Wochenend-WalkmanDiesmal mit Lusine, Reinhard Lakomy und Tool

WWalkman-31082019-lede-gif

Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Lusine, Reinhard Lakomy und Tool.

Lusine Retrace EP Cover

Lusine – Retrace EP

Matthias: 20 Jahre ist es her, als der US-Produzent Jeff McIlwain sein abgefeiertes Debütalbum „L’usine“ auf dem Label Isophlux vorgelegt hat. Beim Nachhören kann man sich seinen Erfolg in der IDM-Szene recht schnell erklären: Lusine steht für konzentrierte, bis in die letzten Tonspitzen ausgefeilte, raumgreifende Interpretation von experimenteller IDM, nicht aufgesetzt, und schon gar nicht mit offenem Ende. Nach den Anfangsjahren verschlug es ihn zu seinem heutigen Stammlabel Ghostly, wo reichlich Alben und noch mehr EPs von ihm erschienen sind. Dabei wollte er nie möglichst verrückten Kram machen. Sondern solide bleiben, Tracks produzieren, die ihm selbst gefallen, aber die auch für eine gewisse uniqueness stehen. Eines ist aber auch klar: Die experimentelle Seite in seiner Musik hat er schon lange abgelegt. Er würde sich nicht mehr danach fühlen, und hätte, wie viele andere auch, schon einiges auf diesem Gebiet vorgelegt. Lusine hat sich dann für die Ausfahrt Pop entschieden, im möglichst aufwendig produzierten Gewand, versteht sich. Der gängige Weg, könnte man meinen. Jedenfalls schaffen es die wenigsten vom Pop zum Experimentellen. So zeigt es sich auch auf seiner aktuellen EP „Retrace“. Akribisch geht er immer noch zu Werke. Wie bei der wirklich gelungenen Single „Not Alone“ – klare, minimalistische Textur, natürlicher Gesang, ganz ohne irgendein Verzerre, sinnvolle Dosierung in der Klangfarbe, ja gar ein dramaturgischer Aufbau ist zu erkennen. Auch das dazugehörige Musikvideo ist sehenswert.

reinhard lakomy der traum von asgard

Reinhard Lakomy – Das geheime Leben / Der Traum von Asgard

Susann: Brandenburg und Sachsen wählen morgen. Und der Osten wird politisch so durchleuchtet, problematisiert und auch diffamiert wie lange nicht. Als gebürtige Brandenburgerin und Wendekind deprimiert mich der Diskurs über „die Ostdeutschen“ genauso wie „ihre“ Wahltendenz. Um der Wahldepression zu trotzen, werfe ich in diesem Wochenend-Walkman ein Schlaglicht auf Musik aus dem Osten. Kürzlich hatte radioeins mit seinem Sommersonntags-Programm schon eine unfassbar diverse und teils sehr überraschende Sammlung an Ost-Liedern präsentiert. (Und wenn sie noch einmal läuft, schaut doch diese charmante Dokumentation Lugau City Lights.) Gebannt saß ich vom Vormittag bis zum Abend vor dem Radio und in den Sozialen Medien las ich, wie viele Menschen es mir gleichtaten. Als würden sie alle „ihre“ Musik vermissen, denn im regulären Programm wäre „Solo Sunny“ oder die „Bakschischrepublik“ kaum vorstellbar. In dieser Top 100 kommt auch ein musikalischer Tausendsassa vor, Reinhard Lakomy (1946–2013) – mit seiner Frau Monika Ehrhardt schuf er zahlreiche Kinderlieder und Hörspielstücke, am bekanntesten ist mit Sicherheit der „Traumzauberbaum“. Außerdem arbeitete er an Filmmusiken für den Polizeiruf und spielte in Jazzbands. Weniger bekannt sind seine Synthesizer-Werke „Das geheime Leben“ (1982) und „Der Traum von Asgard“ (1983). Ersteres dürfte eines der ersten Elektronik-Alben der DDR gewesen sein und da Synthies eben auch Mangelware waren, sind diese Platten sehr besonders. Lakomy arbeitete wohl hauptsächlich mit dem DDR-Synthesizer Vermona, auch wenn bekannt ist, dass er ebenso einen Moog sein Eigentum nennen durfte. Der Einfluss von Tangerine Dream ist spürbar und doch haben diese beiden Platten etwas sehr mystisches, gleichermaßen verspieltes und anrührendes, wenn man sich allein die Produktionsbedingungen vergegenwärtigt. Und was sind das für tolle Cover-Illustrationen! Sollten einem diese Amiga-Schmuckstücke dann doch mal auf einem Flohmarkt begegnen: Unbedingt einpacken!

