Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Brandneu, wieder entdeckt oder aus der Geschichtskiste ausgebuddelt. Heute mit Lowtec, Siriusmo und Fred & Luna.
Lowtec – Light Surfing
Ji-Hun: In der Popkultur gibt es den oft zitierten Sager: Man bekommt zwar XY aus dem Ghetto. Aber das Ghetto nicht aus XY. Und es stellt sich durchaus die Frage, wie die Sounds von Lowtec klingen würden, wenn er wie alle anderen auch nach Berlin gezogen wäre und nicht in Schmalkalden in Thüringen geblieben und dort nun seit über zwei Jahrzehnten einer der Protagonisten der exklusivsten House-Provinzszene der Welt ist. Jens Kuhn/Lowtec betreibt mit Paul David Rollmann (Even tuell) das sehr wichtige Label Workshop (Kassem Mosse, Move D, Marvin Dash, Reagenz). Und Lowtec hat nach sehr langen 17 Jahren nun endlich wieder ein Album gemacht. Es ist auf Avenue 66 erschienen und es ist wie das Soundstream-Album, das ebenfalls kürzlich herauskam, ein großes Geschenk. Tiefen eruierende Romantik, kühle betonnasse Räume, Heritage atmende Deepness in Reinkultur – acht Tracks liefert Kuhn ab, die in ihrer Einfachheit mal wieder perfekt sind. Die schönsten Streichersamples, die elegischsten Filterkurven und ein freundschaftliches wie zugleich ergreifendes Storytelling. Eine Blaupause dafür, wie die schwierige Disziplin des House-Albums auch 2019 gemeistert werden kann. Es braucht nämlich nicht viel, vor allem keine moderne Technik. Eine brillante Idee, Erfahrung und ein Funken Genialität reichen vielleicht. Wäre aber auch leichter gesagt als getan.
Siriusmo – Zeit EP
Matthias Hummelsiep: Siriusmo hat so etwas wie einen Sonderstatus in meiner Bibliothek. Warum? Es ist diese kauzige, quietschige, dreckige, liebenswürdige, minimalistische, verrauchte und immer positiv bleibende Handschrift in seiner Musik. Und dass er, einfach gesagt, ein wahnsinnig guter DIY-Produzent ist. Belege gibt es dafür zuhauf. Aber muss ich mir bei seiner aktuellen EP „Zeit“ Sorgen um ihn machen? Die Tracks wirken so ernst, es geht um Zeit, fehlende Zeit. Rennt er ihr hinterher, oder sie ihm? Hat er jetzt seinen Philosophischen? Oder ist es gar eine subtile Kritik am System der Likes, Emojis, GIFs und Stories? Naja, vielleicht auch alles ganz harmlos. Auf jeden Fall sollte man sich die Tracks mal auf die Ohren schnallen und durch die Berliner Öffis swingen. Die Tracks wärmen von innen, und alle Menschen scheinen so lieb auf einmal. Besonders hebt sich die Knallerballade „Kirin“ vor: Elegant und lässig blubbern die Beats und Breaks vor sich hin, darüber bleept und klickt es nur so. Dann dieses leuchtende Zwischenspiel, auf dem Synthie eingespielt, fast schon wie eine Hymne. Doch dann sind sie wieder da: diese griesgrämigen Gesichter der Berufspendler, ungefähr so: 😔. Und ein weiteres Mal frage ich mich: Wie kriegt Siriusmo das immer so gut hin? Vielleicht verkabelt er ja sein kreatives Hirn direkt mit seinem Polymoog, dem überteuren Wurlitzer, Mischpult und Computer – bis der kreative Strom fließt. Mist, die Bahn kommt zu spät, auch egal. Einfach mal die Zeit nehmen.
Fred und Luna – Im Tiefenrausch
Benedikt: Fred und Luna bezeichnen ihre Musik als Elektrokraut beziehungsweise Krautelektro. Das Debüt „Im Klanggarten“ erschien auf Frank Wiedemanns Label Bigamo, gestern erschien der Nachfolger bei Compost Records. Ich weiß nicht, ob ich diese Bezeichnung so unterschreiben würde. Krautelektro. Erscheint mir ein bisschen, als wolle man sich die Schublade, in die man so oder so gesteckt wird, lieber selbst aussuchen. Bevor der gemeine Musikjournalist sich da noch irrt. Im Sinne der Promotion hat es ja funktioniert, auch hier, schon im ersten Satz gedroppt - gern geschehen. Lässt man mal beiseite, was diese Musik sein oder nicht sein soll, versprechen diese zwölf Tracks durchaus echtes, wenn auch passives elektronisches Hörvergnügen. Kurzum: Sie rauschen nahezu unbemerkt durch wie der Schneeregen am Fenster vorbei.