Wochenend-WalkmanDiesmal mit M. Grig, Moneybagg Yo und Avicii

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Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit M. Grig, Moneybagg Yo und Avicii.

M Grig Mount Carmel

M. Grig – Mount Carmel

Thaddeus: Ich habe lange keine Platte mehr gehört, die sich so leise in mein Gedächtnis eingebrannt hat. Michael Grigoni spielt Dobro, Lap Steel und Pedal Steel Guitar – und vermengt dieses Instrumentarium mit sanft platzierten Field Recordings zu einer Sound-Welt, die einen im wahrsten Sinne des Wortes mitnimmt. Wohin? Das dürfte die geschundene Seele der Hörerinnen und Hörer ganz individuell in das Navi des Herzens programmieren. Michael sagt selbst zu diesem Album – seinem vierten –, dass es ethnographisch motiviert ist. Damit ist der Komponist konzeptionell nah dran an Brian Harnetty, auch wenn das Ergebnis dabei vollkommen anders klingt. Er nähert sich seiner Kindheit – wie er unweit der Los Peñasquitos in Kalifornien aufgewachsen ist. Das ist eine Gedankenübung, ein bewusstes Hineinsinken in die Erinnerung. Das mag verklärende Wirkung haben, die sich im Sound der Musik niederschlägt, ist aber vollkommen egal. Denn die acht Tracks vermitteln ein Gefühl von Weite, Zerbrechlichkeit und tiefer positiv-gestimmter Melancholie, die so viel Raum für die eigene Geschichte lassen, dass man sofort mit Grigoni Verbindung aufnehmen kann, schüchtern winkt und die Hand ausstreckt. Pure Schönheit, der jeglicher Kitsch mit dem Sandpapier der Zeit abgeschmirgelt wurde.

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Moneybagg Yo – 43VA Heartless

Benedikt: Lange lief durch meine Lautsprecher kein Rap der Gattung Gotti-Gucci mehr. Längst hat sich der Sound erschöpft. Ewig gleiche Reimschemen, ständige Repetition nerviger Intonation. Der thematisch-lyrisch immer gleiche Aufguss verdampft auf den überbassigen Beats sekundenschnell zum nichtssagendes Autotune-Nebel. Einfallsreich klingt heute anders. In dieser Richtung eine Perle zu finden ist umso schwerer im Angesicht der Release-Massen, die wöchentlich in die Billboard-Charts strömen. Ob Memphis-Rapper Moneybagg Yo zu diesen Perlen gehört? Das bleibt vielleicht noch abzuwarten – Potenzial ist da. Zwar klingt „43VA Heartless“ gerade in den ersten Parts kaum besonders, zumal Demario DeWayne White, Jr. mit seiner Stimme daran nur wenig ändern kann. Doch dann entzieht sich der Rapper der Zuschreibung des einem unter vielen ganz schnell. Der Hustle findet sich in intelligenteren Versen als gewohnt wieder, die Romantik als Opfer des vertrackten (oder gestörten?) Rapper-Egos. Am besten ist Moneybagg zweifellos dann, wenn kein Feature-Gast die lyrische Substanz torpediert und zwischen Geld, Frauen, Game und Straße tatsächlich kurz Charakter aufblitzt. Ich sage hier jetzt sicher nicht, dass man sich das unbedingt anhören muss. Kann man aber, und es tut weniger weh, als der Anblick des Covers...

avicii

Avicii – Tim

Jan-Peter: Wenn der ganze EDM-Mumpitz irgendwann mal vorbei ist oder aufs Abstellgleisformat à la 90er-Sause gebahnt worden ist, wo sich alternde Aokis und Guettas gegenseitig mit Konditoreiprodukten und Tischfeuerwerk besudeln, wird sich vielleicht die Frage auftun: Wer war denn eigentlich gut, wer hatte denn musikalisch was drauf? Und so, wie sich Snap aus der Dancefloor-Seichtheit der Neunziger wohltuend hervorgetan haben, ist es hier Tim Bergling aka Avicii. Gewesen, tragischerweise. Im Film über ihn kann man seinem Verfall in jungen Jahren ob des Drucks, des Ehrgeizes und gleichzeitiger Introvertiertheit zusehen, was nicht leicht fällt. Im April vergangenen Jahres nahm Bergling sich das Leben. Nun ist also „Tim“ erschienen, ein Gutteil der Stücke sollen schon zu Aviciis Lebzeiten fertig gewesen sein. Irgendwie verbietet sich mir eine tiefere Kritik an dem Album, nur so viel: Auch wenn mich seine Musik nie besonders berührt hat und für mich immer für diesen anderen, viel zu hellen, viel zu energydrinksüßen und vom Warehouse denkbarst weit entfernten Dancefloor gestanden hat, zeigt auch „Tim“ noch einmal, dass Tim ein Händchen für Hits und ein Gefühl für Pop gehabt hat. Es ist eigentlich gar kein EDM mehr, sondern lupenreiner Dancepop, was auch immer man davon halten mag (ich persönlich nicht so viel, aber darum geht es auch gar nicht). Vielleicht wäre Bergling ein guter Produzent für die Altvorderen geworden, ein neuer Stuart Price, der die Rampensau auf Dauer lieber anderen überlässt und selbst ganz bei sich und seiner Studiomusik bleibt. Es wird nie herauszufinden sein. Da ist jemand viel zu früh aus dem Leben geschieden, und die Kulturindustrie, die sich um ihn herum aufgebaut hat, trug einen gewichtigen Teil dazu bei. Möge es nun wenigstens bei einem posthumen Album bleiben und möge keine endlose Schar neuer, alter, woher genommener und wie auch immer entstandener Tracks folgen.

Pageturner: Literatur im Juni 2019David Peace, Marie Darrieussecq und William Boyle

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