Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen.
Kaitlyn Aurelia Smith – The Kid
Ji-Hun: Im letzten Jahr hat unser Rezensions-Trio-infernale Blumberg, Cornils, Herrmann das letzte Album von Kaitlyn Aurelia Smith „EARS“ bereits seziert und vorher war mir die Künstlerin ehrlich gesagt auch nicht richtig bekannt, obwohl sie zu jenen gehört, die einfach im Akkord produziert (es ist ihr sechstes Album in fünf Jahren) und sich ihre ganz eigene Nische zwischen Modular-Elektronik, abstraktem Techno und Pop geschaffen hat. Das neue 13 Stücke umfassende „The Kid“ ist nun erneut auf dem Label Western Vinyl erschienen und wie es so oft ist, wird es mit zunehmender Aufmerksamkeit auch hier eindeutiger, sauberer und Feuilleton-tauglicher. Wie Blumberg schon sagte, sie macht zu viel richtig, wahrscheinlich alles. Das gilt natürlich nur für ziemlich niedertourige Underground-Perspektiven und nicht für den Sommerfestival-Mainstream. Nichtsdestotrotz untermauert Smith, dass sie eine großartige Sounddesignerin, Musikerin und auch Künstlerin ist, die wahrscheinlich einen wichtigen Beitrag dazu leistet, dass sich Elektronik nicht bis zum Ende des Jahrzehnts tot läuft. Da gibt es also Hoffnung.
Alex Christensen & The Berlin Orchestra – Classical 90s Dance
Thaddeus: Lieber Alex, ist es ok, wenn ich dich duze? Weil: Wir kennen uns ja nicht, und ich hoffe, dass das auch so bleibt. Deine Promo-Agentur hat mich in den vergangenen Wochen immer wieder mit Mails auf dein neues Album aufmerksam gemacht, auf dem du die größten Hits des Euro-Dance mit einem Orchester neu interpretierst. Glückwunsch dazu, das war bestimmt ein teurer Spaß. Hoffentlich schwitzen die Spotify-Server unter der Last der Anfragen und du verdienst auch 3,61€ Tantieme. Ich meine das ganz ehrlich, weil wir uns ja nicht kennen und ich nicht weiß, wie du mit Geld haushalten kannst. Ich habe mir die Videos dazu angeschaut, weil: Wenn ein Orchester mit im Spiel ist, finde ich das erstmal mehr oder weniger lässig. Beide Seiten – Elektronik und Orchester – haben sich eigentlich schon immer ganz gut verstanden, zumindest dann, wenn jemand das Aufeinandertreffen dieser beiden Welten mit Weitsicht und Vision moderiert hat. Dann kam es auch nicht zu dem Schindluder, den wir in den vergangenen Jahren vermehrt ertragen mussten. Dazu zähle ich – du ahnst es vielleicht schon – leider auch deine Platte. Weißt du, Alex: Die Synths und Hooks, die damals schon latent problematisch waren, mit einem Orchester zu ersetzen, ist schon schlimm genug. Weil du dann diesen Produktionen das letzte bisschen Charme wegnimmst. Das ist nicht nett. Du musst wissen, Alex: Den Musikerinnen und Musiker, die dein Label da verpflichtet hat, ist es egal was sie spielen. Die können viel aushalten, müssen viel aushalten, weil sie viel prekärer leben als du. Also packen sie wie auf Knopfdruck das große Pathos aus, stopfen ihre Ohrstöpsel rein und spielen das runter. Natürlich interessiert sie das nicht, und genauso klingt das Album auch. Wie könnte daraus auch etwas Interessantes werden, wenn du immer im falschen Moment auch noch die falschen Bassdrums einbaust und irgendwelche Sängerinnen castet, die noch nicht mal am Leben waren, als die Tracks damals erschienen? Die armen Streicher, die bemitleidenswerten Hörner. Weißt du eigentlich, dass Guru Josh gestorben ist? Ich hoffe, seine Mama verdient gut an den Coverversions-Tantiemen. Kannst du mir mal die Nummer von den Drummer geben, der bei deinem eigenen Track „Das Boot“ da plötzlich zwischen frequenzoptimierter Bassdrum und Vocoder diesen Breakbeat andeuten muss?
