbst die auf „Hoodrich“ noch präsenten, letzten Reste des Vulgären hat Said nun hinter sich gelassen. Seit über 15 Jahren ist der Berliner im Business. Mit Aggro fing es damals vielversprechend an, doch im Hype seiner Mitstreiter hat ihn das Label links liegen lassen. Trotz seiner goldenen Stimme blieb der Durchbruch aus, die Straße das zu Hause, der Bordstein stets breiter als die Bühne. Es folgte ein neuer Versuch mit „Hoodrich“, dann kamen Verwerfungen mit dem Manager. Aber all das scheint nun vergangen und langsam aber sicher gerinnt auch das böse Blut. Geblieben sind die Prinzipien – natürlich. Noch immer werden die Packs im Backstage gepusht, noch immer wird gebaut, gebufft und gerannt, wenn das Blaulicht blinkt. Es geht auch weiterhin um „Real gegen Fake, B-Real gegen Drake“ und Said bleibt ein Junge, mit dem du dich besser nicht anlegst. Und doch klingt „HAQ“ anders – ganz allgemein: reifer und erwachsener. Aber auch als hätte sich Said innerlich von den widrigen Umständen seiner biographischen und musikalischen Vergangenheit freigemacht, Wut und Frust ein Stückweit abgelegt und sich erinnert, worum es eigentlich geht: gute Musik und Spaß daran. Wie gesagt, die Stimme dafür hatte er schon immer, ebenso das Faible für Hooks und Melodien. Und doch kam beides nie besser zur Geltung, als auf diesen, erst in der Tiefe komplexen und texturreichen Kopfnicker-Beats von Brenk Sinatra, in dessen Wiener Studio die Platte auch aufgenommen wurde. Auch diese Entfernung zur hauptstädtischen Heimat wird gut getan haben, denn dort fällt das Gefühle zeigen schwer, „die Hood macht kaputt, bin oft müde und genervt“. Mitverantwortlich für den neuen Vibe sind sicher auch die Youngster von AOB, für die sich Said zwar die Mentorenkappe aufgesetzt hat, deren gänzlich unverbrauchter Drive aber auch in der eigenen Musik reflektiert wird. Achja: Eine schönere Hook als in „Kuchen“ hat Deutschrap 2018 noch nicht von sich hören lassen.

„Meine kitschigen Disco-Platten habe ich vor meinen Freundinnen versteckt“David Kitt/New Jackson im Interview

Leseliste 17. Juni 2018 – andere Medien, andere ThemenSoziale Ungleichheit, Claudia Roth, Tourismus-Verschmutzung und Jürgen Habermas