tool walkman cover

Tool – Fear Inoculum

Benedikt: Nach 13 Jahren „Fear Inoculum“. Es wurde auch Zeit. Und das sage ich nicht als größter Tool-Fan, sondern als jemand, dessen gute Freunde ihm seit ziemlich genau 2011 in den Ohren liegen, nach neuer Musik flehend. Obwohl ich die eigene Auseinandersetzung mit der Band aus Kalifornien seitdem nie nachgeholt habe, war der gestrige Tag seit erster verbindlicher Ankündigung rot in meinem Kalender angestrichen. An dieser Stelle kam zu keinem Zeitpunkt ein anderes Album infrage. „Fear Inoculum“ ist groß, vielleicht zu groß für mich Unwissenden. Deshalb rufe ich an, beim guten Freund, den O-Ton aus 2011 im Ohr, seinerseits Musiker, dessen Oberarm ein Bild von Alex Grey ziert, dem Artwork-Künstler der Band. Ein Ausschnitt des Gesprächs:
„Hey Keke, ich rufe an bzgl. einer Album-Rezension, um welche Band geht es wohl?
„Vielleicht Tool?“
„Bingo, schon angehört?“
„Drei Tracks erst, ich nehme mir für jeden Tag einen Tack ernsthaft vor. Zum einen habe ich gemerkt: Die 5 Alben, von denen ich 4 dem Schaffen der heutigen, eigentlichen Band zuordnen würde, haben mir über eine Dekadenlänge hinaus so viel gegeben. Auch beim zehnten Hören entdecke ich Neues, ich hab da also keine Eile. Zum anderen sind die Tracklängen ja gern mal 10 Minuten, was für den ein oder anderen schon eine echte Herausforderung bedeutet.“
„Mich haben die Längen schon beim Aufrufen der Playlist gefreut, 10 Songs, 1h 26min sagt mein Spotify. Ich bin die Tracklänge jenseits der vier Minuten gewohnt und denke mir im Bereich Rock, Metal, Indie viel zu oft: Es endet schon, bevor es eigentlich spannend wird. Und die 10 Minuten lohnen sich ja. Diese subtilen Takt- und Tempiwechsel haben mich einigermaßen sprachlos zurückgelassen.“
„Tool wird ja gern dem Metal oder Progressive Metal zugeordnet – aufgrund des technischen Anspruch oder Levels, den du auch mit diesen Wechseln meinst. Aber Prog Metal rückt oft die Technik ins Zentrum. Bei Tool erreicht sie zwar das gleiche Level – bleibt aber subtil. Deshalb ist die Zuschreibung der Band nicht wirklich würdig.“
„Metal ohne Show-off. Wobei ich sagen würde, das Tool abseits des techn. Anspruchs und dem offensichtlichen Klang der Distortion allgemein nicht so viel mit Metal zu tun hat. Zumindest hat die Elekrtonik in dieser Platte ihren festen Platz.“
„Danny Cary, der Drummer und Tabla-Fan, hat – soweit ich weiß – auch für eine Company gearbeitet, die so Octa-Pads für Drums baut und entwickelt. Daher klingen die Drums auch manchmal so nach Drummaschine [höre: „Pneuma“ ab Min 7, Anm. d. Rezensenten].“
„Was abseits der Drums nach Synthie klingt sind Gitarreneffekte oder? Ein eigenes Instrument dafür gibt es doch nicht oder?“
„Nee da steht keiner am Synthie.
„Es klingt für mich als wäre Danny Cary nicht bloß Drummer, sondern auch der eigentliche Dirigent der Band. Initiator des Arrangements und der Takt- und Tempi-Wechsel.“
„Ja den Eindruck vermittelt vor allem das letzte Album – und eben dieses. Auf jeden Fall ist er mehr als bloß Drummer.“

„Es ist eigentlich schön, gemeinsam ein Smartphone zu bauen“Interview: Bas van Abel über das Fairphone 3, nachhaltigen Konsum und faires Koks

Leseliste 01. September 2019 – andere Medien, andere ThemenGin Basil Smash, Pendeln, die Wahrheit über E-Scooter und eine Reise durch Brandenburg