Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Hiro Kone, Tindersticks, Ludvig Forssell.
Tindersticks – No Treasure But Hope
Susann: Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, immer wieder an den Tindersticks vorbeizurauschen, aber das neue Album ist für mich ein Anlass das Œuvre rückwärts aufzuarbeiten. Ich bezweifele, dass ich bei dieser Benjamin-Button-mäßigen Erschließung zu tieferen Erkenntnissen komme, doch währenddessen verklingt schon der Opener „For the Beauty“ und ich verstehe, dass dieses gesittet-melancholische Gesangsklagen, was mir bei den Future Islands immer so gut gefiel, von Stuart Staples schon perfektioniert wurde. Ein Pech der Spätgeborenen immer nur die Zitate und nie die Referenzen zu kennen. Jedenfalls hat dieses Album alles, was so eine Novemberplatte braucht – Melancholie, Klavierinstrumentierung, Streicher, Vibrafonklänge und zwischendrin verbitterte Fröhlichkeit. Wie beispielsweise in „The Amputees“, eine grausame Verbildlichung von (Phantom)schmerz zu einer fast unbeschwerten Melodie (und im dazu gehörigen Video schnitt laut Credits Staples persönlich mit typografischer Sicherheit die Buchstaben aus). Neben der Melancholie gibt es auch ein ganz unverbittertes Liebeslied „Pinky in the Daylight“, dass einen wehmütig an den Sommer denken lässt. Passenderweise schrieb Staples die Texte für das Album auf der griechischen Insel Ithaka, welche auch das Cover ziert. Er ließ sich von den Inselbewohnern sagen, dass Ithaka oft das Ende einer Reise sei, „eine Endstation“ – „No Treasure But Hope“ ist es hoffentlich noch nicht.
Ludvig Forssell – Death Stranding (Original Score)
Ji-Hun: Mein Wochenend-Walkman müsste eigentlich Wochenend-PlayStation heißen. Denn ich habe dieser Tage angefangen, das neue Spiele-Epos „Death Stranding“ von Hideo Kojima zu spielen. Ein Epos, das die Community spaltet wie selten eines in den letzten Jahren zuvor. Hater nennen die Weltrettermission um Sam Porter (Norman Reedus) DHL-Simulator (weil der Protagonist hauptsächlich Pakete in einem postapokalyptischen Amerika ausliefern muss). Andere sind überzeugt, dass dieses Spiel eine Blaupause ist und eines der besten Games überhaupt. Ich bin indes von der Atmosphäre und dem Storytelling gefesselt, wenn auch gerade für ein paar Stunden angespielt. Es geht nämlich mal nicht ums sinnlose Ballern, sondern darum, die Welt und Menschen zu verknüpfen, Netzwerke aufzubauen. Kommunikationswege zu schaffen, die nicht mehr existieren. Das ist philosophisch und hinterfragt nicht nur die Existenz der Menschheit sondern auch jene der Blockbuster-Gaming-Kultur. Der Soundtrack ist zurückgenommen und dennoch dicht. Der Score von Ludvig Forssell, der auch schon Kojimas „Metal Gear Solid V“ orchestrierte, ist angesetzt mit dystopischem Pathos und eleganten Arrangements. Ist Logistik nicht das, was die Welt zusammenhält? Sollten wir nicht in heutigen Zeiten schon mal anfangen, Menschen, die Pakete und andere essentielle Dinge unseres Lebens liefern, mehr Respekt entgegenbringen? Aber genug geschwafelt – ihr wisst, wo ihr mich die nächsten Tage/Wochen findet.
Hiro Kone – A Fossil Begins To Bray
Benedikt: Gerade mal ein gutes Jahr ist es her, dass Nicky Mao alias Hiro Kone den Vorgänger dieser LP auf dem Atonal Festival vorstellte. Mit „Pure Expediture“ hatte sich die Künstlerin bereits ein gutes Stück vom Sound ihres Debütalbums von vor zwei Jahren wegbewegt: Raus aus dem Vierviertel, rein in die Electronica – raus der Klubnacht, rein ins Drone-Festival. Die rollende Kickdrum wurde ersetzt durch mal grelle, mal schlicht brachiale Hammerschläge in abseitigen Rhythmen. Der dem Dancefloor eher abgewandte Sound kommt der musikalischen Herkunft der Künstlerin vielleicht sogar viel näher. Aufgewachsen ist Nicky Mao in Hong Kong und San Francisco – in der Obhut ihrer Großeltern einerseits und zwischen den Post-Punk- und Dark-Wave-Platten ihrer Mutter in der Bay Area. Später in New York war sie sogar kurze Zeit Mitglied der all-female Band Effi Briest, deren Wurzeln man durchaus auch im Post-Punk verorten kann. Aber mit dem DJing hielt irgendwann auch die erste MPC500 plus Mic und Interface bei Nicky Mao Einzug und diente fortan der Kanalisierung ihrer Liebe zu den Drums, wie sie dem Magazin The Quietus im Interview verriet. Inzwischen haben sich weitere Instrumente dazugesellt. Dein meisten Raum nimmt ein Modular-Synth ein, nicht nur auf dem Bühnentisch, sondern auch im Sound. Während „Pure Expenditure“ aber noch ein Gefühl des Experimentellen innewohnte, entsprungen aus der kontinuierlichen Erforschung des Modular, hat „A Fossil Begins To Bray“ jegliche Ungenauig- oder Unachtsamkeiten – ob die nun gewollt waren oder nicht – abgelegt. Hiro Kone hat ihr Instrument zweifellos im Griff – und das kann man hören. Solltet ihr auch mal tun.