Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit Mark, Bibio und Beth Gibbons mit dem polnischen Radiosymphonieorchester.
Mark – Integriert Euch Nicht
Benedikt: 3 Tracks, knapp 20 Minuten – ein Hoch auf die Kurzweiligkeit. So aggressiv der Titel, ob nun mit oder ohne die sich aufdrängende politische Dimension dieses Satzes, so ungestüm gewittern die Breakbeats auch drauf los, nachdem „Fucking Sick Of Myself Since Day One (Hot Desk Mix)“ (sic!) mit kurzem Intro heraufgezogen ist. Weniger Rave, stattdessen ein jüngerer und vor allem industriell geprägter Drum and Bass entfächert sich über die knapp sechs, dramaturgisch maximal aufgeladenen Minuten. Im direkten Anschluss erscheint das kühle, metallisch und grell dahinbleepende „Hats Off To Herr F.“ fast schon wie eine IDM-Kaffeefahrt mit zu viel Hubraum unter Deck. Ironischerweise kommt der Titeltrack als gelungene Drum-and-Bass-Integration der beiden erstgehörten Tracks daher und auch klanglich machen Stimmen- und Bläser-Sampling hier einiges her.
Bibio – Ribbons
Ji-Hun: Bibios letztes Album „Phantom Brickworks“ war ein großer Grund zu feiern. Wie Stephen Wilkinson sich dem Thema Ambient annäherte hatte schon Anmut. Nun bringt Bibio sein neues Album „Ribbons“ heraus und es ist wieder anders als zuvor, aber zugleich sehr vertraut geworden. Diesmal stehen wieder Bibios wunderbares Gitarrenspiel und Songwriting im Zentrum. Wilkinson klingt entschlackt. Kaum noch verwaschene Samplebeats, alles strukturiert und gerade aus. Folkige Geigen, Querflöten – die Soundquellen sind schnell verortbar, geben sich weniger enigmatisch, geht es doch ums Lieder machen und ja, auch das kann Bibio natürlich ausgezeichnet. Auch ziert zum ersten Mal in seiner langen Karriere Wilkinsons Konterfei das Cover. Ein für ihn bestimmt nicht ganz einfacher Schritt. So scheint es, als hätte jemand seine Mitte gefunden.
Beth Gibbons - Henryk Górecki: Symphony No. 3 (Symphony Of Sorrowful Songs) - Performed by Beth Gibbons & the Polish National Radio Symphony Orchestra
Thaddeus: Manchmal geht es komisch zu im Musikgeschäft. Henryk Górecki komponierte die 3. Symphonie – die Symphonie der Klagelieder – 1976 als Auftragsarbeit für den Südwestfunk in Baden-Baden. Ein Jahr später wurde das Werk uraufgeführt, ohne danach zu einem großen Erfolg zu werden. Górecki wurde Langeweile vorgeworfen, dabei entfernte er sich nur von seinem bis zu diesem Zeitraum angestammten avangardistischen und eher dissonanten Terrain. Die Symphonie wurde zum Film-Soundtrack, zur überaus beliebten Sample-Quelle und schließlich 1992 unter dem Dirigenten David Zinman neu eingespielt. Diese Aufnahme wurde zum Welterfolg – und war in UK sogar in den Top 10 der Pop-Charts. Verdient hatte Górecki das allemal. Die drei Sätze wurden zu einem streitbaren, aber doch wichtigen Teil der zeitgenössischen Musik, die in allen nur erdenklichen Szenen rezipiert wurde. Ende 2014 wurde die Symphonie in Warschau aufgeführt, mit dem polnischen Radiosymphonieorchester unter der Leitung von Krzysztof Penderecki und Beth Gibbons von Portishead als Sängerin. Nun können wir das nachhören und -sehen. Das Orchester macht das wundervoll. Gibbons auch, wagt sie sich doch nicht nur an einen kulturellen Klassiker heran, sondern auch an die polnische Sprache, die sie nicht spricht und die per se schon kompliziert genug ist. Alles ganz großartig. Und doch hinterlässt mich das Album einigermaßen ratlos zurück. Die Einspielung von 1992 – mit der großartigen Dawn Upshaw – wirkt in ihrer verwaschenen Distanz immer noch wie die perfekte Intonation von Góreckis Musik. Eine neue interpretatorische Richtung lässt sich nicht erkennen. Und auch wenn Gibbons brillant singt, lässt sie sich an einigen Stellen zu sehr gehen, verfällt in das Portishead-typische Vibrato und fügt der Symphonie einen hellen Schimmer hinzu, der fehl am Platz ist. Die neue Einspielung wird die Aufmerksamkeit ein weiteres Mal auf Górecki und seine 3. Symphonie lenken. Allein das ist schon begrüßenswert. Ganz rund ist das hier dennoch nicht. Aber vielleicht muss es das auch gar nicht.