Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit Little Simz, Locked Groove und Helado Negro.
Little Simz – Grey Area
Ji-Hun: Die Londoner Künstlerin Little Simz macht gefühlt zwar schon eine Ewigkeit mit. Dabei ist Simbi Ajikawo heuer gerade mal 25, und dennoch ist ihr drittes Album „Grey Area“ ein bisschen so was wie das Reifewerk geworden. Das Cover monochrom gehalten. Die Sounds elegant, die Rhymes reflektiert und reflektierend. Nicht mehr ganz so plakativ und direkt. Wie wird man mit 25 im HipHop erwachsen? In einem Spex-Interview meinte sie neulich, dass sie es in einer Cypher mit jedem Typen aufnehmen könnte und würde. Das ist kein großkotziger Trashtalk. Das ist einfach so. Little Simz hat weiterhin ein ziemlich einzigartiges Talent und müsste für die Musikwelt eigentlich die neue The Streets sein, nur sieht das die Welt glaube ich noch nicht so und weibliche Rapstars müssen auch 2019 entweder Cardi B oder Nicki Minaj sein. Wieso dem so ist, darüber kann man das Wochenende ja nachdenken.
Locked Groove – Sunset Service
Benedikt: Was ich an den Releases von Tim Van de Meutter alias Locked Groove schon immer mochte: die radikale Funktionalität. Er legt das DJ-Dasein nicht an der Tür zum Studio ab, sondern nimmt es mit ans elektronische Instrumentarium und lässt den Vibe der Clubnacht mindestens kritisch über die Schulter auf Keys und Buttons schielen, um sicherzustellen, dass der Groove auch im Tanztempo „locked“ ist. Mir gefällt das aus mehreren Gründen. Zum einen scheitert der gegenteilige Versuch – DJ im Club, „sophisticated musician“ im Studio – viel zu oft und mündet dann in einem Produktions- und Musikergebahren, das mehr verspricht als es zu halten vermag. Zum anderen verzeiht man bzw. verzeihe ich auch viel lieber den ein oder anderen Tune, der meinen Geschmack zwar verfehlt, dem aber ebenjene Funktionalität trotzdem jede Daseinsberechtigung verschafft. Letztendlich ist es auch schlicht ehrlich. Ob Tim selbst das ähnlich sieht, weiß ich nicht. Der Titel „Sunset Service“ lässt es zumindest ein Stückweit vermuten. Zweite Konstante neben der Tanzbarkeit: Trance. Dessen mal nur leicht schillernde, mal grell blendend glitzernde Melodien fahren auf unterschiedlichsten Unterbauten durch die Platte. Ob der Sunset nun durchs kleine Fenster des Rave-Kellers so gerade eben sichtbar wird oder den House-Floor des Beach Clubs gänzlich in entsprechend leuchtendes Farbspektrum taucht - diese LP hält den passenden Track bereit.
Helado Negro – This Is How You Smile
Thaddeus: Ich suche in Musik ja kontinuierlich nach dieser mitreißenden Stille. Das kann dann klingen, wie es eben klingt, hektisch, konfus oder auch gar nicht so still oder leise. So lange die alles zusammenhaltende Klammer eine Herzensangelegenheit ist, auf dich auch ich mir einigen kann, ist alles gut. Mit seinem neuen Album setzt Roberto Carlos Lange genau so eine Klammer. „This Is How You Smile“ ist schon die sechste LP des US-Amerikaners mit ecuadorianischen Wurzeln und die zweite für RVNG Intl. Wunderbare Songs, wunderbar gespielt, wunderbar gesungen, wunderbar produziert. Langes Stimme erliegt man sofort. Warum? Das ist gar nicht so klar. Meine These: Er klingt nicht modern, sondern eher ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Und dennoch steckt in seinen Songs mehr Tiefe, Experimentierfreude und musikalische Cleverness als im Material der durchgehypten Mitstreiter unter den Singer/Songwritern. Lange geht es nicht um Aufmerksamkeit mit kurzer Halbwertszeit. Hier wird alles gleichberechtigt arrangiert. Sein Gesang drängt sich nicht in den Vordergrund, ist nicht exhaltiert und effekthascherisch. Alles schwimmt miteinander, und zwar nicht um die Wette. Man hat Zeit, viel Zeit – die Fades der Lieder sind nie weit weg. „This Is How You Smile“ klingt dabei wahnsinnig unaufgeregt, und wenn das Sujet des Songs eben eine sonische Untiefe benötigt, dann drängelt auch die sich nicht in den Vordergrund, sondern spielt einfach die ihr zugedachte Rolle und blendet sich wieder aus. Die Sujets kann man bei bei all der Verzauberung dabei glatt überhören. Keine gute Idee. Das hat alles Tiefe, ist sehr persönlich, aber eben nicht übergriffig. Es geht nicht um das etwaige Mitleiden, sondern schlicht um die Wahrnehmung einer anderen Lebensrealität. Muss man sich damit auseinandersetzen? Nein, auch wenn man etwas verpasst. Man kann das Album auch einfach als schweren und doch leichten Vorhang hören, der vor einer verwunschenen anderen Welt hängt, vor einer Schwelle, die man jederzeit übertreten darf.