Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Kyuss, Luke Slater und Andrea.
Kyuss – Welcome to Sky Valley
Ji-Hun: Ich stellte mir kürzlich folgendes Szenario vor. Angenommen, man dürfte sich für sein restliches Leben genau ein Konzert aussuchen, das man noch sehen darf, welcher Act würde das sein? (Ironischerweise gar keine so absurde Vorstellung.) Dass ich es als Teenager verpasst habe, die kalifornische Band Kyuss in Essen zu sehen, ärgert mich ehrlich gesagt bis heute. Wer hätte gedacht, dass eine der besten Bands aller Zeiten nur so wenige Jahre Bestand haben würde? Wobei Cream gab es ja auch nur zwei Jahre lang. Irgendein Musikjournalist meinte mal, Kyuss wären für Metal in etwa das, was Velvet Underground für Pop und Rock gewesen sind. Ein sperriger Vergleich. Denn Kyuss sind trotz des klassischen Rockinstrumentariums alles andere als Metal oder Stoner Rock – jenes Genre, das sie angeblich erfanden, aber in etwa so ein journalistischer Rohrkrepierer gewesen ist wie Nu Metal. Kyuss haben Räume aufgemacht, die selten so erschlossen wurden. Kyuss hatten aber auch das Problem, dass tausende Provinzbands in Westdeutschland und wohl auch überall anders in der Welt, ihren Sound und Attitude so miserabel missverstanden und kopiert haben, dass man Stoner Rock per se nur öde, mackerhaft und falsch finden konnte. Das gleiche Problem hatten Rage Against The Machine ja aber auch. Wie dem auch sei. Vor einigen Tagen hörte ich „Welcome to Sky Valley“ im Görlitzer Park auf den schlechtesten Ohrhörern, die ich zur Verfügung hatte, so richtigen Rock höre ich fast kaum noch, eigentlich wollte doch Prof. Drosten hören. Aber da war dann wieder das Gefühl: das elegante, Lenden zermarternde Reiten des Fegefeuers, der tiefe Soul, den Rock’n’Roll entwickeln kann, diese Suche nach dem Urknall. Wenn eine letzte Soundwelle die Welt zerstören sollte, dann wäre das die versöhnlichste Variante.
Luke Slater – Berghain 15
Benedikt: 15 Jahre Berghain, 15 Jahre Berghain-Mix. Und tja, Luke Slater hat sich mächtig ins Zeug gelegt. Nicht nur was den Aufwand und die (im Rahmen dieser Reihe eigentlich selbstverständlich hohe) Qualität von Mix und Mixdown sowie Track-Selection, sondern auch was die Interpretation und Bearbeitung des Konzepts „DJ-Mix“ als solches angeht. Aus künstlerischer Sicht erscheint das irgendwie einleuchtend. Soundcloud platzt, die Streams liefern derzeit täglich live ins Wohnzimmer. Im Rahmen offizieller Mix-Releases gehören ein paar Exclusives aus der jeweiligen DJ-Bubble ja mittlerweile eh zum Pflichtprogramm – reißen also niemanden mehr vom Hocker. Es braucht mehr. „Rip the Cut“ nennt Slater selbst, was er hier gemacht hat: 130 Ostgut-Ton-Releases hat er zerstückelt – mal kurz und klein gehackt, mal größere Brocken herausgebrochen – und so seine eigene, thematische Sample-Bibliothek angelegt. Wie HipHop ist das bitte? 26 neue Tracks sind so entstanden: der Plattenkoffer für diesen Mix, den er dann ganz klassisch angegangen ist. Klar klingt's nach Ostgut Ton, nach Berghain durch und durch, geht ja gar nicht anders – by design. Dass diese zwei Stunden trotzdem mächtig Spaß machen liegt, nicht nur an der beeindruckend feinen Ausproduktion der Sample-based Tracks. Kennt ihr diese Bilderrätsel, bei denen diese Ultra-Makro-Nahaufnahmen gezeigt werden und dann muss man raten, welcher Gegenstand das ist? Dieser Mix ist die Audio-Version davon – Berghain-Edition. Und die Makros liegen teils halbtransparent übereinander, sind selten völlig trennscharf, Musik-Rätseln für Fortgeschrittene. Ein großer Spaß. Darüber hinaus natürlich ein Klubnacht-Assoziationsfeuerwerk erster Güte.
Andrea – Ritorno
Thaddeus: Bei Ilian Tape kann man sich ja eigentlich sicher sein, dass der ästhetische Dance-Rahmen stimmt. Dennoch höre ich viel zu selten in die Releases rein. Umso mehr freut es mich, über dieses Album des italienischen Produzenten gestolpert zu sein, das zudem auch noch ganz frisch ist und unsere aller Aufmerksamkeit verdient. Es scheint tatsächlich seine erste LP zu sein, zuvor gab es nur eine Handvoll EPs. Müssen natürlich alle nachgehört werden. Ich vermute in seinem Backcatalogue eine Schatzkiste ähnlicher musikalischer Entwürfe. „Ritorno“ ist ein Kosmos mit im Wesentlichen zwei Fixsternen: UK-Electronica und Breakbeat-Chopperei – vom „normalen Tempo“ bis zur hyperaktiven Übertreibung. Das klingt für jemanden wie mich, der mit diesen beiden Styles aufgewachsen ist, wie ein enzyklopädisches Tagebuch, in dem Referenz nach Referenz nach Referenz in meinem Kopf getriggert wird. Dabei sind die Tracks alles andere als irgendwo abgeklatscht, im Gegenteil. Andrea spielt vielmehr mit den größten Momenten von damals und zimmert seine eigene Welt drumherum. Vielleicht kennt er diesen größten Momente gar nicht, vielleicht ist das einfach nur ein glücklicher Zufall. Von denen kann man im Augenblick ja aber nicht genug bekommen.