Hast du mit Klaus Doldinger gesprochen? Wie findet er das? Der kennt sich bei allem schlechten Geschmack doch immer noch besser aus als du. Oder guckt der nur auf seine GEMA-Abrechnung und streichelt sein Saxophon? Hat dir vielleicht sogar Herbert Grönemeyer eine SMS geschickt? Weißt du was, Alex? Du stellst dir hier selbst ein Bein mit diesem Album. Weil die Stücke von damals – deine mit eingenommen – so dämlich waren, dass sie heute schon wieder toll sind. Du hast doch mittlerweile auch graue Haare und trägst Lesebrille. Das wäre doch eine Chance gewesen. Das Orchester mal machen zu lassen und dir jemanden dazu zu holen, der dich ausbremst und sagt: Nein, Alex, die Bassdrum lassen wir jetzt mal weg. Und deine Presets auch. Eigentlich brauchen wir dich hier gar nicht, Alex, geh’ doch mal einen Kaffee trinken oder was auch immer du gerne trinkst an so einem Nachmittag im Studio. Alex, ich muss es leider klipp und klar sagen: Du bist nicht der Hans Zimmer des Eurodance. Du hast seit 1992 nichts dazu gelernt. Deine Musik ist nicht die Musik, die wir wollen, die die Welt braucht. Weil: Der Welt geht es aktuell nicht so gut, davon hast du bestimmt gelesen, Alex, vielleicht hat dir das sogar die erste Geige erzählt. Und dein Eskapismus hat vielleicht 1994 noch auf einem drittklassigen Dancefloor in der letzten vergessenen Enklave in der Ukraine funktioniert, mittlerweile gibt es aber auch dort Internet und die zeigen dir den Stinkefinger. Irgendwie wirst du damit schon umgehen können, du bist ja so ein Steh-auf-Männchen. Der Tross ist mittlerweile weitergezogen. Der dreht sich auch nicht mehr nach dir um. Niemand dreht sich mehr nach dir um, Alex. Das merkst du vielleicht noch nicht, aber der Tag wird kommen, an dem du dich sehr einsam fühlen wirst. Dann geht niemand mehr ans Telefon. Weder 2 Umlimited noch Olive. Die von der Mayday sowieso nicht: Die kennen dich gar nicht. Genau wie wir uns auch nicht kennen, lieber Alex. Trotz allem: Alles Gute!
Red Axes – The Beach Goths
Benedikt: Wie konnte mir dieses Album im August nur durchrutschen? Ich hatte ja keine Ahnung. Red Axes sind natürlich ein Begriff – als House-DJs, Boiler Room, da war was. Aber das gehört vergessen, weil Post-Punk und Gitarre die doch irgendwie liebliche House-Fassade in Schutt und Asche legen, sobald „The Beach Goths“ unter der Nadel liegt. Wenn Kollege Ji-Hun und Steffi sich einig sind, ein Neustart auf dem Dancefloor sei nötig, ob der modularen Langeweile, dann ist diese Platte ab sofort meine erste Entgegnung darauf, das Vokabular mit dem sich eine adäquate Antwort auf diese Forderung formulieren ließe. Dori Sadovnik & Niv Arzi kombinieren kantige House-Elemente so selbstverständlich und stilsicher mit ihrer offensichtlich nicht abgeschlossenen Vergangenheit als New-Wave- und Post-Punk-Band, als wäre das eine eh schon immer die Blaupause des anderen gewesen. Dabei macht das Duo aus Tel Aviv nicht den Eindruck, als bemühe man sich um einen besonders sophisticated wirkenden Referenzkatalog, wie das bei derlei Hybriden leider oft der Fall ist. Würde an dieser Stelle aber auch jeder Grundidee von Punk diametral entgegenstehen. Referenzen sind natürlich da, klar, aber ganz uneitel und nonchalant, als selbstverständlicher Teil eines jeden Probenkeller-Jams. Und nicht als musikalische Büste, die, poliert und aufs Podest gestellt, bestaunt werden will. Obwohl das Album mitnichten spiegelt, was elektronische Tanzflächen dieser Tage bewegt, gehören Tracks wie „Tantram Power“, „Shir1“ oder „Talmood“ genau dorthin. Neustart eben – für mehr Jam auf dem Floor. Mit der „Kalacol EP“ hat das Duo vergangene Woche schon nachgelegt.