Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen.
##Jessie Ware – Glasshouse
Benedikt: Der gemeine Musikkritiker mag der Britin attestieren, dass ihr Aufstieg in den wolkenlosen Pop-Himmel auch den Verlust musikalischer von Innovation und Wagnis, das Abschleifen entscheidender Ecken und Kanten zur Folge hatte. Klar, ihr Debüt „Devotion“ und die alten Tracks an Seite von STBRKT, die Kombination aus minimalen aber nicht alltäglichen Instrumentals als Unterlage dieser kraftvollen und gleichsam zarten Stimme bleibt unvergessen. „Glasshouse“ mag da trotz seiner Vielseitigkeit zwischen Flamenco-Gitarre („Selfish Love“), Soul-Balladen („Alone“) und glitzerndem, elektronischem Uptempo—Pop fürs Radio („Your Domnio“) etwas egaler klingen. Aber ich tue einen Teufel, mich in diese Kritik einzureihen. Mir fehlt da die professionelle Distanz, ich war schon immer ein bisschen verliebt in Jessie Ware. Mehr noch seit ihrem Konzert im Lido in Berlin vor wenigen Wochen. Und wenn sie mit bezaubernd gefühlvoller Stimme die Gefühle für ihre Tochter portraitiert („Thinking About You“) oder die Liebe ihrer Kindheit zum Thema macht, die Liebe zu jenem Mann, mit dem sie jetzt gerade ihre Familie gegründet hat („Sam“), dann schmelze ich kurzerhand dahin. Und das ist echt ok. Vielleicht ist das oft bemühte Bild vom Pop-Himmel hier auch gar nicht treffend. Denn trotz der erwachsenen Eleganz und Erhabenheit, wirkt Jessie Ware immer ehrlich und sympathisch geerdet. <3
John Carpenter – Anthology: Movie Themes 1974-1998
Ji-Hun: Nach dem Hickhack um Jóhann Jóhannsson bei der Soundtrack-Produktion von „Blade Runner 2049“ und anderen Schleuderstuhl-Regiestuhlbesetzungen beim Mega-Franchise „Star Wars“ wird klar, dass in Hollywood künstlerische Individuen eigentlich kaum noch eine Rolle spielen. So durfte Hans Zimmer zusammen mit Benjamin Wallfisch bei dem neuen Blade Runner den Notfalldoktor spielen und tief in die Sound-Backup-Festplatten greifen. „Bisschen mehr Trööt und Drrräääääng, bitte!“ Von einem Soundtrack kann aber eigentlich keine Rede sein, das ist eine Tapete. Auch dem armen Vangelis wird das keine Freude gemacht haben. Diese Woche ist die Compilation „Anthology: Movie Themes 1974-1998“ von John Carpenter erschienen. Jener Regisseur Carpenter, der für Klassiker wie „Halloween“, „Dark Star“, „Die Klapperschlange“, „Big Trouble in Little China“ und viele mehr verantwortlich ist. Was aber immer wieder runter rutscht ist die Tatsache, dass Carpenter bei vielen seiner Filme (eben auch bei oben genannten) die Musik und die Titelthemen komponiert hat. Heute erscheint das wie ein Universalgenius, aber ja, früher hat man Filme durchaus so gemacht. Heute schreiben 30 Songschreiber ein Lied für Katy Perry. Die Anthologie umfasst 13 Titeltracks im Zeitraum von 24 Jahren: von „Prince of Darkness“, dem epischen „Halloween“, bis hin zu „Assault on Precinct 13“, und beweist, was für ein Meister John Carpenter doch eigentlich ist. Die Stimmungen, die hier erzeugt werden, sind zeitlos und haben auch heute kaum von ihrer Intensität und Immersion eingebüßt. Großes Tennis.
Cuthead – Big Time
Thaddeus: Bei neuer Musik von Cuthead werde ich immer im wahrsten Sinne des Wortes hellhörig, auch wenn es nur ein paar Tracks auf Maxi-Single sind und nicht gleich ein Album. Vier Stücke und ein Intro, das einen mit der alten Dub-Schule erstmal auf die vollkommen falschen Fährte lockt, und schon ist wieder alles vorbei. Herrlich, wie das alles zerrt und sprotzt. Am Mischpult von Robert Arnold ist alles im roten Bereich. Und weil Arnold so gerne sampelt und Dinge neu kontextualisiert, dafür auf nur vier Tracks aber eigentlich gar keine Zeit hat, wirft er im Sekundentakt immer wieder mit viel Effet alles vom Sockel, was er kurz zuvor genau dort hochgehievt hat. Auf diese EP taumelt alles um „5 Hard“ herum, einem Stück, bei dem die 909 flattert als gäbe es kein Morgen, der Chord ist mit Lichtgeschwindigkeit aus einer anderen Welt gefallen, in der vieles besser war, sich mittlerweile aber in Wohlgefallen aufgelöst hat und das Bitzeln der Distortion muss unbedingt auf den schlechtesten Kopfhörern gehört werden, die man in der hintersten Ecke der Technikschrott-Schublade findet. Roughe Angelegenheit, genau wie die andere Stücke, bei denen die Rhythmussektion im Electro schwelgt, dabei aber eine arrangierte Verweigerungshaltung an den Tag legt, die einen Nobelpreis verdient hätte. Cuthead lässt sich keine Zeit für gar nichts, es ist Rush Hour auf dem Dancefloor und die Ideen werden mit derartiger Wucht und Frequenz in die Luft katapultiert, wie die Yamanote Line in Tokio ihre Runden dreht. Rein, raus, zack. Wunderbar. Ich beantrage eine Maxi-Version dieser Maxi-Single.