Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Brandneu, wieder entdeckt oder aus der Geschichtskiste ausgebuddelt. Heute mit John Tejada, Jeff Tweedy und Mr. Statik.
John Tejada – Live Rytm Trax
Thaddeus: Als ausgesprochen befangener Fanboy in Sachen Tejada dürfte das Fazit dieser Besprechung niemanden überraschen, also kann ich es auch gleich vorwegnehmen: John Tejada hat mal wieder sein bestes Album vorgelegt. Macht dabei jedoch einiges anders. Wer schon so lange Musik macht, kann wahrscheinlich nicht anders, als sich immer wieder aufs Neue herauszufordern. Im konzeptuellen Zentrum der zehn Tracks steht die radikale Beschränkung in der Wahl der Produktionsmittel. Weniger ist mehr. Mit praktisch nur einer Maschine ist die Musik entstanden. Tejada folgt damit einer Idee, die er für seine Live Sets in der Vergangenheit immer weiter verfeinert hat. Und dieser Drang zur Einfachheit, zum Fokus durchlüftet sein musikalisches Universum nicht nur auf ganz wundervolle Weise, sondern setzt es auch ganz neu in Szene. Das spielerisch Verspielte, mit dem der Musiker in den vergangenen Jahren immer wieder erfolgreich den zunehmenden Konformismus des Dancefloors bekämpfte und so an dessen Ursprung erinnerte, tritt auf „Live Rytm Trax“ in den Hintergrund. Stattdessen gilt: ein Track, eine Idee. Und die sind, wie könnte es anders sein, alle genial und noch genialer ausgearbeitet. Das ist kein neuer Minimalismus, das ist der erste Band der Peaktime-Enzyklopädie. Für die Tejada – fast schon ungewöhnlich – nicht nur tief in den Arten des Sound Designs gräbt, für die er eben bekannt ist, sondern auch so fulminant den Dub umarmt, dass es sich lohnen würde, Chain Reaction wieder zu aktivieren. Aufgenommen hat Tejada das Album im Studio von Kenny Larkin mit dessen großer Konsole – bestimmt teurer als ein Tesla. Auch wenn dieses Detail nicht bekannt wäre, sind die referenziellen Andeutungen eklatant: „Sfumato“ klingt mit seinen im Mix betonten Echos wie eine Hommage an Larkins „Tedra“. An dieser Idee weiterzuarbeiten, war ohnehin überfällig. Das ist im Blick auf das Album als Ganzes jedoch überhaupt nicht wichtig. Es ist ein weiterer Mosaikstein im immer dichter werdenden Gesamtkunstwerk JT. Das – da bin ich mir sicher – im kommenden Jahr positiv explodieren wird.
Jeff Tweedy – WARM
Ji-Hun: Es gibt da diesen einen Lieblings-Whiskey-Laden. Der ist in Kreuzberg in der Ohlauer Straße und die Menschen dort sind alles liebenswerte Nerds, unprätentiös, in ihrer Materie aber sehr passioniert, hilfs- und auskunftsbereit. Da ich aber von Whiskeys weniger Ahnung als von Musik habe, gehe ich gerne dahin und lass mir einfach deren aktuellen Lieblingswhiskey geben. Kein großes Verkaufsgespräch. Gebt mir, was ihr gut findet. Vielleicht lernt man so auch etwas von seinem Gegenüber kennen. Ich stelle mir das wie mit einem Plattenladen vor, erwiderte ich neulich. Wenn man fragt, was der Kunde sonst so hört und man bekommt nur Coldplay und Imagine Dragons zur Antwort, wie kantig, speziell und individuell soll das Ergebnis denn ausfallen? „Bei Whiskey ist es wie mit den Stones. Ein Album aus den 60ern klingt auch anders wie eines aus den 80ern. Wenn jemand sagt, er mag Laphroaig, dann müsste man auch wissen, welche Ära eigentlich.“ „Ein guter Punkt!“, bedanke ich mich für die Antwort, „das werde ich mir merken.“ Umso länger man darüber nachdenkt, desto mehr Überschneidungen finden sich mit der Musik. Viele Abfüllungen haben die Auflage einer Vinyl-Pressung. 300, teils nur 100 Flaschen. Wenn es weg ist, ist es weg. Dann muss man eben auf neue Songs warten. Kann schlechter oder besser werden, aber man weiß zumindest schonmal, ob man dem Whiskey-Songwriter vertraut, weil man seine Handschrift mag. Jeff Tweedy, einer der großen Songwriter unserer Zeit, würde wahrscheinlich auch super Whiskey machen. Seit Jahrzehnten übt er sich in Brillanz, ohne je den Faden auf zu großen Bühnen verloren zu haben. Vielleicht hat er auch gar keine Lust auf Tamtam und Glam und will eigentlich einfach nur gute Musik machen. Wie die zahlreichen Whiskeymacher in Schottland. Auf seinem aktuellen Soloalbum „WARM“ spielt sogar sein Sohn mit. So wird das Können und Wissen an nachfolgende Generationen weitergegeben. Ich trinke zu der Platte einen Single Malt aus Glasgow. 10 Jahre alt aus der Destillerie Cragellachie. Ihr könnt euch vorstellen: Passt in dieser Saison wunderbar zusammen.
Mr. Statik – Metamorphose
Benedikt: Mr. Statik heißt eigentlich Stathis Kalatzis, lebt in Berlin und legt mit „Metamorphose“ seine Debüt-LP vor. Zehn Tracks, deren gänzlich dunkle Färbung nicht im geringsten destruktiv wirkt – ganz im Gegenteil. Von der flächigen Electronica und den minimal abstrakten House- und Techno-Entwürfen geht eine Schönheit und Eleganz aus, an der man sich gar nicht satt sehen bzw. hören möchte. Alles was nicht zwingend benötigt wird, sondern bloß üblich ist, hat der gebürtige Grieche seiner Musik entzogen, was einzelne Stücke dann fast schon wieder skizzenartig erscheinen lässt, doch gleichsam zweifellos finales Werk ist. Mr. Statik – auf jeden Fall ein Unicorn in der Liste meiner diesjährigen Neuentdeckungen.