Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen. Und im Zweifelsfall einfach ein kurzweiliger Zeitvertreib ist.
Jlin – Black Origami
Ji-Hun: Irgendwie scheint es zur Regelmäßigkeit geworden zu sein, dass Musiker viel zu früh sterben. Diese Woche waren es die Frankfurter DJ-Legende Heiko M/S/O und auch der großartige Soundgarden-Sänger Chris Cornell. Beide am Ende ihrer Karriere vielleicht nicht auf dem Zenit ihres Schaffens, aber traurig ist es allemal. Mögen sie in Frieden ruhen. Dennoch habe ich mich weder für eine Playhouse-Scheibe noch ein Soundgarden-Album entschieden. Man muss ja mal nach vorne gucken können. Komfortzonen verlassen. Persönlich nicht so populären Genres eine Chance lassen. Daher soll es dieses Wochenende das Album „Black Origami“ von der Künstlerin Jerrilynn Patton aka Jlin sein, das gerade auf Planet Mu erschienen ist. Es ist der zweite Langspieler der Amerikanerin, die in Gray/Indiana aufgewachsen ist und sich im Groben dem Chicagoer Footwork verschrieben hat. Jlin denkt Footwork aber anders. Global, HiFi, cineastisch, jazzig, intellektuell. Man hört die Einflüsse aus der Kooperation mit dem indischen Tänzer unn Künstler Avril Stormy Unger aus den vergangenen Jahren. Weitere Kollaborationen gibt es mit Holly Herndon, William Basinski, Fawkes und dem südafrikanischen Rapper Dope Saint Jude. Das Chicago-Erbe wird hier also weiter gedacht und fortgeführt und mutiert zu einem Sound, der plötzlich sogar Kunstausstellungs- und Tanztheater-tauglich wird. Das meine ich ganz ohne Wertung. Ob ich das Album gut finden werde? Ich bin gespannt.
Egotronic – Keine Argumente!
Benedikt: Richtig gut singen konnte Torsun ja noch nie. Das war anfangs völlig egal, hat sich erst auf jüngere Releases nachteilig ausgewirkt. Klare prägnante Drums, eingängige Gitarrenriffs, aufgenommen im ordentlichen Studio. Von Punk und Rotzigkeit blieb nur die Stimme. Ich konnte mich damit nie richtig anfreunden, das Bild war nicht mehr rund. Wenn Egotronic lief, dann also eines der ersten vier Alben. „Keine Argumente!“ ist da anders. Gitarre, Bass, Drums und Synthie klingen ebenso wenig nach HiFi, wie die Stimmen der bis auf Jeans Team weitestgehend unbekannten Featuregäste. Für die neue Stimmigkeit dürfte nicht zuletzt Produzent und Punk-Urgestein Rod Gonzales von den Ärzten verantwortlich sein. Aber dann ist da auch noch die 8-Bit-Beilage der Platte. Gemacht für jene, die den Electropunk von einst vermissen. Die Fans, die nur die ersten vier Alben hören. Gemacht für mich also. So charmant das aber ist, funktionieren tut es nur manchmal. Es ist dann auch dort nur Reproduktion, wo es eine Neu-Interpretation gebraucht hätte. Dennoch wird Nostalgie wieder Gegenwart, das ist irgendwie schön, danke dafür! Achja: Inhalt! Torsun ist wütender als je zuvor. Der Techno-Hedonismus von einst ist abgelegt. Das „Tanzen zu Viervierteln“ ist nunmehr „die Fortsetzung der Arbeit / Mit andern Mitteln“. Was bleibt ist an erster Stelle der durch Rechtsruck und Ausländerfeindlichkeit neu genährte und doch altbewährte Hass auf Nazi und Nation: „Deutschland, Arschloch, fick dich. Scheiße bleibt Scheiße. Deutschland an die Wand! Ihr wollt Arbeit, ich will schlafen.“ Es ist laut. Es ist rotzig. Es wird geschrien bis die Stimme kollabiert. Egotronic bleibt ein unmissverständlicher Inbegriff von Punk. Tut gut, das zu wissen.
Christopher Willits – Horizon
Thaddeus: Manchmal ist der Hintergrund einfach spannender als alles andere. Willits kennt sich aus mit Sound und dessen Design, sowohl als Musiker als auch mit der Technik, die diese Musik wiederum erst möglich macht. Genau darum geht es auch auf seinem neuen Album, erschienen bei Ghostly. Willits ist einer der Macher von „Envelop“, einer Software, die man als PlugIn in Ableton reinkleben und so seinen Tracks und Kompositionen den Raumklang verpassen kann, die es braucht. Das ist nicht nur für Musik per se nützlich, sondern vor allem in Zeiten, in denen VR immer wichtiger wird: nicht nur auf YouTube und Facebook. So kann man dieses Album faktisch aus den unterschiedlichsten Richtungen auf sich zukommen lassen. Muss man aber nicht. Tatsächlich ist diese Ambient-Exegese von Willits auch schon ganz klassisch und frontal konsumiert einfach wundervoll. So leise. So fließend. So voller genau richtig temperierter Pausen. So voller mumpfender Emphase in den sachten Akkorden. So herrlich repetetiv und doch vollkommen entrückt. Ein Album, auf das man sich gar nicht konzentrieren sollte. Ganz im Sinne der Ambient-Definition eben. „Horizon“ ist eine Platte, die vor allem als proof of concept beworben wird. Das wäre gar nicht nötig gewesen.